Stuttgart. Ich bin direkt nach dem Parkschützeralarm in den Park gefahren. Ich war zirka um 11.15 Uhr vor Ort. Zu diesem Zeitpunkt war der Park noch ziemlich leer. Die Schüler waren da und vielleicht 500 S-21-Gegner. Schon jetzt hat die Polizei begonnen, mit Tritten und Ellbogenchecks aus ihren Reihen die friedlichen Demonstranten zu provozieren. Mich hat ein Tritt am Schienbein getroffen, obwohl ich in zweiter Reihe stand und nichts getan habe, außer nach den Schülern zu schauen. Von Deeskalationsteams der Polizei war weit und breit nichts zu sehen. Die Parkschützer haben jetzt und die ganze Zeit deeskalierend auf die Leute eingewirkt. Per Megafon wurden immer Sätze wie: „Die Polizei ist nicht unser Feind, die befolgen nur ihre Befehle“, „Ruhig bleiben! Friedlich bleiben!“ und „Keine Gewalt!“ durchgegeben.
Eine Gruppe von anfangs fünf bis sechs Schülern hatte einen LKW mit Absperrgittern besetzt. Als diese aufgefordert wurden, das Fahrzeug zu verlassen, und die Drohung kam, dass der Wasserwerfer gegen diese Schüler im Alter von 12 bis 16 Jahren eingesetzt werden sollte, haben sich einige Demonstranten vor das Fahrzeug gesetzt. Ich habe mich dazu gesetzt, und es war eine freundliche Stimmung bei allen Sitzenden.
Auch hier waren sicher die Hälfte Schüler. Sogar Musik, Lachen und Gesang gab es. Dann rückten maskierte Beamte von vorn vor und stellten sich neben dem Wasserwerfer auf. Dabei gingen sie nicht sehr freundlich mit den Leuten am Rand der Blockade um. Wieder gab es Durchsagen der Parkschützer per Megafon.
Ich selbst sagte einigen Schülern, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass ihnen weh getan wird. Aber sie sollen selbst entscheiden, ob sie gehen wollen. Sie blieben. Neben mir saß eine Frau mit ihren zwei Kindern. Nach einiger Zeit sind die Beamten vor der Seite des Wasserwerfers wieder abgezogen und genauso rücksichtslos wie zuvor schubsten die Beamten am Rand stehende Leute in die Blockade.
In der Zwischenzeit haben einige Demonstranten eine Blockade aus Baumaterialien, die am Rand der Straße lagen, errichtet. Diese wurde mehrmals von der Polizei ab- und von den Demonstranten wieder aufgebaut. Dann kam die Aufforderung der Polizei, die Blockade zu beenden, sonst würde der Wasserwerfer eingesetzt. Es war offensichtlich, wer da saß. Nämlich überwiegend Schüler, Mütter und ältere Leute.
Nach der dritten Aufforderung wurde dann auch ein Schuss in die Blockade aus Baumaterial abgegeben. Da die Demonstranten immer noch sitzen blieben, wurde der Strahl in die Sitzblockade gerichtet. Dann kamen Beamte, die begannen, die Leute wegzutragen. Ohne nochmalige Aufforderung und schon jetzt nicht zimperlich. Ich erinnere noch mal daran, dass es Schüler und alte Leute waren. Und wieder Megafondurchsagen der Parkschützer: „Ruhig bleiben! Keine Gewalt!“
Die Härte der Beamten ließ erst nach, als sie sahen, dass die Mutter mit ihren Kindern absolut friedlich und ruhig vor dem Wasserwerfer saßen. Ich habe diese dann nach Gewaltandrohungen der Polizei gegenüber der Mutter aus der Blockade begleitet. Ich habe mit anderen Demonstranten geredet, die hier schon von Tränengas berichteten. Davon habe ich zu diesem Zeitpunkt aber noch nichts bemerkt.
Nach diesem ersten Räumen fuhr der Wasserwerfer fast ungehindert bis vor die LKWs mit den Zäunen. Allerdings wurde die gesamte Strecke entlang der Zaun errichtet. Demonstranten, die sich von dem Wasserwerfer allein nicht haben einschüchtern lassen, wurden von Polizisten mit Reizgas und unter Einsatz von Schlagstöcken zurückgedrängt. Besonders viel mir dabei ein großer, blonder Gruppenführer mit sehr kurzen Haaren auf. Er prügelte haltlos auf friedliche Demonstranten ein. Wieder zum Großteil alte Menschen und Kinder. Auch ich habe seinen Stock zweimal zu spüren bekommen. Er drängte in die Menschen und schlug brutalst zu. Erst daraufhin wurde der Zaun errichtet.
