Schwäbisch Gmünd. „Wenn Winfried Kretschmann redet, geht es um Wirtschaft und Mittelstand, um Digitalisierung und Ökologie. Aber er spricht nie über Menschen, die befristet beschäftigt sind, oder über Alleinerziehende, Wachleute, überlastete Krankenschwestern und Erzieherinnen“, sagt Bernd Riexinger. Der Bundesvorsitzende der Linken will, dass seine Partei in den baden-württembergischen Landtag kommt, um die Lage solcher Menschen zum Thema zu machen und ihnen eine Stimme zu geben.
Bernd Riexinger nutzte die Kandidatenaufstellung seiner Partei in Schwäbisch-Gmünd zu einer Grundsatzrede. Vor gut dreißig GenossInnen präsentierte sich der Bundesvorsitzende und designierte Spitzenkandidat der Linken für die Landtagswahl am Montag, 27. Juli, kämpferisch und gelegentlich auch polemisch. So beschrieb er den betulichen grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann als Reinkarnation, also Wiederauferstehung Erwin Teufels (CDU). Der SPD-Landesvorsitzende und Finanzminister Nils Schmid wirke eher wie ein Oberbuchhalter. Riexinger nannte ihn „die personifizierte schwarze Null“, weil er CDU-Mann Wolfgang Schäuble bei der Erbschaftssteuer noch rechts überholte.
Ärmeren Mut machen, sich zu wehren
Die Linke sei die einzige Partei, die nach der Landtagswahl „nicht mit der CDU ins Bett gehen“ werde, warnte Riexinger vor einer schwarz-grünen oder schwarz-roten Koalition. Schon allein deshalb müsse man die Linke wählen. Sie wolle sich mit einem klaren sozialen Profil als Alternative anbieten, „die ein bisschen rote Farbe in diesen grauen Landtagswahlkampf bringt“.
Allerdings räumte der Partei-Chef ein, dass gerade Ärmere immer seltener wählen gehen, da sie sich davon keine Verbesserung versprächen. Es gelte, sie zu überzeugen, dass sich so an ihrer Lage nie etwas ändern werde. „Man muss aber auch sagen: Es reicht nicht, wenn Du nur wählen gehst. Man muss sich auch organisieren und auf die Straße gehen. Man muss den Menschen Mut machen, sich zu wehren“, appellierte Riexinger an seine GenossInnen. Die Streiks der letzten Jahre – bei den Verkäuferinnen, im Bewachungsgewerbe, bei Amazon – stimmten ihn durchaus zuversichtlich.
Keine sicheren Herkunftsländer für Sinti und Roma
Sonst wirkte Riexingers Rede eher nachdenklich. Offenbar wollte er seinen GenossInnen für den Wahlkampf Argumente an die Hand geben, wobei sich bundes- und landespolitische Themen verzahnten. Weit vorne stand die Flüchtlingspolitik. Die Stimmung gegenüber Asylsuchenden sei besser als in den neunziger Jahren. Dennoch gebe es brennende Flüchtlingsheime, und viele Geflüchtete seien unzumutbar untergebracht.
„Wir leben in einem reichen Land und nehmen im Verhältnis zu anderen Staaten eher wenig auf“, beschrieb er die Position der Linken. Wenn in Baden-Württemberg auf 10 Millionen Einwohner 50 000 Flüchtlinge kommen, könne man „nicht von einer Flutwelle“ sprechen. „Menschen, die in Not sind und flüchten müssen vor Krieg, Verfolgung und Hunger, muss geholfen werden“, stellte Riexinger klar. Die Grünen hätten ihre Rolle als Menschenrechtspartei jedoch verloren, als Winfried Kretschmann einer Ausweitung der so genannten sicheren Herkunftsländer zustimmte. Sinti und Roma, im Faschismus verfolgt, würden in den Balkanländern diskriminiert.
Moderner Sklaverei ein Ende machen
Die Linke will auf allen Ebenen gegen prekäre Beschäftigung kämpfen, die bundesweit 25 Prozent, in Baden-Württemberg 22 Prozent der Lohnabhängigen treffe. Gegen Leiharbeit, in den Augen des früheren Stuttgarter Verdi-Geschäftsführers „moderne Sklaverei“. Gegen Befristungen, die junge Menschen gerade in einer Lebensphase belasten, in der sie sich auf eigene Beine stellen und womöglich eine Familie gründen wollen. Gegen Werkverträge, die oft dazu dienen, Tarifverträge zu umgehen und die Sozialkassen auszutricksen. Jeder zweite neue Arbeitsvertrag, sagte Riexinger, sei heute befristet.
„Statt einer Einschränkung des Streikrechts hätte ich mir tatsächlich Tarifeinheit gewünscht, nämlich dass die Leute wieder regelmäßig unter einen Tarifvertrag fallen“, spielte er auf das von der CDU/SPD-Koalition durchgesetzte Tarifeinheitsgesetz an. Viele nur stundenweise Beschäftigte, etwa Verkäuferinnen, würden gern mehr arbeiten. Andere litten unter Dauerstress. Der Linken-Vorsitzende forderte eine Umverteilung: „Die einen sollen mehr, die anderen weniger arbeiten, und alle müssen von ihrer Arbeit und später von ihrer Rente leben können.“
Wohnbaupolitik soll Schwerpunkt im Landtag werden
Prekarisierung betreffe aber nicht nur die Arbeit, sondern alle Lebensverhältnisse – daher die Kampagne „Das muss drin sein“ der Linken. Wohnen, Energie und Gesundheit müssten bezahlbar bleiben. Statt eine ausreichende Versorgung mit Sozialwohnungen zu gewährleisten, habe das Land die früheren LBBW-Wohnungen an das Unternehmen Patrizia Immobilien verkauft, das sie inzwischen mit einem Gewinn von hunderten Millionen Euro wieder abstieß. „Die Wohnbaupolitik muss zum Schwerpunkt im Landtag werden“, forderte Riexinger und räumte mit einem Mythos auf: Auch im Land der Häuslesbauer haben nur 40 Prozent der Menschen Wohneigentum.
