Von Michael Janker – Viele Aktivisten der Bewegung gegen S 21 erinnern sich noch an die gute Stimmung nach der so genannten „Erstürmung des Grundwassermanagements“ am 20.6.2011. Für Michael Janker endete der Tag jedoch in Polizeigewahrsam. Erst nach dreieinhalb Wochen kam er gegen Auflagen frei. Es dauerte ein ganzes Jahr, bis der Haftbefehl komplett aufgehoben wurde. Bis heute ist die Sache für ihn juristisch nicht ausgestanden. Wir dokumentieren seine Erfahrungen in drei Folgen. Im ersten Teil seines Berichts schildert Michael Janker den Tag seiner Festnahme.
In der Bewegung gegen S 21 gibt es eine Vielzahl von Daten, die regelrecht und zu Recht Berühmtheit erlangt haben. Da benennen wir doch mal den 30.9. (da braucht man eigentlich nichts mehr dazu zu sagen), die „Volksabstimmung“ am 27.11.2011, die Zeit der Geißlerschen Schlichtung, auch die Landtagswahl am 27.3.2011. Alles wichtige Daten, keine Frage. Ein anderes Ereignis hingegen, das zumindest für die direkt Beteiligten absolut wichtig war und ist, wird doch manchmal ganz gerne verdrängt. Dabei handelt es sich um die Ereignisse des 20.6.2011, die in die bürgerliche Presse überregional als „Erstürmung des Grundwassermanagements“ (GWM) eingegangen sind.
Die Aktivisten, die damals vor Ort waren, werden sich sicher gut daran erinnern, vor allem an die Partystimmung nach der „Stürmung“. Diese Party habe ich selbst leider nicht mehr mitbekommen, da ich zu der Zeit schon an einem anderen Ort war, an dem es mit Party Feiern ein wenig schwierig ist. Von der uns vorgeworfenen Gewalt beziehungsweise aggressiven Stimmung: keine Spur! Aber wie es halt so ist im Leben: Wenn die bürgerlichen Medien von Gewalt reden, dann muss ja irgendwas Wahres dran sein. Haben da etwa eine Handvoll Aktivisten gegen den allseits bekannten Aktionskonsens verstoßen?
Da gibt es natürlich viel Interpretationsspielraum. Aber es könnte doch gut sein, das dieser 20.6.2011 aus einem solchen Grunde innerhalb der Bewegung doch als ein etwas pikantes Datum gilt, über das man weniger gerne redet als über andere Ereignisse. Aber da sag ich jetzt erst mal: Schwamm drüber. Mir ist zunächst einmal wichtig, meine persönlichen Eindrücke dieses Abends und auch der Folgezeit genau so zu erzählen, wie ich sie erlebt habe. Und ich kann Euch versichern: Jeder, der an diesem Abend mit auf dem GWM war, hat etwas anderes erlebt.
Als Einleitung vielleicht kurz der Hinweis, wie ich überhaupt zum Widerstand gegen dieses dumm-dreiste Projekt gekommen bin. Ich bin ja nun kein Einheimischer, obwohl ich heute in Stuttgart wohne, sondern komme aus dem Badischen. Klar, das Thema S 21 war schon bekannt, aber sind wir einmal ehrlich zu uns selbst: Bis zum 30.9. war der ganze Widerstand doch eher ein regionales Phänomen. Und wie es halt so ist: Jedes Städtle, auch jenes wo ich herkomme, hat seine eigenen Probleme und Schwerpunkte, und das mit der Vernetzung ist trotz Facebook und Twitter bis heute immer noch so eine Sache für sich.
Nach der Hardcore-Aktion des Staatsapparates am 30.9. war natürlich nichts mehr so wie vorher. Ich erinnere mich noch gut an die Großdemos im Herbst 2010, bei denen ich Leute aus meiner Heimatstadt traf, die ich dort jahrelang nicht mehr gesehen hatte. Wer die damalige Stimmung und Atmosphäre erlebt hat, musste sich einfach für dieses Thema interessieren und engagieren.
