Von Jens Volle – Stuttgart. Emmanuel N. kann nicht mehr ruhig schlafen. Alpträume verfolgen ihn jede Nacht. Erinnerungen an Todesangst, Folter und Misshandlung. Seit fast zwei Jahren ist Emmanuel in Deutschland. Aber er weiß: Die Sicherheit trügt. Er hat Angst, dass sein Leiden noch nicht zu Ende ist. Das liegt an Gesetzen wie der Dublin-III-Verordnung: Das Land, in dem ein Flüchtling die EU betritt, ist für sein Asylverfahren verantwortlich. Emmanuel soll zurück nach Italien. Doch dort sieht er sein Leben bedroht. Die Geschichte einer gefährlichen Flucht (letzter Teil).
Was bisher geschah: Emmanuel, 1976 in Kamerun geboren, muss sein Land verlassen, weil er als Homosexueller verfolgt wird. Auf gefährlichem Weg durch die Wüste erreicht er Libyen. Dort kann er sich ein neues Leben aufbauen. Dann kommt der Bürgerkrieg. Die Bombe eines NATO-Kampfflugzeugs zerstört Emmanuels Haus. Um dem Militärdienst für Gaddafi oder die Rebellen zu entgehen, macht er sich erneut auf den Weg. Über das Mittelmeer erreicht er Italien. Er lebt in einem Lager. Dann wird er auf ein Landgut verschleppt. Gefangen wie ein Sklave muss er ohne Lohn hart arbeiten. Nach zwei Jahren befreit ihn ein Lastwagenfahrer und fädelt seine Flucht nach Deutschland ein.
Auf der Straße betteln nach er Ankunft in Deutschland
Am 18. November kommt Emmanuel in Berlin an. Am Hauptbahnhof lernt er andere Flüchtlinge aus Kamerun kennen. Sie empfehlen ihm, nach Eisenhüttenstadt zur Erstaufnahmestelle zu gehen. Dort ist jedoch kein Platz für ihn. Ihm wird nur ein Zugticket nach Karlsruhe in die Hand gedrückt und gesagt, er solle sich bei der Landeserstaufnahmestelle melden. Er braucht für diese Zugfahrt zwei Tage, da sein Ticket nur im Regionalverkehr gültig ist. Oft muss er Stunden auf seinen Anschlusszug warten und vor Bahnhöfen auf der Straße schlafen.
Um Essen und Trinken oder das Geld dafür muss er betteln. In Karlsruhe stellt er einen Asylantrag. Eine Chance, dass der Antrag durchkommt, gibt es nicht – Dublin III Verordnung: Er hat die EU in Italien betreten und kann nur dort Asyl beantragen, was er ja auch getan hat. Doch nach Italien will er unter keinen Umständen zurück nach dem, was er dort durchgemacht hat. Nach einem Monat Warten wird er im Dezember 2013 von Karlsruhe weiter nach Reutlingen in ein Flüchtlingsheim geschickt.
Bei der Abwägung gewinnen stets die Paragraphen
Wegen seiner Verletzungen durch das NATO-Bombardement und seines Hautausschlags wird er zur Untersuchung ans Uniklinikum Tübingen verwiesen. Doch zur Behandlung kommt es nicht: Im März 2014, Emmanuel ist gerade unterwegs, bekommt er einen Anruf von einem Mitbewohner des Flüchtlingsheims. Der Asylantrag wurde wie erwartet abgelehnt. Die Polizei sei gerade eben da gewesen, um ihn abzuholen und nach Italien zu schicken.
In einem Land, von dem er dachte, es würde sich für Humanität und Hilfe für Schwächere einsetzten, in einem Land, wo er von einer sicheren und angstfreien Zukunft geträumt hat, wird Emmanuel wieder zum Verfolgten. In einem Land, in dem die Abwägung zwischen Paragraphen und der Unversehrtheit eines Menschen zugunsten der Paragraphen ausfällt.
Ehrenamtliche wollen Emmanuel unterstützen
Er traut sich nun nicht mehr zurück nach Reutlingen. Er hat Angst, sie warten dort auf ihn, um ihn abzuschieben. Er findet Hilfe und Rat bei Menschen, die sich ehrenamtlich um Flüchtlinge kümmern. Sie empfehlen ihm, sich in Reutlingen an das Asylpfarramt zu wenden. Dort schildert Emmanuel sehr detailliert die Erlebnisse der letzten Jahre und seine momentane verzweifelte Situation.