Kurz vor dem Biergarten wurde der Wasserwerfer wieder durch Demonstranten, mittlerweile Gerüchten zufolge zirka 2000, gestoppt. Ich kann mich an keine weitere Warnung zu diesem Zeitpunkt erinnern. Es wurde in die Blockade und aber auch in die Leute im Biergarten und um die Blockade herum geschossen. Dies passierte absolut gezielt. Ich habe den netten Beamten an der linken Kanone dabei gesehen. Er hatte sichtlich Spaß an seinem Treiben. Später stellte sich heraus, dass etwa an dieser Stelle ein Mann sein Gehör und sein Auge verlor. Berichten zufolge wurde auch auf ihn gezielt mit Wasser geschossen.
Ich stand etwa 30 Meter vor dem Wasserwerfer und wurde des Öfteren getroffen. Hier merkte ich das erste Mal, dass es nicht nur Wasser war, was auf die Menschen abgeschossen wurde. Es war deutlich mit Reizstoffen versetzt und brannte in den Augen und auf den Händen. In der Kurve am Biergarten vorbei war ich weiterhin zirka 30 Meter vor dem Wasserwerfer. Kurz hinter mir wurde ein Zaun errichtet, der auf der Straße kein Durchkommen mehr erlaubte. Die Demonstranten wurden in diesen Zaun gedrängt. Der Wasserwerfer schoss die Leute im wahrsten Sinne des Wortes dagegen. Ich stand mit anderen direkt am Zaun und bat die Beamten dahinter, uns raus zu lassen. Einige versuchten, den Zaun in nackter Panik zu verschieben oder zu öffnen. Dies wurde ohne Warnung mit Faust- und Knüppelschlägen und Reizgaseinsatz beantwortet. Das Gas wurde absolut gezielt auf die Augen gesprüht. Ich merkte hier das erste mal die wirklichen Auswirkungen ohne direkten Treffer am eigenen Leib.
In schierer Angst kamen die Menschen links am Zaun vorbei. Dort empfingen uns einige Beamte aus Hessen. Diese sperrten den weiteren Weg ab. Von hinten rückten Beamte aus Bayern auf und zwischen diesen beiden Gruppen wurden wir wieder eingekesselt. Das ganze war kurz vor der Eskalation, als die Beamten dann doch einsahen, dass die Demonstranten nicht weg konnten und der Druck ließ nach. Kurz waren einige Beamte von der Demonstrationsmasse umringt. Doch niemand hat diesen was getan und sie wurden friedlich durch eine Gasse nach draußen gelassen. Hier traf ich auf einen wirklich freundlichen Beamten, der sich tatsächlich für seine Kollegen entschuldigte und mir sagte, dass der Befehl nur lautete, zu räumen und die Fahrzeuge zu schützen, nicht aber so hart vorzugehen. Er erzählte, dass er eigentlich nicht hier stehen wolle.
Nun begannen die Leute sich unter Planen gegen den Strahl aus dem Wasserwerfer zu schützen. Hier wurde auch wieder dreimal verwarnt. Die unmittelbare Antwort der Beamten auf die Planen war, Reizgas unter diese zu sprühen. Das Gas, das laut Waffengesetz eben als genau das gilt, als Waffe, staute sich darunter und die Leute in der Mitte der Plane waren dem Gas sehr lange ausgesetzt. Doch auch hier wurde immerzu durch Megafone zur Ruhe aufgefordert. Die Aussage „die Polizei ist nicht unser Feind“ wurde allerdings immer widerwilliger aufgenommen. Auch von mir! Auch ich war unter einer dieser Planen. Allerdings zum Glück nur am Rand und ich konnte sehr schnell darunter vor.