Ungehindert durch die Lücke im Bauzaun
Wie für viele andere waren ab diesem Zeitpunkt Großdemo und Montagsdemo Pflichttermine für mich. Es gab kein Wenn und Aber mehr, und das Geld für die Fahrkarte war kein unnütz ausgegebenes Geld, obwohl es bei mir damals knapp war. Ihr glaubt gar nicht, welchen Hungerlohn man auf einem Bio-Bauernhof erhält – vor allem in Relation zu den Preisen, die für das erzeugte Produkt später in den Bioläden verlangt wird.
Am 20.6.2011 war ich also mal wieder auf der Montags-Demo. Auf der Kundgebung herrschte eine tolle Atmosphäre, es gab kämpferische Reden. Danach war noch eine Menschenkette vor dem Südflügel geplant. Vom Klett-Platz bis zum – heute leider nicht mehr so ganz erkennbaren – Südflügel sind er ja nur ein paar Meter. Und oh Wunder, dort war bereits eine Kette. Sie bestand zwar nicht aus Aktivisten, dafür aber aus Hamburger Gittern und den dahinter ebenfalls in Kette postierten, allseits bekannten und beliebten, stets freundlichen und gegenüber Demonstranten respektvollen BFE-Beamten (BFE = Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit).
Ich erinnere mich noch, als wäre es erst gestern. Nachdem ich endlich direkt am Absperrgitter stand, war eines der ersten Dinge, die ich wahrnahm, dieser sehr respektvolle Umgang der BFE-Leute mit den Demonstranten. Einige von ihnen hatten sich, vermutlich ermattet von der vorherigen Kundgebung, doch tatsächlich erdreistet, sich auf genau diese Absperrgitter zu setzten. Doch dies geht ja nun gar nicht, nicht wahr!? Hier könnten ja Sachwerte beschädigt werden! So griff die hinter den Gittern stehende Ordnungsmacht entschlossen durch und entfernte die potenziellen Störer unverzüglich, indem die Polizisten sie rüde von den Absperrgittern rissen und über den Platz zu ihren Wannen schleiften. Soviel zum Thema Gewalt.
Aufgrund meiner frühkindlichen Prägung ist es mir leider unmöglich, die Vorgehensweise dieser BFE-Leute als Gewalt zu bezeichnen. Meine Mutter, die leider nicht von der 68-er Bewegung berührt wurde, hat mir nämlich immer gesagt, dass Menschen in Uniform gute Menschen sind, denen man stets und immer vertrauen kann und die sich niemals irren. Also so ein bisschen wie der Papst, der ja unfehlbar ist. Hm!? Nun aber schnell zu den weiteren Vorkommnissen des Abends.
Eine Vielzahl von Demonstranten stand noch eine ganze Weile und Unmut über diese Ungerechtigkeiten äußernd direkt an der Absperrung. Auf einmal machte das Gerücht die Runde, der Bauzaun sei geöffnet. Von einer „Zerstörung“ dieses sowieso illegalen Gebildes war nicht die Rede. Große Teile der Aktivisten bewegten sich daraufhin zurück in Richtung des Bauzauns, um nachzusehen, was an diesem Gerücht denn dran sei.
War es möglich, dass die DB in trauter Eintracht mit der Firma Hölscher und tiefster Einsicht in die Illegalität ihres Bauprojekts auf einmal zu der Überzeugung gelangt war, in einen Dialog mit den Aktivisten zu treten? Ja, war es vielleicht sogar möglich, dass die Firma Hölscher die Tore zum Baugelände von sich aus geöffnet hatte, um den Aktivisten eine Besichtigung und eventuell Wiederinstandsetzung zu ermöglichen?
Spannend war eine solche Annahme allemal. Ja, und sie schien sich zu bewahrheiten, denn als wir am Bauzaun angelangt waren, fehlte da einfach eines der Elemente. Einfach so, man glaubt es kaum, aber es war tatsächlich so. Das Bauzaunelement war nicht da. Es war nicht herausgerissen, es waren keine Zerstörungen zu sehen, überhaupt nichts. Es war eben einfach weg! Wer es entfernt hatte, war auch nicht ersichtlich, leider war kein Begrüßungskommando der Firma Hölscher vor Ort.