Sie versuchen auf dem Rechtsweg, das Bleiberecht zu erzwingen. Zudem wird von einem Psychiater ein Gutachten erstellt. Er diagnostiziert ein posttraumatisches Belastungssyndrom und empfiehlt dringend eine psychiatrische Behandlung. Doch die kann dauern. Emmanuel will nicht in Reutlingen bleiben. Zu groß ist seine Angst vor der Abschiebung.
Unentdeckt bleiben ist die einzige Chance
Die Dublin III-Verordnung zwingt ihn praktisch dazu unterzutauchen. Emmanuel hat in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Er wird nicht anerkannt, weil er zuvor schon einen in Italien gestellt hatte. Wenn nun nach Ablehnung des zweiten Antrags eine Frist von sechs Monaten verstreicht, ohne dass der Antragsteller in das Land zurückgeführt wird, in dem der Erstantrag gestellt wurde, wäre das Land, in dem der Zweitantrag gestellt wurde, für das Asylverfahren verantwortlich.
In Emmanuels Fall wurde die Frist gewahrt. Sie wollten ihn schließlich schon nach drei Monaten wegschicken. Da er aber nicht aufzufinden war, gilt er nun als flüchtig. In diesem Fall wird die Frist zur Rückführung auf 18 Monate verlängert. Emmanuel musste es schaffen, bis Ende September 2015 unentdeckt in Deutschland zu bleiben, damit die Zuständigkeit für das Asylverfahren auf Deutschland übergeht.
Deutschland bietet keinen sicheren Schutz
Emmanuel ist nun, was viele als einen „Illegalen“ bezeichnen. Doch er ist ein Mensch. Ein Mensch, der durch Zufall in einem Land geboren wurde, in dem er massiver Repression ausgeliefert ist. Ein Mensch, der alles hinter sich gelassen hat, unter Lebensgefahr durch Wüste und über das Wasser geflohen ist und zwei Bürgerkriege miterlebt hat. Ein Mensch, der von einem Luftangriff zur Verteidigung „westlicher Werte“ verletzt wurde. Werte, die aber offensichtlich nicht einschließen, bestimmten Menschen in Not zu helfen.
Er ist ein Mensch, der zwei Jahre lang in Sklaverei gelitten hat und dem in einem reichen und in Überfluss badenden Land der Aufenthalt nicht gestattet ist. Ein Mensch, der sich in einem der sichersten Länder der Welt vor dessen Behörden verstecken musste. Selbst in diesem sicheren Land kann er keine Nacht durchschlafen. Albträume lassen ihn die Hölle seiner Flucht immer wieder durchleben.
Ein Leben in ständiger Ungewissheit
Ständig lebte er in Angst, in eine Personenkontrolle zu geraten. Dies hätte seine unmittelbare Ausweisung bedeuten und ihn somit wieder zurück in eine lebensbedrohliche Lage bringen können. Selbst das Gutachten des Psychiaters stieß bei den Behörden auf taube Ohren. Dabei hieß es in diesem Gutachten abschließend: „Eine Rücküberstellung nach Italien ist aus ärztlich-psychiatrischer Sicht nicht zu verantworten.“
Mittlerweile ist es Anfang November. Seit Ablauf der 18-Monats-Frist sind weitere zwei Monate vergangen. Mehr denn je fühlt sich Emmanuel von den Behörden im Stich gelassen. Seit Wochen wartet er auf eine Antwort vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), um endlich einen Asylantrag stellen zu können. In der Hoffnung, dass die Warterei bald ein Ende hat, hängt er nun aufgrund der unklaren Rechtslage völlig in der Luft. Und solange das so ist, geht das Versteckspiel weiter. Er weiß nicht, wie nun sein offizieller Status ist. Die Gefahr, des Landes verwiesen zu werden, für ihn nach wie vor allgegenwärtig. (Ende)
Teil eins: Statt ins Gefängnis in die Fremde
Teil zwei: Nach der Rettung in den Fängen der Mafia
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