Frankfurt. Vor der 4. Großen Strafkammer des Landgerichts in Frankfurt sollte am Freitag, 6. November, eigentlich der Prozess gegen den Brandstifter Joachim S. beginnen. Laut Medienberichten ist er wegen 16 teils schweren Brandstiftungen angeklagt. Unklar ist, ob zwei Anschläge auf linke Projekte, bei denen er ertappt wurde, Teil des Verfahrens sein werden. Am Mittwochnachmittag erfuhren die Betroffenen eher zufällig von der Aufhebung des ersten Prozesstermins.
Zwischen September 2018 und Juli 2019 gab es im Rhein-Main-Gebiet eine Serie von zwölf Brandanschlägen, die sich gegen linke Wohnprojekte und Zentren richteten. Bei zwei dieser Taten wurde der seit Dezember 2019 in U-Haft sitzende S. auf frischer Tat ertappt. Laut Medienberichten ist er wegen 16 Brandstiftungen angeklagt, die er zwischen Dezember 2018 und Dezember 2019 begangen haben soll.
Zum Prozessauftakt hatten Betroffene der Anschläge auf linke Zentren und Projekte eine Kundgebung geplant. Deren Anmelder erhielt am Mittwoch einen Anruf des 1. Polizeireviers, um den Ablauf der Versammlung zu besprechen. In diesem Gespräch wurde gegen Ende eher nebenbei mitgeteilt, dass der Prozessauftakt aus „organisatorischen Gründen“ verschoben sei. Ein Anruf beim Landgericht bestätigte dies. Gründe wurden nicht genannt.
Zufällig von der Prozessverschiebung erfahren
Anita Conrad, die in einem der betroffenen Projekte lebt, zeigte sich empört über den Umgang der Justizbehörden mit den Betroffenen. Man fühle sich „nicht ernst genommen, wenn wir so kurzfristig und eher zufällig von dem geplatzten Prozessauftakt erfahren. Staatsanwaltschaft und Gericht hätten durchaus die Möglichkeit gehabt, uns direkt über unsere AnwältInnen oder die Opferberatungsstelle ‚Response‘ zu informieren.“ Die Informationspolitik des Gerichts passe „leider allzu gut zur Art, in der Polizei und Staatsanwaltschaft mit uns während der Ermittlungen umgegangen sind“.
Die Betroffenen kritisieren schon seit langem das Vorgehen der Ermittlungsbehörden und haben auf „teils eklatante“ Versäumnisse aufmerksam gemacht. Beispielsweise hatte sich eine Beamtin des Hanauer Staatsschutz im Dezember 2018 unabgesprochen Zugang zum Gelände des Hausprojekts „Schwarze 79“ in Hanau verschafft, auf das am 3. Dezember ein Anschlag verübt worden worden war. Außerdem seien sämtliche MitbewohnerInnen des Projekts vorgeladen worden, obwohl die Polizei wusste, dass zum Tatzeitpunkt nur wenige anwesend waren.
Ermittlungsbehörden auffällig durch „sträfliche Untätigkeit“
„Während hier mit viel Energie versucht wurde, die Brandanschläge auch noch zu nutzen, um Informationen über die Betroffenen und die linke Szene zu gewinnen, glänzten die Ermittlungsbehörden in anderen Fällen mit sträflicher Untätigkeit“, kritisieren die Betroffenen. Als Joachim S. am 21. Dezember 2018 während eines Barabends im Autonomen Kulturzentrum „Metzgerstraße“ Feuer gelegt habe, sei er von Anwesenden gestellt und zum ersten Mal verhaftet worden. Trotzdem habe der Hanauer Staatsschutz wochenlang keine Brandermittler geschickt, so dass sie dann Mitte Januar keine verwertbaren Spuren mehr hätten sichern können.
Auch der politische Hintergrund der Taten werde von den Ermittlungsbehörden bis heute verleugnet – das trotz zahlreicher Indizien, die das rechte Weltbild des Täters offenbarten. Unter anderem habe S. die Rechtsaußenpartei AfD mit einer Spende von knapp 1700 Euro unterstützt – einen Monat vor dem ersten Brandanschlag im September 2018.
Rechte Gewalt und rechter Terror ohne politischen Hintergrund?
Anita Conrad zufolge müssen Betroffene rechter Gewalt und rechten Terrors immer wieder die gleichen Erfahrungen machen. Allzu oft werde der politische Hintergrund der Taten abgesprochen oder gar verleugnet, und die Betroffenen würden für das, was sie erleiden mussten, (mit)verantwortlich gemacht. Auch dass sich Ermittlungen gegen die Betroffenen selbst richten sei viel zu oft der Fall.
An einer für Donnerstagabend, 5. November, geplanten Demonstration unter dem Motto „Feurio! Es brennt schon viel zu lange… Gemeinsam gegen rechten Terror in Staat, Behörden und auf der Straße“ hielten die betroffenen Projekte und ihre UnterstützerInnen fest.
Tom Schmitz, der den Prozess zur Unterstützung der betroffenen Projekte eigentlich ab Freitag als Beobachter begleiten wollte, gibt sich kämpferisch. Der Prozessauftakt sei nur Anlass der Demonstration. Es gebe „leider viel zu viele“ Gründe, um in Hessen gegen rechten Terror auf die Straße zu gehen:
Neonazinetzwerke in der Polizei, NSU 2.0, das rassistische Attentat in Hanau, dem zehn Menschen zum Opfer fielen, der Mordanschlag auf einen Geflüchteten in Wächtersbach, der Mordanschlag auf Ahmed I. in Kassel/Lohfelden und die Ermordung Walter Lübckes durch Neonazis in Istha bei Kassel.
Der endgültige Prozessauftakt ist voraussichtlich am Freitag, 20. November. Das sollen Recherchen ergeben haben. Polizei und Justizbehörden hätten den Betroffenen selbst den Termin nicht verraten wollten.
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