Plötzlich im Rücken der Polizei
Mir einer Vielzahl von Demonstranten ging auch ich durch diese Öffnung im Bauzaun, völlig ungehindert, und das Einzige, was ich sah, war eine große Menge Aktivisten, die sich schon auf dem Gelände befanden und meiner Meinung nach durch genau diese Lücke vor mir gegangen waren. Irgendwelche Polizeikräfte waren zu diesem Zeitpunkt nicht auf dem Gelände zu erkennen. Dies dürfte kurz nach 19 Uhr gewesen sein.
Im GWM traf ich dann zufällig einen Bekannten, und wir entschlossen uns spontan, um das berühmte blaue Gebäude herumzuspazieren. Es gibt da nämlich einen Weg, der um die Türme herumführt. Der eine Zugang war völlig offen, dort war kein Mensch. Wir wurden auch von niemand bei der Turmumgehung aufgehalten, weil zu dieser Zeit dort keiner war. Als wir dann aber um die letzte Ecke bogen, sahen wir sofort eine Polizeikette, vor der eine Vielzahl von Aktivisten stand. Wir haben kurz angehalten, um uns über die absurde Situation klarzuwerden, dass wir völlig ungehindert direkt in den Rücken der Polizeikräfte gelangt waren. Ganz allein waren wir aber nicht, wir trafen dort zufällig einen weiteren Aktivisten, der vor uns den gleichen Weg auch völlig ungehindert gegangen war.
Nachdem uns nach einigen Minuten die unfreiwillige Tragikomik unserer gegenwärtigen Lage klar wurde, wollten wir eigentlich wieder umdrehen und den Weg zurückgehen. Aber dies war uns dann nicht mehr möglich, denn just in diesem Moment tauchten in unserem Rücken – also auf dem gleichen Weg, den wir schon vorher gegangen waren – wahre Massen von dunklen Robocop-Gestalten auf, allesamt mit Helmen auf dem Kopf und dick gepanzert. Es handelte sich um regelrechte Kompanien von BFE-Einheiten, deren freundliche Beamten-Gesichter man leider nicht erkennen konnte, weil sich jeder der Herren eine Strumpfmaske übers Gesicht gezogen hatte.
Von wegen Knalltrauma
Sicher war das etwas martialische Auftreten der Herren als Schutz gegen die empfindliche Abendkühle dieses 20. Juni gedacht, aber bestimmt nicht als bewusste Provokation. Auf jeden Fall schienen diese Herrschaften nun unsere unvermutete Anwesenheit im Rücken ihrer Kollegen etwas missgedeutet zu haben. Wir wurden sofort von etwa zehn Beamten umringt (sicher zu unserem persönlichen Schutz vor der aufgebrauchten Demonstrantenmenge), die uns doch sehr misstrauisch beäugten und auch sogleich anfingen, uns mit der mitgeführten Kamera fürs Poesiealbum abzulichten.
In dieser Lage blieben wir so etwa eine halbe Stunde. Auf unsere einige Male schüchtern vorgetragenen Bitten, diesen Kessel verlassen zu dürfen, wurden uns leider abschlägige Antworten gegeben: „Ihr bleibt da sitzen, und rührt Euch nicht.“
So blieb uns gar nichts anderes übrig, als die Szenerie zu bewundern. Übrigens habe ich die berühmte Sache mit dem „Knallkörper“ just in diesem Kessel wirklich hautnah mitbekommen. Wir waren ja nur ein paar Meter entfernt. Direkt vor uns standen schon vor unserem Eintreffen die Beamten, die den einen Zugangsweg abgesperrt hatten.
In meiner Langeweile im Kessel hab ich sie mal durchgezählt, es waren etwa acht bis neun Beamte, also genau die Anzahl von Beamten, die dann ja später angaben, sie hätten dieses entsetzliche Knalltrauma erlitten. Also gehe ich bis heute davon aus, dass es genau diese Beamten waren. Komisch war nur eins: Weder diese Beamten, noch die anderen, die sich in der Nähe aufhielten, haben irgendwelche Anzeichen von Schmerzen gezeigt, sich die Ohren zugehalten oder gar so was wie einen Schmerzensschrei ausgestoßen.
