Das Ludwigsburger Amtsgericht sprach heute den Sprecher der Flüchtlingsorganisation „The Voice“ vom Vorwurf des dreifachen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz frei.
Nach der Beweisaufnahme regte die Richterin eine Einstellung des Verfahrens an. Die Staatsanwältin wollte der Einstellung nur unter der Bedingung zustimmen, dass Osa seine Anwaltskosten selbst trägt. Dieses Ansinnen – Strafe ohne Schuld – wurde von Osa und seinem Rechtsanwalt Christos Psaltiras abgelehnt.
Zu den Vorwürfen erklärt The VOICE Refugee Forum Germany – Flüchtlinge und Asyl in Deutschland vor der Verhandlung: “Die erhobenen Anklagen wegen angeblicher Gesetzesübertretungen stehen im Zusammenhang mit den Lagerbesuchen im Landkreis Ludwigsburg während der Refugee Liberation Bus Tour im letzten Jahr, als einem von 44 Landkreisen, in denen insgesamt mehr als 50 Isolationslager für Asylsuchende in Baden-Württemberg besucht wurden. Die Polizei des Landkreises Ludwigsburg ist übrigens die einzige Polizeidienststelle, die unsere Besuche von Geflüchteten vor Ort als Protest beziehungsweise Demonstration gewertet hat.“
Der Verhandlung folgten im gut gefüllten Gerichtssaal rund zwei Dutzend ZuhörerInnen. Dem 41jährigen Nigerianer wurde vorgeworfen, drei Versammlungen ohne Anmeldung abgehalten zu haben. Die Staatsanwaltschaft zeigte sich davon überzeugt, dass Osa am 7. Mai 2013 Versammlungen in Ludwigsburg, Kornwestheim und Möglingen veranstaltet habe. Sie stützte sich dabei auf Aussagen eines Ludwigsburger Polizeibeamten und auf die Schilderungen von zwei Beamten der Kriminalpolizei Böblingen, Abteilung Staatsschutz. Diese Staatsschützer hatten Internetermittlungen entnommen, dass es eine „Refugees-Tour“ geben solle. Als Zeugen der Anklage schilderten sie Veranstaltungen „mit Versammlungscharakter“. Den leiteten sie daraus ab, dass Transparente am Boden und auf einem Auto lagen. Nach und nach hätten sich immer mehr Leute versammelt. Es war die Rede von bedrohlichen Situationen. Von filmenden, aufbrausenden Menschen, die die Beamten aufgefordert hätten, englisch mit ihnen zu reden. Es habe trommelnde Menschen gegeben, die ziemlich wild durcheinander geredet hätten.
Die Flüchtlinge sollen sich gegenüber den Staatsschutzbeamten sehr aggressiv verhalten haben. Auf Nachfrage des Rechtsanwalts Psaltiras, warum sie denn überhaupt vor Ort gewesen seien, erklärte ein Staatschutzbeamter, die Flüchtlinge seien schon vorher in einem anderen Flüchtlingsheim gewesen: „Wir hatten die Vermutung, dass dort Straftaten begangen werden könnten.“ Außerdem hätte es ja sein können, dass die rechte Szene auftauche und provoziere. Deshalb sei der Staatsschutz präventiv vor Ort gewesen. Und: „Das kann so nicht sein“, dass die da filmen. Nach Rechtsauffassung des Kripobeamten verstoße ein derartiges Verhalten gegen den Datenschutz.
Deshalb wollten die Beamten auch die Personalien der Anwesenden feststellen, was diese jedoch verweigerten: „Es war für uns klar eine Versammlung. Von uns wurden Nahaufnahmen gemacht. Sie haben die Angabe ihrer Personalien verweigert. Ich wurde aufgefordert, englisch zu reden. Ich kann kein Englisch.“
Bei all dem, was die eifrigen Staatsschützer da phantasievoll schilderten, war Rex Osa allerdings nicht vor Ort. Es gab auch Ermittlungen wegen angeblichen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung, aber es kam zu keiner Anklage. Alle Ermittlungen wurden eingestellt. Nur gegen Rex Osa wurde ein Strafbefehl erlassen. Gegen den, der bei den „Versammlungen“ nicht anwesend war. Wegen angeblicher Verstöße gegen das Versammlungsgesetz. Der Mann im Hintergrund. Osa „hatte die Fäden in der Hand“, so ein Staatsschützer. Deshalb sah man in ihm den Verantwortlichen der „Versammlungen“.
Die Staatsanwältin hatte in ihrem Schlussvortrag keinen Zweifel, dass der Angeklagte sich des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz in drei Fällen strafbar gemacht habe. Sie forderte eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen à 30 Euro und die Auferlegung der Gerichts- und Verfahrenskosten.
Rechtsanwalt Psaltiras erklärte hingegen in seinem Schlussplädoyer, es habe nicht festgestellt werden können, dass sein Mandant der Veranstalter war. Er habe lediglich seine sprachlichen Fähigkeiten zur Verfügung gestellt. Das mache ihn jedoch nicht zum Veranstalter. Nur indem man seine Handynummer zur Verfügung stelle, werde man nicht zum Versammlungsleiter. Der Vorschlag der Staatsanwaltschaft, mit einer Einstellung des Verfahrens einverstanden zu sein, aber nur gegen Zahlung der Anwaltskosten, sei schon sehr befremdlich. Es müsse einen Freispruch geben. Der Anwalt wandte sich scharf gegen die Kriminalisierung der Besucher in den Flüchtlingslagern. Es habe weder polizeirechtlich noch strafrechtlich einen Grund gegeben, die anwesenden Menschen vor den Flüchtlingsunterkünften zu kontrollieren. Im vorliegenden Falle sei nicht „in dubio pro reo“ anzuwenden, sondern sein Mandant sei klar freizusprechen.
Die Richterin sprach Rex Osa frei. Die Kosten übernimmt die Staatskasse. Gegen das Urteil können innerhalb einer Woche Rechtsmittel eingelegt werden.
Die ZuschauerInnen freuten sich sichtlich über den Freispruch.
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