Stuttgart. Angebahnt hatte es sich schon lang. Dennoch kam die Nachricht am Dienstag, 9. Juni, überraschend: Die Redaktionen der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Nachrichten werden zusammen gelegt. 35 Redakteursarbeitsplätze sollen wegfallen, allenfalls 15 neue im Zug der Digitalisierung entstehen – ein weiterer Verlust an Qualität und Pressevielfalt. Die Wochenzeitung „Kontext“ hat eine Initiative „David kämpft für Goliath“ gegen die Zusammenlegung gestartet.
Zu den Erstunterzeichnern gehört die Verdi-Landeschefin Leni Breymeier, der stellvertretende Bundesvorsitzende von Verdi Frank Werneke und der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Journalisten Verbands (DJV) Kajo Döring.
Mit rund 240 Stellen soll spätestens zum 1. April 2016 die größte Redaktion Baden-Württembergs entstehen. Das meldete am Dienstag der Mediendienst „Kress.de“ unter Berufung auf Unternehmenskreise. Die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH), zu der die beiden Zeitungen gehören, hat die Nachricht inzwischen bestätigt.
Verdi: Mehr Profit durch Stellenabbau
Die Gewerkschaft Verdi, der auch die dju (Deutsche Journalistinnen-und Journalisten-Union) angehört, protestiert ebenso wie der DGB umgehend gegen diesen Einschnitt in die Pressevielfalt. Landesbezirksleiterin Leni Breymaier fürchtet einen „erheblichen Verlust von Meinungsvielfalt und Arbeitsplätzen“.
Der geplante Abbau von Arbeitsplätzen zeige, das es dem Medienkonzern SWMH in erster Linie um Profitsteigerung durch Kostensenkung gehe, kritisiert der zuständige Verdi-Landesfachbereichsleiter Siegfried Heim. Schon länger liefen im Konzern Kostensenkungsprogramme. Deshalb sei auch den Beteuerungen des Konzerns zu misstrauen, dass das Profil der beiden Zeitungen und die Tarifbindung der Redakteure erhalten bleiben sollen. Ulrich Schreyer, Landesvorsitzender der dju in Verdi: „Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass es sich bei diesem Schritt um die gravierendste Veränderung in der südwestdeutschen Presselandschaft seit dem Zweiten Weltkrieg handelt. Nur noch eine Zeitung für die Landeshauptstadt – das ist ein absolutes Novum. Ein Novum mit bitterem Beigeschmack“ (siehe unten seinen vollständigen Kommentar).
DGB: Redaktion muss für Managementfehler büßen
„Die Gründung einer ‚flexiblen Gemeinschaftsredaktion‘ birgt die große Gefahr, dass das Profil beider Zeitungen verwässert wird und die Medienvielfalt in Baden-Württemberg leidet“, warnte die stellvertretende DGB-Landesvorsitzende Gabriele Frenzer-Wolf. Die Themenvielfalt werde auf jeden Fall abnehmen. Gleiches sei für die Meinungsvielfalt zu befürchten.
„Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Redaktion für Managementfehler büßen muss: für den kreditfinanzierten Kauf der Süddeutschen Zeitung, für eine jahrelange Gratiskultur bei den Onlineangeboten und für die zögerlichen Investitionen in neue, gewinnträchtige Digital-Angebote“ – so Frenzer-Wolf weiter. Schon seit einiger Zeit sei sichtbar geworden, dass die SWMH nicht mehr in die beiden Stuttgarter Blätter investiert. Nun befürchtet der DGB, dass die „Stuttgarter Zeitung“ ihren Anspruch, die führende Zeitung in Baden-Württemberg zu sein, endgültig aufgeben wird.
Kritik aus dem Umfeld der Bewegung gegen Stuttgart 21
Auch der Deutsche Journalisten Verband DJV hat reagiert. Befürchtet wird ein Einschnitt in die Pressevielfalt der Region Stuttgart und ein journalistischer Einheitsbrei. Der DJV sieht auch die Existenz der 20 Lokalzeitungen gefährdet, die bisher die Mantelseiten von den „Stuttgarter Nachrichten“ erhalten.
Allerdings gibt es gerade im Umfeld der Bewegung gegen Stuttgart 21 auch Stimmen, die Wasser in den Wein gießen. Schließlich hätten Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten schon jahrelang kooperiert und identische Inhalte geliefert. Gerade beim Thema Stuttgart 21 sei von Pressevielfalt nichts zu spüren gewesen. „Ich boykottiere diese Stuttgart 21-Propaganda-Blätter seit mittlerweile fünf Jahren“, schreibt ein Leser in einem Kommentar unter dem Aufruf auf der Kontext-Website.
Hier kann man den Aufruf von „Kontext“ unterzeichnen. Sein Wortlaut:
Kontext-Initiative „David kämpft für Goliath“
Wir fordern Pressevielfalt!
Kein Zusammenlegen von „Stuttgarter Nachrichten“ und „Stuttgarter Zeitung“
Bis zum April 2016 soll die redaktionelle Zusammenlegung der „Stuttgarter Zeitung“ und der „Stuttgarter Nachrichten“ vollzogen sein. Das heißt konkret: 35 Redakteure insgesamt weniger. Auch wenn 15 Redakteure neu hinzukommen sollen, bedeutet das einen Verlust an Qualität und Vielfalt.
Seit Jahren wird bei der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) bei den Redaktionen gespart. Das zeitigt nun die schlimmste anzunehmende Variante: Das Sterben der Pressevielfalt in Stuttgart!