Wie denn auch, die waren alle behelmt (Schallschutzhelm?) oder hatten irgendwelche Mikros im Ohr. Die meisten von denen haben nicht einmal den Kopf in Richtung des „Knalls“ bewegt! Stellt Euch vor, Euch brüllt zum Beispiel aus nächster Nähe jemand voll ins Ohr. Was macht Ihr dann? Na, klar, Ihr haltet Euch mindestens das Ohr zu, wenn’s ganz dumm läuft, geht Ihr vor Schmerzen beinahe in die Knie. Habe ich bei den BFE-Herren an diesen Abend aber nicht bemerkt. Wenn ich an eine normale Silvesterfeier in unserer guten alten BRD denke: Liebe Freunde, da geht’s etwas lauter zu!
Ich selbst habe übrigens auch kein Knalltrauma an diesem Abend erlitten, obwohl ich definitiv auf gleicher Höhe wie die knalltraumatisierten BFE-Herren war.
Aber zur Ehrenrettung der verletzten Beamten sei gesagt: Der Umstand, dass ich kein Knalltrauma erlitten habe, ist bestimmt darin zu suchen, dass ich nun mal auch nicht mehr der Jüngste bin und mein Gehör wohl schon durch den Besuch einiger Musikevents unheilbar zerrüttet ist. Da gibt es halt nicht so viel zu „traumatisieren“, ganz im Gegensatz zu den meist jungen BFE-Beamten. Man weiß doch, dass junge Menschen ein sehr empfindliches Gehör haben, welches sehr leicht irreparablen Schaden nehmen kann.
Irgendwann schließlich, so gegen 19.45 Uhr, verspürten die uns beschützenden Beamten vermutlich einen gewissen Bewegungsdrang und nahmen uns fürsorglich in den Arm – genauer gesagt: Sie schleiften beziehungsweise trugen uns vom Gelände des GWM. Bei dieser Gelegenheit konnte ich gut wahrnehmen, wie viele Beamte sich wirklich hinter den Türmen versteckt hielten. Es waren viele.
Arrest im Gefangenen-Bus
Der Weg und damit der Ablauf des Abends waren vorgezeichnet. Es ging zu den Wannen am Südflügel, das übliche Prozedere setzte ein, immer unter dem beruhigenden Schutz der uns umringenden Beamten. Taschen durchsuchen, nochmals fotografieren, tritratralala; Ihr kennt es ja. Nach einer gefühlten Ewigkeit wurden wir drei dann in eine Wanne verfrachtet und zum Polizeirevier chauffiert. Dort gab es erst mal ein großes Hallo („die Demonstranten sind da“), die Herren waren also schon vorab von unserem Eintreffen informiert. Ich fühlte mich fast wie zu Hause ob der freundlichen Begrüßung.
In den gemütlichen Räumen der Polizei wurde ich auch nochmal durchsucht. (Dafür habe ich volles Verständnis, ich hätte mich ja durchaus in der Wanne auf dem Weg ins Revier schwer bewaffnen können. Unsere Beamten brauchen doch Schutz!) Auch wurden wieder herrliche Porträtfotos geschossen. Danach, es war schon dunkel, wurden wir erst mal in einen auf dem Hof geparkten Gefangenen-Bus geleitet.
So ein Gefangenen-Bus ist eine feine Sache. Dieser Bus war sehr groß, gut geeignet zum Transport ganz vieler böser Menschen. In der Mitte des Busses führt ein kleines Trepplein in das interessante Innenleben eines solchen Gefährts. Durch das Zentrum läuft ein kleiner Gang, auf beiden Seiten flankiert von etwas beengten Arrest-Zellchen. In einer Zelle ist nicht viel drin. Zumindest für gute Belüftung ist gesorgt, auf beiden Seiten gibt es kleine Fensterlein, zum Schutz der Insassen natürlich vergittert. Dieser Bus war innen und außen in hellen Farben gehalten, vermutlich um einer depressiven Stimmung der Insassen entgegenzuwirken.
In der Folgezeit habe ich Gefangenen-Busse kennengelernt, die etwas anders aussehen, da gibt es nämlich verschiedene Arten. Für sanfte Gemüter nicht zu empfehlen sind solche, deren Zellen in einem düsteren Schwarz gehalten sind. Da gibt es aber zumindest Kontaktmöglichkeiten mit anderen Insassen, da in einem solchen Bautyp, die Zellen auf zwei bis vier Gefangene ausgelegt sind. Händchenhalten ist aber nicht, da gemeinhin beim Transport Hand- und Fußfesseln angesagt sind. Auch eine schwache Blase ist nicht empfehlenswert, es gibt keine Toiletten in solchen Transportbussen.