„Drin sein“, wie es in der Kampagne heißt, müsse aber auch mehr Personal in Gesundheit, Pflege und Bildung. „Wir unterstützen jeden Prozess, der die Aufwertung sozialer Arbeit zum Ziel hat“, betonte Riexinger. In keinem anderen Bundesland sei der Unterschied zwischen der Bezahlung industrieller Arbeit und der Arbeit am Menschen so groß wie in Baden-Württemberg.
Grün-Rot zeigt sich in der Schulpolitik mutlos
Auch hänge nirgendwo sonst der Bildungserfolg so stark von der Herkunft ab – dabei sei es Aufgabe des Bildungssystems, Nachteile auszugleichen. Statt soziale Auslese zu betreiben und zu klagen, Akademiker bekämen zu wenig Nachwuchs, solle man „die Kinder fördern, die man hat“.
Riexinger warf der grün-roten Landesregierung vor, eine „Bildungslandschaft wie ein Flickenteppich“ geschaffen zu haben, statt flächendeckend Gemeinschaftsschulen zu gründen – und zwar „aus purer Mutlosigkeit, aus Angst vor dem Protest gehobener Mittelschichten, die nicht wollen, dass ihre Kinder Konkurrenz bekommen“.
Die Hälfte der Bevölkerung hat keinerlei Vermögen
Über die Diskussion über die Erbschaftssteuer mochte Riexinger nur den Kopf schütteln. Kein Industrieland habe eine solche Regelung, bei der Betriebsvermögen faktisch ausgenommen ist. Wolfgang Schäuble habe einen Gesetzentwurf angekündigt, der immer noch 99 Prozent der Betriebserben geschont hätte. Doch selbst das sei Winfried Kretschmann und Nils Schmid zu weit gegangen.
Fast das ganze Geld der Reichen stecke in Betrieben. So setze sich die grotesk ungleiche Vermögensverteilung in Deutschland fort. Ein Prozent der Bevölkerung besitze 33 Prozent, also ein Drittel des Vermögens. Zehn Prozent besäßen über 65 Prozent – und die Hälfte gar nichts.
Angela Merkels Griechenland-Politik hat fatale Folgen
Überdies brauche die öffentliche Hand das Geld für eine gute Infrastruktur. Die Linke fordert eine Verdopplung der Erbschaftssteuer auf große Vermögen – „nicht auf Omas Häuschen“ – und eine Vermögenssteuer von 5 Prozent bei einem Freibetrag von einer Million Euro. Ein Millionär müsste dann auf seine zweite Million 50 000 Euro abgeben, rechnete Riexinger vor. 80 000 Milliarden Euro flössen so zusätzlich in die öffentlichen Kassen, 8 Milliarden Euro allein nach Baden-Württemberg. „Aber diese Landesregierung will das nicht.“
Zu Beginn seiner Rede war Riexinger auf bundespolitische Fragen eingegangen. In der Griechenlandpolitik sei es offensichtlich darum gegangen, eine linke Regierung, die einen anderen Auftrag hatte, zum Scheitern zu bringen und dem Volk zu zeigen: „Ihr könnt wählen, was ihr wollt. Es wird trotzdem gemacht, was die Gläubiger sagen.“ Angela Merkel und Wolfgang Schäuble hätten sich gegenüber der Syriza-Regierung am härtesten gezeigt. „Das wird die Demokratie in Europa nachhaltig beschädigen. Es ist der erste Sargnagel an diesem Gebilde“, sagte Riexinger voraus.
Schuldenbremse erweist sich schon jetzt als absurd
Er warnte vor den Folgen des hohen Exportüberschusses. „Wir leben in Deutschland weit unter unseren Verhältnissen und könnten viel höhere Löhne zahlen.“ Auch die öffentliche Hand könne sich viel mehr leisten. Die Schuldenbremse führe aber zu der absurden Situation, dass Staat und Kommunen trotz Niedrigzinsen von 0,5 bis 0,6 Prozent keine Kredite aufnehmen könnten. Stattdessen strebten sie Private-Publik-Partnership, also die Kooperation mit privaten Investoren an, der sie Renditen von vier oder fünf Prozent garantieren müssten. „Wir müssen politische Grundlagen für eine neue Wirtschaftspolitik und für einen Neustart in der Europäischen Union schaffen“, forderte Riexinger.
Vor ihm sprach Alexander Relea-Linder in den Räumen der Arbeitslosen Selbsthilfe Organisation, der unmittelbar zuvor aufgestellte Landtagskandidat der Linken für Schwäbisch Gmünd. Sebastian Fritz, Vorsitzender der Gemeinderatsfraktion, wurde als Ersatzkandidat nominiert.
Landtagskandidat will Politikverdrossenheit entgegen wirken
Relea-Linder kritisierte in seiner Rede die Flüchtlingspolitik der Landesregierung. Sie habe völlig versagt. Als Oberhardliner betreibe Winfried Kretschmann am stärksten Abschiebepolitik, und er habe der Ausweitung der Liste so genannter sicherer Herkunftsländer zugestimmt. Der Landtagskandidat monierte auch Demokratiemängel in Baden-Württemberg. Sein Appell: Um steigender Politikverdrossenheit entgegenzuwirken, „dürfen wir nicht von oben herab auf die Leute schauen, sondern müssen mit ihnen gemeinsam Konzepte entwickeln.“
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