Von Sahra Barkini – Stuttgart. Die Gewerkschaft Verdi hatte für Samstag, 17. Juli, erneut zu Warnstreiks aufgerufen. In Baden-Württemberg folgten etwa 250 Beschäftigte aus dem Einzelhandel dem Streikaufruf. Am Nachmittag gab es eine Streikkundgebung auf dem Schillerplatz in Stuttgart. Neben RednerInnen von Gewerkschaften und Beschäftigten aus dem Handel sprachen auch die Bundestagsabgeordneten Leni Breymaier (SPD), Bernd Riexinger (Linke) und Stefan Kaufmann (CDU). Während die Streikenden auf dem Schillerplatz für höhere Löhne kämpften, eröffnete der Stuttgarter Oberbürgermeister Frank Nopper ein paar Schritte weiter ein Weindorf.
Die „Stuttgarter Zeitung“ berichtete, dass er es „das schönste Weindorf der Welt“ nennt. In Wahrheit ist es eine einzelne Hütte, da pandemiebedingt das Stuttgarter Weindorf ausfallen musste. Die Anliegen der Streikenden schienen ihn nicht sonderlich zu interessieren. Seine Prioritäten liegen offensichtlich woanders. Darauf ging der Moderator der Kundgebung, Verdi-Geschäftsführer Cuno Brune-Hägele, später auch ein.
- Weindorf?
- OB Frank Nopper
In den Wochen zuvor hatte es bereits Warnstreiks gegeben. Verdi fordert 4,5 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von einem Jahr und einen Zuschlag von 45 Euro pro Monat. Außerdem einen Mindestlohn von 12,50 Euro pro Stunde. Die Arbeitgeberseite bot insgesamt 5,4 Prozent für 36 Monate an. Dagegen protestiert die Gewerkschaft nun. Nach Informationen von Verdi arbeiten im baden-württembergischen Einzelhandel rund 490 000 Beschäftigte. Ein neuer Verhandlungstermin ist für den 16. September angesetzt. Während der Kundgebung wurde aber bereits deutlich, dass es keinen ruhigen Sommer geben wird.
Für Brune-Hägele sind die Kundgebungen und Streiks ein Zeichen an die ArbeitgeberInnen. Er sagte: „Bewegt euch endlich, nutzt den Sommer um nachzudenken – wir Beschäftigten im Einzelhandel sind die, die den Laden rocken, und wir wollen ordentlich bezahlt werden.“ Er forderte die ArbeitgeberInnen auf, ihre Blockadehaltung aufzugeben. Mit ihrer bornierten Haltung werde dieser Streik provoziert. Bis vor kurzem sei für die Beschäftigten im Einzelhandel applaudiert worden, und sie galten als systemrelevant. Nun herrsche Schweigen. Die Kampfkraft müsse über die Sommerpause beibehalten werden.
Für die Gewerkschaft nicht zu sprechen
Mit Blick auf die „Weindorf“-Eröffnung mit dem Stuttgarter Oberbürgermeisters berichtete Brune-Hägele von den Auseinandersetzungen mit der Stadt um das ehemalige Parkhaus der Galeria Karstadt Kaufhof GmbH. Es gab bereits Gespräche mit dem ehemaligen Oberbürgermeister Fritz Kuhn. Sie sollten nun mit dem neuen Oberbürgermeister weitergeführt werden, da die Stadt das Vorkaufsrecht für das Parkhaus besitzt und es dabei auch um Arbeitsplätze geht. Nopper möchte eine außergerichtliche Einigung, hat aber mitteilen lassen, dass er für Gespräche mit den VertreterInnen der ArbeitnehmerInnen keine Zeit habe. Er habe wichtigere Termine, man könne stattdessen mit dem ersten Bürgermeister Dr. Fabian Mayer (CDU) reden.