Das ist der Lackmus-Test für alle, die wissen, dass Pressevielfalt und Qualitätsjournalismus wichtig für die Teilhabe an demokratischen Entscheidungsprozessen sind. Sie können deutlich machen, was ihnen die Pressefreiheit, die Pressevielfalt und die Qualität im Journalismus wert ist.
In einem Jahr ist Landtagswahl im Lande. Frisch zur neuen Landesregierung soll der Kahlschlag im Stuttgarter Blätterwald vollzogen sein.
Wir sagen: Nein!
Die Kontext-Wochenzeitung startet zusammen mit BürgerInnen, PolitikerInnen GewerkschafterInnen, KünstlerInnen, Parteien und Verbänden die Initiative zur Presse- und Medienvielfalt in Stuttgart.
Stuttgart braucht viele Medien, Stuttgart braucht Qualität im Journalismus. Beide Zeitungen „Stuttgarter Zeitung“ und Stuttgarter Nachrichten“ müssen redaktionell eigenständig, vollständig und journalistisch von bester Qualität sein!
Unter dem Motto „David kämpft für Goliath“ protestieren wir gegen die Zusammenlegung der beiden Stuttgarter Blätter.
ErstunterzeichnerInnen:
Leni Breymeier, Verdi-Landesvorsitzende
Kajo Döring, Bundesgeschäftsführer des DJV
Gabriele Frenzer-Wolf, stellvertrende DGB-Landesvorsitzende
Willi Friedmann, Geschäftsleitug Theaterhaus Stuttgart
Peter Friedrich, Minister und stellvertretender SPD-Landesvorsitzender
Klaus Grabowski, Vorstand des dju-Ortsvereins Stuttgart
Siegfried Heim, Leiter Fachbereich Medien, Kunst und Industrie – Verdi Baden-Württemberg
Brigitte Lösch, Landtagsvizepräsidentin
Edzard Reuter, Ex-Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG
Gudrun und Werner Schretzmeier, Theaterhaus Stuttgart
Ulrich Schreyer, Landesvorsitzender der Deutschen Journalisten Union (dju)
Baden-WürttembergDieter Spöri, Ehrenpräsident der Europäischen Bewegung Deutschland (EBD)
Hans-Albert Stechl, SWR Verwaltungratsvorsitzender und Medienanwalt
Heinrich Steinfest, Schriftsteller
Frank Werneke, stellvertretender Bundesvorsitzender von Verdi
Hier der Kommentar von Ulrich Schreyer, dem Landesvorsitzenden der dju in Verdi auf deren Homepage:
Der Weg in die Stuttgarter Zeitungszukunft
Was viele schon lange befürchtet haben, ist eingetreten: Die Zusammenlegung der beiden Stuttgarter Zeitungen: Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten sollen künftig von einer Redaktion gemacht werden. Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass es sich bei diesem Schritt um die gravierendste Veränderung in der südwestdeutschen Presselandschaft seit dem Zweiten Weltkrieg handelt. Nur noch eine Zeitung für die Landeshauptstadt – das ist ein absolutes Novum. Ein Novum mit bitterem Beigeschmack.
Zunächst für die Betroffenen. Zwar heißt es die Streichung von 35 Stellen solle sozialverträglich und mit einem Abfindungsprogramm vonstattengehen – aber ein sicherer Arbeitsplatz ist eben doch fast immer besser als eine Abfindung. Und zudem ist gerade die journalistische Arbeit für die engagierten Kolleginnen und Kollegen mehr als reines Geldverdienen – fast immer auch eine Herzensangelegenheit. Die Frage ist auch, wie die künftige gemeinsame Redaktion rechtlich so ausgestaltet wird, dass sie tarifgebunden bleibt. Gefahr droht auch den freiberuflich Tätigen – verlieren sie Aufträge, wenn künftig mehr Beschäftigte in den Redaktionen eine Zeitung machen? Auch darauf erwarten wir eine Antwort. Und was aus dem „Profil“ der beiden Zeitungen wird, muss sich erst noch zeigen. Es wäre eine reife Leistung dafür zu sorgen, dass Zeitung und Nachrichten so unterschiedlich bleiben wie bisher. Ob das wohl gelingt?
Bitter ist der Beigeschmack der Zusammenlegung auch für die Pressevielfalt in Stuttgart und darüber hinaus – nicht nur, weil es weniger Meinungen geben dürfte. Es könnte auch weniger Information geben. So mancher Kommunalpolitiker, Landespolitiker und Unternehmer, aber auch viele andere Organisationen dürften sich wundern, wenn statt zwei nur noch eine Kollegin oder ein Kollege zu ihrer Pressekonferenz kommt. Schon im eigenen Interesse ist deshalb auch die Politik gefordert. Auch im Land muss es wieder eine Medienpolitik geben, die Perspektiven aufweist – für die Bürger, aber auch für die, die die Medien machen. Denn das sind genau diejenigen, die dafür sorgen, dass die Bürger Qualitätszeitungen und auch qualitativ gute Onlineangebote bekommen.
Die dju kann die Zusammenlegung nicht verhindern, aber sie wird diese kritisch begleiten – und wo immer sie kann dafür sorgen, dass die Folgen abgemildert werden. Im Interesse der Beschäftigten, der Leser – und der Meinungsvielfalt. Für die Demokratie sind Zeitungen nicht nur einen schöne Beigabe, sondern weit mehr – systemrelevant.
Ulrich Schreyer
dju -Landesvorsitzender
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