Am Abend des 20.6.2011 saßen wir drei – jeder in einer eigenen Zelle – in dem Bus und warteten und warteten. Aus meiner Zelle konnte ich sehen, dass für unsere Sicherheit sogar extra ein Aufpasser an der Treppe stand. Gegen 23 Uhr kam ein freundlicher Zivilbeamter zum Bus und ließ meine Mitgefangenen glücklicherweise springen. Mich beachtete er nicht, und auf die Frage unseres Aufpassers „was mit dem da sei?“, antwortete der nette Zivile: „Der geht net.“ Da war mir schon klar, auf was es hinausläuft. Es verhält sich bei mir ja ehrlich gesagt schon so, dass wenn ein Beamter seinen Computer anwirft und meine Daten eingibt, da Einiges aufleuchtet. Dies macht mich natürlich in deren Augen zu einer höchst verdächtigen Person. Der Sache muss nachgegangen werden! Und solche in unserem Rechtssystem hochgehaltenen Begriffe wie zum Beispiel „Resozialisierung“ sind ein ganz spezielles Thema und spielen in solchen Situationen eine eher untergeordnete Rolle.
Die erste Nacht auf dem Revier
So gegen 24 Uhr wurde auch ich aus dem Bus geholt, aber nicht zum Zweck der Freilassung. Zwei andere Zivilbeamte empfingen mich und erklärten mir mit ernstem Gesicht, ich würde am nächsten Tag dem Haftrichter vorgeführt. Auf meine dreiste Frage, was man mir denn eigentlich vorwirft, erhielt ich keine Auskunft.
Ich blieb also in Gewahrsam und verbrachte die erste Nacht in diesem Polizeirevier.
Bevor es in die Gewahrsams-Zelle ging, wurde ich nochmal durchsucht – klar, ich hätte mich ja auch im GESA-Bus wieder bewaffnen können -, und auch die Schuhe wurden abgenommen (wegen der Schnürsenkel, damit könnte man sich ja was antun); dazu natürlich alle persönlichen Sachen wie Handy et cetera. Gerade bei dieser Gelegenheit hat sich ein noch sehr junger Beamte (er hatte noch Pickel im Gesicht) auf äußerst fürsorgliche Weise, meiner Person angenommen. Er vermutete wohl schwere Suizidgedanken bei mir, deshalb taxierte er mich sehr genau.
Sein Blick fiel dabei auf meine Rastahaare, und er erklärte mir nun, dass er eigentlich dazu gezwungen sei, mir diese Haare abzuschneiden, denn ich könnte mich ja möglicherweise in meiner Zelle mit meinen eigenen Rasta-Locken in Suizid-Absicht erdrosseln. Ob dieser Gedanken war ich natürlich etwas verblüfft und erklärte dem jungen Beamten, dass diese Sorge unberechtigt sei, da ich keine Selbstmordabsichten hegte. Dankenswerterweise nahm daraufhin der nette Beamte etwas zögernd Abstand von seinem Ansinnen.
Wie sieht denn nun eigentlich eine solche Gewahrsams-Zelle aus? Allgemein gesagt, gleicht jede von ihnen in dieser Republik wie ein Ei dem anderen. Manche Eier sind natürlich etwas größer. Zum festen Bestandteil des Interieurs einer solchen Zelle gehören folgende Dinge:
– Die Wände und Böden der Zelle sind stets gekachelt, die Farbe der Kacheln variiert. In der Hahnemann sind sie in einem schmutzigen Weiß gehalten, vermutlich um die berechtigten Depressionen der Insassen etwas zu mindern.
