Von Nicole Besa – Kos. Unser Feriendomizil war im Süden von Kos, nahe Kardamena. Dort ist alles so wie immer. Von der Not der Flüchtlinge, die zirka 30 Kilometer östlich auf Kos herrscht, bekommt man dort nichts mit. Die meisten haben nur das nackte Leben gerettet. Wir mieteten ein Auto, packten Kleiderspenden in den Kofferraum, und fuhren los. Unterwegs kauften wir Wasser, Brot, Butterkekse, Äpfel und Babygläschen. Ein Tag, dessen Eindrücke ich nie vergessen werde.
Wenn man von Süden her nach Kos-Stadt hineinfährt, kommt man direkt auf den Yacht-Club zu. Luxus pur, große und kleine Yachten, der Reichtum springt einen an. Der Strandpromenade folgend kommt der Stadtstrand. Fröhliche Touristen unter Sonnenschirmen.
Männer campieren zwischen Bürgersteig und Meer
Wir fuhren ein paar Meter weiter und sahen die ersten Schwimmwesten im Wasser treiben.
Je weiter wir ins Zentrum kamen, desto mehr änderte sich das Bild. Auf dem Rasenstreifen zwischen Bürgersteig und Meer lagen ungezählte Menschen. Hauptsächlich Männer zwischen 15 und 60 Jahren.
Vor einem kleinen Park war eine große Menschenmenge. Wir entdeckten dort eine Frau, die ein Shirt mit dem Aufdruck „Dutch Refugees Organisation“ trug. Wir parkten, stiegen aus, sprachen die Frau an und erklärten, dass wir das Auto voll mit Spenden hätten und sie abgeben möchten. Schnell waren Menschen zur Stelle, die uns halfen, das Wasser, die Babygläschen und die Kinderkleidung vom Auto zum Park zu transportieren.
Immer mehr Menschen stellten sich an
Auf einer großen Fähre, die gegenüber der „Sammelstelle“ im Wasser steht, waren sehr viele Frauen und Kinder untergebracht. Deshalb machte es Sinn, eben diese Dinge dort abzugeben. Unter unzähligen „God bless you“ verabschiedeten wir uns und fuhren wieder in den Supermarkt, um den Kofferraum wieder mit Wasserflaschen zu füllen.
Damit fuhren wir direkt an den Strand und hielten im absoluten Parkverbot. Wir stiegen aus, fragten die Menschen, ob sie Wasser wollten. Einige kamen mit uns zum Auto, und wir fingen an das Wasser, Brot, Äpfel und Butterkekse zu verteilen. Immer mehr Menschen reihten sich ein. Bald war der Kofferraum wieder leer. Also die nächste Fahrt vom Strand zum Supermarkt und wieder zurück.
Tränen wegen eines Apfels
Auch die Kleidung für Erwachsene verteilten wir dort. Ein junger Mann war sprachlos über ein Paar Turnschuhe und eine Jeans, wusste weder ein noch aus. Ein älterer Herr hatte Tränen in den Augen wegen eines Apfels und fragte in fließendem Englisch, ob er noch einen haben könnte. Als eine Packung Butterkekse auseinanderbrach, wurden die Bröckchen von der Straße aufgesammelt.
Wir haben 289 Liter Wasser, 70 Packungen Butterkekse und etwa 30 Kilo Äpfel am Strand verteilt. Das Brot habe ich nicht gezählt, aber ich meine, es waren zirka 25 Baguettes, die wir jeweils in drei Stücke brachen. Insgesamt haben wir den kleinen Fiat Panda fünfmal beladen.
Die allermeisten Menschen, die dort übers Mittelmeer in Schlauchbooten ankommen, haben nichts mehr außer das nackte Leben. Nichts!
Gefroren bei 30 Grad im Schatten
Das zu sehen, tatsächlich zu begreifen, wieviel eine Flasche Wasser, ein Apfel bedeuten kann, lässt mich das Leben mit ganz anderen Augen sehen. Ich habe bei 30 Grad im Schatten gefroren. Es gab aber auch sehr viele schöne Momente auf Kos. Und „God bless you“ hat für mich als Atheistin jetzt dann doch eine wunderschöne Bedeutung. Jede/r die/der das unglaublich große Glück hat, ein privilegiertes Leben zu führen (dazu gehören für mich mittlerweile alle Deutschen, auch wenn sie Hartz IV oder eine kleine Rente beziehen), sollte sich Gedanken darüber machen wie gut es ihr/ihm eigentlich geht.
Die Bevölkerung von Kos-Stadt teilt sich in zwei Lager. Die Gastronomen, die ihre Tavernen direkt an der Strandpromenade im Zentrum haben und die wirklich nicht mehr besucht werden (sämtliche Tische waren nicht besetzt), sind sauer. In meinen Augen auch zu Recht. Auch diese Menschen haben ein Anrecht auf ihr Einkommen. Und ihre MitarbeiterInnen ebenso.
Es ist wichtig, richtig und gut zu helfen
Keine Gäste heißt: kein Einkommen. Dafür können aber die Menschen, die vor Krieg und Gewalt geflohen sind, nichts. Diese Menschen haben ein Recht auf Frieden, auf ein gewaltfreies Leben in Sicherheit. Kos ist Griechenland, und Griechenland ist Teil der EU. Und eben an dieser EU liegt es zu helfen. Es gibt aber auch Einwohner von Kos, die zig Matratzen quer durch die Stadt zum Strand tragen, die Wäsche waschen, ihre Toiletten zur Verfügung stellen.
Mich werden diese „Erlebnisse“ mein Leben lang begleiten. Ich vergesse das niemals.
Und mir ist bewusst, noch bewusster geworden, wie wichtig, richtig und gut es ist zu helfen. Egal wie diese Hilfe auch aussieht.
Keine Fotos aus Respekt vor den Menschen
Jede/r, der oder die in meiner Gegenwart auf Menschen schimpft, die auf der Flucht vor Krieg und Gewalt sind, bekommt es mit mir zu tun. Das ist keine Drohung sondern ein Versprechen!
By the way, allen, die daher flennen, dass es auch in Deutschland ach so vielen Menschen ach so schlecht geht, wünsche ich eine Überfahrt übers Mittelmeer im Schlauchboot und nur zwei Tage ohne Dach über dem Kopf und ohne Trinkwasser nach ihrer hoffentlich geglückten Ankunft in Europa.
Aus Respekt haben wir keine Fotos gemacht. Aber in den Zeitungen und im Internet gibt es ja genügend Bilder. Helft wo ihr helfen könnt!
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