Von Sahra Barkini – Stuttgart. Unter dem Motto „Für eine Welt in der niemand fliehen muss – Stoppt die Kriminalisierung der Seenotrettung“ gab es am Samstag, 6. Juli, auf dem Stuttgarter Marktplatz eine Kundgebung. Der ursprüngliche Anlass waren die Verhaftung der Kapitänin der Sea-Watch 3 Carola Rackete und die Repressionen der italienischen Regierung.
Rackete fuhr am 29. Juni in den Hafen von Lampedusa. Sie habe es nicht länger verantworten können, die 40 geretteten Geflüchteten an Bord nicht an Land zu bringen, erklärte sie. Daraufhin wurde sie von der italienischen Polizei verhaftet. Am 2. Juli wurde sie wieder freigelassen. Sie ließ sich an einem geheimen Ort bringen, da es Drohungen gegen sie gibt. Die Kundgebung richtete sich gegen die Kriminalisierung der SeenotretterInnen, die auch nach der Freilassung der Kapitänin weitergeht.
In Stuttgart versammelten sich etwa 200 Menschen mit Schildern und Transparenten, um Solidarität mit den RetterInnen zu bekunden. Am Marktplatz war eine Installation aufgebaut, die das Morden und die Abschottung der EU-Außengrenzen darstellen sollte.
Sea-Watch will nicht aufgeben
Redebeiträge gab es unter anderem vom Antirassistischen Netzwerk, dem OTKM (Offenen Treffen gegen Krieg und Militarisierung) und dem Stadtrat der Fraktion SÖS Linke/plus Luigi Pantisano. Außerdem wurde eine Audiobotschaft der Kapitänin Carola Rackete eingespielt. Darin sagte sie: „Die Verantwortungslosigkeit der europäischen Staaten hat mich gezwungen, so zu handeln, wie ich es getan habe. Einen Job zu machen, den eigentlich die Staaten machen sollten. Wir leben in einem Europa, in dem man sich für die Einhaltung des Völkerrechts und die Achtung der Grundrechte bald schon entschuldigen muss.“ Und weiter: „Wir als Sea-Watch geben nicht auf. Solange wir zusammenhalten, können wir etwas verändern. Gemeinsam mit euch, der Seebrücke, sind wir stark. Gemeinsam sagen wir Schluss mit der Abschottungspolitik. Seenotrettung kennt keine Grenzen. Genauso wenig wie unsere Solidarität.“
Der Redner des Antirassistischen Netzwerks sprach über die Repressionen gegenüber Geflüchteten am Beispiel des Abschiebegefängnisses Pforzheim, vor dem es am 11. Mai eine Kundgebung gab. Über Telefon konnte ein Gefangener zu den KundgebungsteilnehmerInnen sprechen. Kurz nach dem Ende des Telefonats habe die Polizei das Gefängnis gestürmt. Es habe Repressionen gegenüber den Inhaftierten gegeben. Sie durften beispielsweise keinen Kontakt zu ihren AnwältInnen aufnehmen.
Das Netzwerk fordert Aufklärung
Die Gefangenen, die am 11. Mai in Pforzheim einsaßen, seien vorrangig abgeschoben worden. Das Antirassistische Netzwerk reichte eine Petition an das Land Baden-Württemberg ein. Es sei aber bisher unklar, ob sie behandelt wird. Das Netzwerk fordert Aufklärung, auf welcher rechtlichen Grundlage die Polizei eingesetzt wurde. Es fordert, das Abschiebegefängnis in Pforzheim zu schließen und die Menschenrechte aller zu respektieren.
Die Moderatorin der Kundgebung sagte, dass die Bundesregierung bei der Verhaftung von Rackete so getan habe, als stünde sie auf der Seite der SeenotretterInnen. Allerdings sprächen die Handlungen der Regierung eine andere Sprache. So verabschiedete der Bundestag ein Gesetz zur „Geordneten Rückkehr“. Es bedeute für die Betroffenen noch mehr Entrechtung, noch mehr soziale Isolierung und noch mehr Entzug von Sozialleistungen. Die Rednerin nannte es scheinheilig, wenn jetzt die deutsche Regierung mit dem Finger auf die italienische Regierung zeige.
Stuttgart soll ein „sicherer Hafen“ sein
Für Luigi Pantisano sind Menschen wie Carola Rackete und all die anderen SeenotretterInnen Helden. Er kritisierte das Schweigen der Bundesregierung und das Schweigen des Stuttgarter Oberbürgermeisters Fritz Kuhn. Pantisano sagte, kaum einer hat es mitbekommen, aber bereits 2018 habe es einen Antrag gegeben, Stuttgart zum „sicheren Hafen“ zu machen. „Herr Kuhn beenden Sie Ihr Schweigen und fordern Sie laut die Aufnahme von aus Seenot geretteten Geflüchteten in Stuttgart“, forderte Pantisano.
Nach der Kundgebung zogen einige AktivistInnen und andere KundgebungsteilnehmerInnen in einer Spontandemonstration durch die Innenstadt. Mit Parolen wie „Seenotrettung ist kein Verbrechen“ oder „Hoch die Internationale Solidarität“ zogen sie vom Marktplatz bis zum Schlossgarten. Auf dem Weg wurden Plakate angebracht und Statuen symbolisch Rettungswesten angezogen. An den beiden Brunnen auf dem Schlossplatz schmückten die AktivistInnen unter manch skeptischem Blick der Passantinnen die Figuren mit orangefarbenen Leuchtwesten und setzen kleine Papierschiffchen ins Wasser.
Die Polizei schreitet ein
Dies rief dann auch die Polizei auf den Plan. Sie rückte mit einem Streifenwagen an und erklärte, dass dies nicht gehe. Es solle ein Versammlungsleiter benannt werden. Die Beamten suchten auch nach der Versammlungsleiterin der zuvor beendeten Kundgebung. Nach kurzer Diskussion zogen die DemonstrantInnen weiter in Richtung Schlossgarten. Dort endete die Spontandemonstration.
Dieser Tag in Stuttgart und in 100 weiteren deutschen Städten machte deutlich: „Seenotrettung ist kein Verbrechen“, und die RetterInnen bekommen Solidarität aus der Bevölkerung. Insgesamt waren bundesweit bei mehr als 100 Aktionen über 40 000 TeilnehmerInnen auf der Straße.
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