Von unseren ReporterInnen – Memmingen. Über 200 DemonstrantInnen gingen am Samstag, 22. April, in Memmingen gegen Neonazis und ihre Umtriebe auf die Straße. Die Demonstration zum Gedenken an Peter Siebert ist inzwischen ein wichtiger und fester Bestandteil des politischen Lebens der Stadt geworden.
Peter Siebert wurde am 26. April 2008 von einem Neonazi ermordet. Der 40-jährige Memminger Siebert hatte sich über den lauten Rechtsrock seines 22-jährigen Nachbarn beschwert. Alexander B. erstach Siebert daraufhin mit einem Bajonett. Die Tat wurde in der juristischen Aufarbeitung als „Beziehungstat“ eingestuft. Das politische Motiv blieb zunächst unbeachtet. Erst später wurde vom Landgerichtsvize eingeräumt, dass ein rechter Hintergrund der Tat „wahrscheinlich“ sei.
In Gedenken an Peter Siebert begann auch die Demonstration auf dem Bahnhofsvorplatz. Ein Redner wies darauf hin, dass die Amadeu-Antonio-Stiftung eine Liste von 179 Todesopfern rechter Gewalt zwischen 1990 und 2016 in Deutschland führt. Und weiter: „Lediglich 75 Opfer zählt dagegen die Bundesregierung seit 1990. Viele Fälle werden in dieser Statistik nicht berücksichtigt, so auch der Fall Peter Siebert. Die Bundesregierung instrumentalisiert und beschönigt solche Statistiken, um die eigene Weste rein zu waschen und den Anschein zu erwecken, es gäbe in Deutschland keine Gefahr durch Neonazis und rechte Gewalttäter. Deutschland sei schließlich entnazifiziert, jeder Übergriff ein Einzelfall.“
Rosen zum Gedenken
Doch nicht nur der Tod Peter Sieberts, sondern auch die rechte Gewalt im Allgemeinen, die von mehreren Organisationen im Allgäu ausgeht, war Anlass für die Demonstration. Sie bewegte sich nach der Auftaktkundgebung in Richtung Marktplatz. Dort gab es eine Zwischenkundgebung. Bei ihr wurden Rosen verteilt. Die TeilnehmerInnen legten sie symbolisch für Peter Siebert am Marktbrunnen nieder.
Im Lauf der Demonstration reihten sich immer wieder Personen mit ein, um ihre Solidarität zu bekunden. Eine weitere Zwischenkundgebung fand am Mahnmal am Schweizerberg statt.
Die rechte Szene breitet sich aus
Bei beiden Zwischenkundgebungen gingen Redner auf die rechte Szene im Allgäu ein. Einen Großteil trägt die in Memmingen und Umland ansässige Nazi-Kameradschaft „Voice of Anger“ zu ihr bei. Laut Verfassungsschutzbericht ist „Voice of Anger“ mit circa 80 Mitgliedern die größte Naziskinhead Gruppierung Bayerns. Sie sollen auch Verbindungen zu dem in Deutschland seit dem Jahr 2000 verbotenen, rechtsextremen „Blood and Honour“-Netzwerk haben.
Ebenfalls bekannt sind Verbindungen zur NPD. Als eine der Führungsfiguren von „Voice of Anger“ gilt Benjamin E., der in Bad Grönenbach einen neonazistischen Druckshop, Versandhandel und das Plattenlabel „Oldschool Records“ betreibt.
Gegen Neonazis und ihre Umtriebe
Neuerdings findet sich in Memmingen auch ein Ableger der sogenannten Identitären Bewegung (IB). Dies ist eine in Frankreich entstandene Bewegung, die erst in Österreich Fuß fasste und sich nun immer schneller auch in Deutschland ausbreitet. Die vom Verfassungsschutz beobachtete Bewegung gibt sich vordergründig als intellektuell und bildungselitär. Tatsächlich vertritt die IB mit ihrem sogenannten Ethnopluralismus einen völkisch begründeten Rechtsradikalismus mit dem Wunsch nach einer Art globalen Apartheid. Kernthemen der IB drehen sich um den Islam und Migration.
Als einen Partner sieht die IB die AfD mit deren Jugendorganisation „Junge Alternative“. Die AfD hat in der Region zwei Kreisverbände: Oberallgäu/Kempten/Lindau und Memmingen/Unterallgäu. Die Veranstaltungen des Kreisverbands der AfD Memmingen/Unterallgäu werden von extremen Rechten besucht – unter ihnen Anhänger der Neonazikameradschaft „Voice of Anger“, der NPD und der German Defence League.
„Dies alles sind Gründe, weshalb wir heute hier in Memmingen auf der Straße sind.
Lasst uns gemeinsam ein Zeichen gegen Nazis und für eine weltoffene Gesellschaft setzen.
Remembering means fighting – Gegen Nazis und ihre Umtriebe.“ so der Redner bei der zweiten Zwischenkundgebung.
Protest gegen Polizeikontrollen im Vorfeld
In den letzten Jahren war es verstärkt zu Repressionen gegenüber DemonstrantInnen durch die Polizei gekommen. Weiträumige Straßensperren wurden errichtet, um TeilnehmerInnen, die offensichtlich auf dem Weg zur Demonstration waren, zu kontrollieren. Die Polizei durchsuchte Personen und filmte sie zum Teil.
Im Vorfeld zu der diesjährigen Veranstaltung hieß es deshalb auch in einem Aufruf, dass die AktivistInnen das nicht mehr hinnehmen werden. „Wir wollen demonstrieren, ohne polizeilich erfasst und durchsucht zu werden. Wir rufen alle Menschen dazu auf, sich nicht kontrollieren zu lassen und diese schikanösen, kriminalisierenden und illegalen Methoden zu verweigern“, so der Aufruf weiter. Offensichtlich scheint der Unmut im Vorfeld angekommen zu sein. Die Polizei hielt sich zurück.
Polizei schirmt rechte Szenekneipe ab
Die Einsatzkräfte begleiteten den Protestzug ohne größere Zwischenfälle. Es kam lediglich zu einem Wortgefecht zwischen zwei Polizisten und einigen TeilnehmerInnen, als ein offensichtlich der rechten Szene zugehöriger Mann immer wieder versuchte, teilnehmende Personen mit seinem Handy zu filmen. Erst als AktivistInnen ihn lautstark aufforderten, damit aufzuhören, entfernte er sich.
Eine in der Memminger Neonazi-Szene bekannte Kneipe wurde kurz vor Ende der Demonstration weiträumig von Polizisten abgeschirmt. Der Demozug stoppte an der „Kuttelgasse“, in der sich die Kneipe befindet. Nach einigen Minuten lautstarken Skandierens setzte sich die Demonstration wieder Richtung Bahnhof in Bewegung. Dort wurde eine Abschlusskundgebung abgehalten.
Stärken konnten sich die AktivistInnen anschließend bei veganem Chili, das die KüfA (Küche für Alle) vorbereitet hatte.
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