Tübingen. Die Meinungen über Waffenlieferungen in den Nordirak waren kontrovers. Das Spektrum der Organisationen, die sich an der Tübinger Kundgebung zum Antikriegstag beteiligten, reichte von der pazifistischen Friedensmahnwache bis zum Kurdischen Arbeiterverein. Sie alle eint die Ablehnung imperialistischer Kriege, die Akzeptanz des Rechts auf Selbstbestimung und die Furcht vor einer Verschärfung der aktuellen Konflikte in der Ukraine, in Palästina oder im Nordirak.
In Tübingen wurde schon am Samstag, 30. August, des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September vor 75 Jahren gedacht. Das Friedensplenum/Antikriegsbündnis rief mit 13 Organisationen zu der Kundgebung auf dem zentral gelegenen Holzmarkt auf. Am späten Vormittag war viel Laufpublikum zum Samstagseinkauf in der Stadt. Einige Passantinnen und Passanten blieben eine Zeitlang stehen. Ungefähr hundert Männer, Frauen und Kinder dürften gezielt zu der Kundgebung ins Zentrum gekommen sein. Von den Parteien trugen die Linke, die DKP und die MLPD den Aufruf mit. Auffällig war, dass – obwohl mit einem Redebeitrag angekündigt, der dann krankheitshalber abgesagt wurde – das gewerkschaftliche Spektrum fehlte. In vielen baden-württembergischen Städten werden am Sonntag und Montag weitere Veranstaltungen zum Antikriegstag folgen (siehe „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“).
Jens Rüggeberg von der VVN-BdA Tübingen-Mössingen moderierte für das Friedensplenum die gut anderthalbstündige Kundgebung von den Treppenstufen vor der Stiftskirche aus. „Krieg löst keine Probleme, Krieg schafft noch mehr Leid und Gewalt“, erklärte er zum Auftakt.
Erster Redner war Wolfgang Held von der MLPD, der vor kurzem mit einer Trauma-Therapiegruppe Palästina besuchte. Er schilderte das Leid der Menschen in Gaza und kritisierte, dass jede Kritik an der zionistischen Politik der israelischen Regierung als Antisemitismus ausgelegt werde. Die MLPD unterstütze „das Recht des palästinensischen Volkes, sich zu verteidigen und die Mittel dazu zu wählen“, betonte er.
Friedhilde Dietrich vertrat die Friedensmahnwache, die sich jeden Freitag um 18 Uhr für eine halbe Stunde auf dem Tübinger Holzmarkt trifft, um deutlich zu machen, dass Militarisierung kein Naturgesetz ist. Die Mahnwache fordert, die Nato-Kommandozentralen Eucom und Africom in Stuttgart zu schließen. Sie hat sich der Unterschriftenkampagne von „Ohne Rüstung leben“ gegen Kampfdrohnen angeschlossen. Ferit Atan sprach für „Solidarität international“. Die Organisation fordert einen Stopp der Blockade des Gaza und Freiheit für Palästina. Sie sammelt auch Spenden für Projekte in Jenin und für das autonome westkurdische Gebiet Rojava.
Als Rednerin des Friedensplenums/Antikriegsbündnis protestierte Gisela Kehrer-Bleicher gegen den Versuch der Bundesregierung, die ablehnende Haltung der Bevölkerung gegenüber Krieg, Militarisierung und Rüstungsexporten zu verändern. Die Auftritte der „Kriegsministerin Ursula von der Leyen“, die der Bundeswehr ein familienfreundliches Image zu verpassen versuche, seien peinlich gewesen. Der Werbeetat der Bundeswehr sei auf 30 Millionen Euro jährlich gestiegen. Kehrer-Bleicher, die für die Linke neu in den Tübinger Kreistag gewählt wurde, kritisierte auch, dass die grün-rote baden-württembergische Landesregierung die Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr verlängert hat, nach der Jugendoffiziere – angeblich als Experten für Friedenspolitik – in den Unterricht eingeladen werden können. „Schulfrei für die Bundeswehr“, so ihre Forderung.
Christian Harde von der VVN-BdA sprach über die Entstehung des Konflikts in der Ukraine und analysierte die aktuelle Lage. Der Regimewechsel im Februar sei mit faschistischen Kräften durchgeführt worden. Die heutige Regierung führe in der Ostukraine Krieg gegen die eigene Bevölkerung – nicht nur mit einer regulären Armee, sondern auch mit Terrormilizen. Aus Hardes Sicht hat der Antikriegstag „beklemmende Aktualität“. Es sehe so aus, als ob nach den beiden von Deutschland begonnenen Weltkriegen ein weiterer vorbereitet werde.
Sechs Aktivistinnen des Verbands Courage schlüpften in die Rolle von Frauen in Kriegs-und Krisengebieten wie der Ukraine, Afghanistan oder Rojava und verlasen Botschaften. Sie kämpfe in einem Frauenbataillon, sagte die Kurdin. „Wenn der Westen jetzt Waffen an uns liefert, nehmen wir sie. Aber Rojava muss unabhängig bleiben.“ Der Frauenverband plant für Donnerstag, 18. September, 19 Uhr eine Veranstaltung „Kriegstraumata 1914 bis heute“ im Tübinger Bürgerheim.
Weitere Redebeiträge kamen von der SDAJ (Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend), von der Umweltgewerkschaft, vom Kurdischen Verein und zuletzt vom Tübinger Altstadtrat Gerhard Bialas, DKP. Seine Partei sei „gegen Rüstungsexporte egal wohin und an wen“, erklärte er. „Denn Waffen sind immer zur Unterdrückung bestimmt.“ Ehe die Kundgebung mit dem Song „Lili Marleen“ mit Leierkastenbegleitung abgeschlossen wurde, kritisierte Jens Rüggeberg, dass der Bundestag ausgerechnet am Montag, also am 1. September und damit am Antikriegstag, über Waffenlieferungen an die Peschmerga im Nordirak debattiert – mitten in ein Kriegs- und Krisengebiet. Sein Appell: „Kehrt zurück zu antimilitärischen und antimilitaristischen Positionen – auch in Berlin.“.
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