Brune-Hägele sagte dazu: „Es ist Chefsache, und wir wollen mit dem Chef reden und nicht mit dem ersten Bürgermeister. Es geht um Arbeitsplätze, und wer sonntags jammert, dass der Handel in Stuttgart ein Problem hat, und sich Montags weigert, sich mit der Gewerkschaft an einen Tisch zu setzen, um über die Zukunft der Beschäftigten zu reden, der sollte lieber schweigen. Wir erwarten von OB Nopper, dass er sich mit uns an einen Tisch setzt.“
Wolfgang Krüger vom Fachbereich Handeln von Verdi betonte, es sei keine normale Tarifrunde während der Pandemie. Aber die Forderungen, die von der Gewerkschaft erhoben werden, seien gerechtfertigt. Im Einzelhandel werde nach wie vor zu wenig verdient. Der Druck auf die ArbeitgeberInnen müsse bleiben und die Tarife durchgesetzt werden.
Kein Verhandlungsfortschritt ohne Streikdruck
Norbert Heckl überbrachte solidarische Grüße des DGB-Stadtverbands. Der DGB als Dachverband sei solidarisch mit allen Tarifauseinandersetzungen, die die verschiedenen Gewerkschaften führen. Die ArbeitgeberInnen seien nicht mit Argumenten zu überzeugen. Das einzig überzeugende Argument sei der Druck, der durch Streiks aufgebaut wird. Deshalb sei es wichtig, auch nach der Sommerpause Streiks und Kundgebungen weiterzuführen.
Breymaier, SPD-Abgeordnete und früher Verdi-Landesleiterin, kritisierte in ihrer Rede unter anderem den Versandhändler Amazon dafür, Mitglied im Einzelhandelsverband zu werden ohne Tarifbindung. Sie sagte: „Nur und alleine, und das unterstell ich jetzt einfach mal, mit dem Ziel, die Allgemeinverbindlichkeit dieses Tarifvertrags zu unterbinden. Das ist eine große Sauerei.“
- Leni Breymaier, SPD
- Stefan Kaufmann, CDU
Ihr Abgeordneten-Kollege Kaufmann (CDU) betonte, von Applaus alleine könnten die Beschäftigten im Einzelhandel ihre Miete nicht bezahlen. Und weiter: „Amazon und Co. müssen endlich auf ihre Gewinne Steuern zahlen in Deutschland. Diese Probleme hat die Politik und die Regierungspartei CDU zu lösen, ich werde mein Bestes dafür geben.“
„Mehr verdient als Brosamen“
Riexinger (Linke), früherer Verdi-Geschäftsführer des Bezirks Stuttgart, sagte in seiner Rede: „Auf diese Provokation der ArbeitgeberInnenseite kann es nur eine Antwort geben, nämlich die Arbeit niederzulegen bis ihr ’nen vernünftigen Tarifvertrag habt im Handel.“ Beim Streik werde deutlich, ob Betriebe besser ohne Geschäftsleitung oder ohne Beschäftigte funktionieren. Riexinger ist überzeugt, ohne Beschäftigte funktioniert der Einzelhandel nicht. Deswegen hätten Beschäftigte mehr verdient als die Brotsamen, die ArbeitgeberInnen anbieten. Von den großen Gewinnen, die der Handel während der Pandemie erwirtschaftet hat, muss etwas an die Beschäftigten weitergeben werden. Denn die Beschäftigten erarbeiteten die Gewinne und nicht die Aktionäre oder Manager.
Außerdem kritisierte Riexinger, dass im Handel soviel weniger verdient wird als in der Industrie. Die Ursache darin sieht er an der Tatsache, dass im Einzelhandel überwiegend Frauen beschäftigt sind. „Es ist höchste Zeit, dass Frauen gleich viel verdienen wie Männer in diesem Land.“ Aber in allen Tarifrunden, die Riexinger begleitet hat, seien ArbeitgeberInnen nicht fähig gewesen, auch nur einmal ein vernünftiges Angebot für ihre Beschäftigten zu machen. Er betonte er habe großen Respekt vor den Streikenden. Solidarität sei die stärkste Waffe der Beschäftigten.
An diesem Streiktag in Stuttgart beteiligten sich Kaufland Stuttgart, Ludwigsburg und Steinheim. H&M Stuttgart, Ludwigsburg, Waiblingen, Backnang und Sindelfingen. Primark Stuttgart- Königstraße. OBI Bietigheim-Bissigen. Zara Stuttgart und Rewe und Penny Stuttgart und Umgebung.
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