– Es ist immer ein Betonbett in der Zelle. Ja, Ihr habt richtig gelesen, ein Bett aus Beton (auch stets gekachelt). Das ist ein bisschen so wie bei den altern Römern, die auch auf solchen Betten geschlafen haben. Deren Betten waren allerdings aus Sandstein oder sogar edlem Marmor gefertigt. Diese Schlafgelegenheit soll übrigens sehr Rücken schonend sein, auch hier wird also auf die Gesundheit der Gefangenen geachtet. Für die kühle der Nacht gibt’s vom Wärter ein kratziges Decklein. Ich empfehle, dieses Decklein quasi zu teilen: die eine Hälfte zum Zudecken, die andere zum Unterlegen, Beton kann verdammt kalt werden. Ein Kopfkissen gibt es nicht, dafür habt Ihr ja Eure Arme.
– Gegenüber dem GESA-Bus gibt es einen Fortschritt. Ihr habt eine Toilette in der Zelle. Diese Toilette besteht stets aus einem Loch im Boden, welches mit Edelstahl verkleidet ist.
Wer von Euch zum Beispiel in den achtziger Jahren auf Entdeckungsreisen in südlichen Regionen war (sagen wir mal der Türkei), kennt vermutlich noch die Toiletten in dörflichen Lokalitäten. Sie hatten die gleichen Löcher im Boden, zwar nicht mit Edelstahl drumherum, dafür war aber Seife vor Ort. Die gibt’s in der Zelle nicht.
In der Hahnemann gibt’s Wasser
Die Zellen in der Hahnemann bieten darüber hinaus noch weiteren unvermuteten Luxus. Dort gab es zum Beispiel tatsächlich ein Fenster, natürlich vergittert. Ich konnte von meiner Zelle in eine Art Garten schauen. Am folgenden Tag hab ich öfters rausgeschaut. Draußen schien die Sonne! Und es gab einen Wasserhahn! Dies ist nicht selbstverständlich!
Ich habe schon andere Gewahrsams-Zellen kennengelernt, da sieht es noch ganz anders aus. Solche befinden sich zum Beispiel in den Kellerverliesen häufig dörflicher Polizeireviere. Dunkelgrüne Kacheln; die einzige Lichtquelle eine trübe Funzel an der Decke, die dazu noch vergittert ist; und eine wirklich bedrückende Enge, die für Menschen mit Panikattacken oder Klaustrophobie die Hölle auf Erden ist. Du atmest dort so ein bisschen die Atmosphäre einer Gummihöhle, nur ohne Opium. Und ohne Wasserhahn!
Wenn Du in einer solchen Zelle Durst verspürst, musst Du für ein Plastikbecherlein abgestandenen Wassers den wachhabenden Beamten anklingeln. Übe Dich bitte in Geduld! Dies ist wichtig! Bedenke immer, ein solcher Beamter ist ein vielbeschäftigter Mann. Es ist davon auszugehen, dass er gerade wichtige Akten studiert, wie zum Beispiel über den letzten Nachbarschaftsstreit oder über den Jugendlichen, auf dessen Balkon vor kurzem ein Cannabis-Pflänzlein gefunden wurde. Möglicherweise bildet er sich auch gerade weiter und liest deshalb BILD.
Bei solchen wichtigen Tätigkeiten wird ein verantwortungsvoller Beamter prinzipiell nicht gerne gestört. Wenn er deshalb eine Weile braucht, um sich über die Gegensprechanlage bei Dir zu melden und sich dabei noch etwas unwirsch anhört, sei ihm nicht gram. Bedenke bitte auch: Der Beamte ist kein Zimmerservice in einem 3-Sterne-Hotel. Wenn Du also Deinen Wunsch nach Wasser geäußert hast, wird dieser nicht gleich erfüllt. Auch hier gilt: Geduld! Der Beamte wird zunächst pflichtbewusst seine Arbeit zu Ende bringen, dann kümmert er sich um Dich. Sei unbesorgt: Er wird Dich nicht verdursten lassen und Dir Dein Wasser schon bringen. Es dauert halt nur.
Den folgenden Tag, also den 21.6.2011, verbrachte ich bis gegen 17 Uhr in der Zelle.
Dann wurde ich von den beiden Zivilbeamten abgeholt, die ich am Abend zuvor schon kennengelernt hatte.
Im nächsten Teil der Odyssee berichtet Michael Janker, wie er dem Haftrichter vorgeführt wurde und seine Gefangenschaft in Stammheim erlebte.
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