Von unseren ReporterInnen – Stuttgart-Bad Cannstatt. Ein ungewöhnliches Bündnis von GegnerInnen ausufernder Polizeibefugnisse fand am Samstag, 12. Oktober, in Bad Cannstatt zusammen. Ihr Motto: „Ob Stadion, Streik oder Straße – es kann alle treffen.“ Neben linken und antifaschistischen Zusammenschlüssen hatten auch die organisierten Gruppen der Cannstatter Kurve aufgerufen. Auch Parteien wie die Linke, die Piraten und die Gruppe Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS) waren dabei. Insgesamt versammelten sich etwa 1000 Menschen zum Protest. Auch in Karlsruhe, Mannheim und Freiburg gab es Aktionen des Bündnisses „NoPolGBW“ gegen weitere Gesetzesverschärfungen.
Gegen 15.30 Uhr startete die Demonstration mit einer Kundgebung auf dem Cannstatter Marktplatz. Ein Vertreter vom Commando Cannstatt (CC) und eine linken Aktivistin begrüßten die Versammelten. Dann sprach Rechtsanwalt Mathes Breuer aus München, der sich in der Bewegung gegen das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) in Bayern engagiert und als Anwalt an der Verfassungsklage gegen das PAG beteiligt ist.
„Es kann jeden treffen“
„Die Polizei erhält immer mehr Befugnisse und soll immer früher agieren“, sagte er. Nicht erst bei einer tatsächlichen, sondern schon bei einer „drohenden Gefahr“ solle Polizeirecht angewandt werden. Alles werde in den Bereich des Denkens verlagert. Der Polizeibeamte müsse nur eine plausible These aufstellen, was hätte passieren können, um einzugreifen. Das sei Willkürjustiz, die nichts mit einem Rechtsstaat zu tun habe, sondern mit der Abschaffung des Rechtsstaats.
„Es geht darum, die Polizei auf alle möglichen Szenarien vorzubereiten“, sagte Breuer: Flüchtlingsheime, Fußballszene oder politische Aktivisten, die ohnehin immer ein Dorn im Auge seien. „Die da oben haben keinen Bock mehr, irgendwas zu tolerieren, was sich nicht in Kommerz einbinden lässt“, so seine These: „Es betrifft viel mehr Menschen, als jetzt hier stehen, und nicht nur Randgruppen.“
In Bayern gibt es jetzt Unendlichkeitshaft
Ein Vertreter der Grün-Weißen-Hilfe aus Fürth berichtete ausführlich von der polizeilichen Praxis nach Inkrafttreten des neuen PAG. Die Aktivisten aus Fürth schilderten unter anderem einen Polizeiübergriff auf zum Auswärtsspiel nach Fürth gereisten Fans aus Regensburg. Die präventive Ingewahrsamnahme einiger Fans dort sei eine der ersten bekannte Fälle, in denen das neue PAG angewandt wurde.
Das neue bayerische Polizeigesetz sei unvereinbar mit einem Rechtsstaat. So sei beispielsweise die Unverletzlichkeit der Wohnung nicht mehr garantiert, und es gebe Vorbeugehaft gegenüber angeblichen Gefährdern. Dabei werde die Polizei aufgrund von Anhaltspunkten und Vermutungen tätig, nicht aufgrund von Fakten. Das führe zu einer „schikanösen und völlig willkürlichen Praxis“. Im Grund seien es drei Gesetzesänderungen, die besonders stark ins Gewicht vielen: Die Einführung des Begriffs der „drohenden Gefahr“, die Einführung der Fußfessel zur Überwachung und die Einführung einer Unendlichkeitshaft.
Ähnlich wie zuvor der CC-Vertreter riefen auch die Fürther Fans zum entschiedenen Widerstand gegen das Vorhaben der baden-württembergischen Landesregierung auf. „Ob auf der Straße, im Stadion, bei Streiks – setzen wir der Repressivität des Staates unsere Solidarität entgegen“, hieß es im Aufruf der Roten Hilfe, alle linken Kräfte zu bündeln. Nachdem die Auflagen verlesen waren, nahm der Demozug Aufstellung – an der Spitze der VfB-Block. Die Polizei zog mit einer Reiterstaffel und einem Bus vorneweg. Begleitet wurde die Demonstration auch von einer Trommelgruppe und von Demosanitätern.
Gegen Überwachung und Kontrollen
„Gegen alle Stadionverbote“, wurde skandiert – ebenso „Freiheit für Ultras“ und „Freiheit für alle“ oder „Fußballfans sind keine Verbrecher“. „Wir demonstrieren, wie wir wollen, gegen Überwachung und Kontrollen“, wurde ein Stück weiter hinten im Demozug skandiert, ebenso „Frieden den Hütten, Krieg den Palästen. Feuer und Flamme allen Knästen.“
Sie zog durch die Cannstatter Innenstadt in Richtung Landeskriminalamt und Landesamt für Verfassungsschutz, wo Polizeieinheiten Aufstellung genommen hatten. Lautstarke Fußballfans und kreative Blöcke weiterer Demonstrierender brachten die Anliegen der unterschiedlichen Beteiligten zum Ausdruck. Neben den Gruppen der Cannstatter Kurve waren auch Fans aus Heidenheim mit einem eigenen Block dabei. Dem Aufruf der Roten Hilfe zur Bündelung aller linken Kräfte in einem gemeinsamen Bereich folgten mehrere hundert Menschen, darunter auch Eishokeyfans und AntifaschistInnen aus Villingen-Schwenningen, die mit einem gemeinsamen Bus angereist waren.
Von wegen Rechtsstaat
Vor dem Cannstatter Carrée in der Nähe des Bahnhofs gab es eine Abschlusskundgebung. Ein Vertreter der Heidenheimer Fanszene berichtete von Repressionsmaßnahmen. Deutlich kritisierte er Betretungsverbote und einen übersteigerten Verfolgungswillen in Strafverfahren gegen Fußballfans.
Die Kundgebung komplettierte ein Grußwort der Arbeitsgemeinschaft Fananwälte. „Der Rechtsstaat wird also im Sinne einer Law-and-Order-Politik verstanden, mit der ein starker Staat markiert werden soll. Tatsächlich gemeint ist aber das genau Gegenteil, nämlich die Einhebung des staatlichen Gewaltmonopols und die Begrenzung staatlicher Rechte“, erläuterte ein Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Fananwälte und Strafverteidiger.
Zehn Minuten vor sechs erklärten die Veranstalter die Demonstration für beendet. Während Trachtenträger und andere Feierwillige zum Cannstatter Wasen strömten, hielt sich die Polizei zurück. Ein Beamter versuchte, einen unserer Berichterstatter am Fotografieren zu hindern, als es nach einer rechten Provokation zu einer Rangelei kam. Ansonsten gab es keine wesentlichen Zwischenfälle.
- Rechter Provokateur
- Sicht durch Polizeipferde versperrt
- Er erhielt einen „antifaschistischen Platzverweis“
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