Am Biergarten und auf der Straße davor wurden mehrere Menschen in die Biergarnituren gespritzt und dabei verletzt. Auch hier wurden wieder friedliche Demonstranten, die weit weg von der zu „befreienden“ Straße standen direkt und gezielt beschossen. Sitzblockaden, die sich gebildet hatten, wurden jetzt entweder direkt durch Gaseinsatz zerstreut oder, wie die in der ich saß, mit brutalem wegschleifen und sehr harten und schmerzhaften Polizeigriffen. Auch Gas und Knüppel wurden die ganze Zeit über eingesetzt. Als ich weggetragen wurde, wollten die Beamten mich zum Laufen zwingen. Sie drohten mit Gas, Elektroschock und damit, mich in den Matsch zu stoßen. Das versuchte einer dann auch. Als ich dann die Beine zur Stütze runter ließ, meinte er: „Geht doch!“
Ich setzte mich in den Matsch und der nette Beamte wendete einen Griff an meinem Daumen an. Sie zerrten mich wieder hoch und stießen mich grob in mehrere Beamte auf dem Weg und danach in die Menschen außerhalb der Polizeiketten. Wir setzten uns direkt an der Stelle wieder hin und die Polizei versuchte, die Demonstranten einzukesseln, indem sie seitlich an den Leuten vorbei drängen wollten. Allerdings stieß das auf massigen Widerstand der noch stehenden Beamten. Diese setzten wieder Gas und Knüppel zur Auflösung der Blockade ein. Nachdem ihnen das gelungen war erfolgte wieder die Räumung durch sprühen von Gas unter Planen und Einsatz der Knüppel. Erst danach wurde weggetragen. Ohne Warnung und ohne irgendeine Form der Aufforderung. Ich wurde zuerst von einer Beamtin und einem Beamten getragen. Allerdings war ich den beiden wohl zu schwer. Sie zwangen mich mit oben beschriebenen Methoden wieder zum selbst laufen. Die Beamtin meinte: „Wo sind wir denn?“ „Das frag ich mich auch“ war meine Antwort. Sie begann zu husten, weil weiter vorne wieder Gas eingesetzt wurde. „Ja. Nimm eine schöne Nase!“, sagte ich zu ihr und bekam den Ellenbogen ihres Kollegen in die Rippen. Nach diesem Wegtragen und brutalem Gestoße und Geschubse wurde mir mehrmals ein Schlagstock in den Rücken gerammt. Mehrere Beamte prügelten die Menschen weit vom späteren Standpunkt des Zauns weg. Ließen sie wieder vor und drängten sie nochmals zurück. Einige Beamte fielen sehr durch ihre Rücksichtslosigkeit auf und wurden dann auch von Kollegen entfernt.
Wieder ging ich nach vorn und stellte mich ein letztes mal vor den Wasserwerfer. Diesmal war der Widerstand der Demonstranten so ermüdet, dass ich auch nach der Aufforderung der ersten unmaskierten Beamten, die an einer Räumung beteiligt waren, aufstand und mich seitlich unter die Platanen entfernte. Der Beamte im Wasserwerfer hingegen schien nicht zu bemerken, dass der Widerstand so gut wie gebrochen war. Er spritzte weiter mit unverminderter Wucht auf die wenigen Blockierer, aber auch wieder auf friedlich am Rand Stehende. Diesmal ging der nette Herr links an der Kanone noch weiter. Er richtete seinen Hochdruckstrahl auf Leute, die in circa 6 Metern Höhe in Bäumen saßen. In der offensichtlichen Absicht diese von den Bäumen zu spritzen, hielt er minutenlang auf die Menschen im Baum. Scheinbar kam dann ein Befehl und der Wasserwerfer wurde abgestellt.
Etwa eine halbe Stunde nach dem setzen des letzten Zaunelements versuchten einige Demonstranten neben mir, den Zaun wieder einzureißen, was mit wiederholtem Gaseinsatz und sehr üblen Prügeln mit Schlagstock und Faust geahndet wurde. Es wurde direkt auf Fingerknöchel, Mägen und Schienbeine geschlagen. Antifa-Anhänger, die ebenso friedlich wie die anderen am Rand standen, sagten mir, sie hätten so eine Härte und Gewalt noch nie gesehen.
Jetzt wurden erste Berichte über 1000 Verletzte, darunter 100 Kinder, und den Aufnahmestopp der Stuttgarter Kliniken verbreitet. Auch das Bild des Mannes mit dem ausgeschossenen Auge wurde jetzt verteilt. Ich war triefend nass, unterkühlt und meine Hände, mein Hals und mein Gesicht brannten vom Gas und dem mit Reizstoff vermischtem Wasser. Um ca. 19.30 Uhr verließ ich den Park.
Am 01.10.2010 war ich wegen Atembeklemmungen, Schwindel, Kopfschmerzen und Übelkeit im Krankenhaus. Es stellte sich heraus, dass ich keine körperlichen Schäden habe, aber ein seelisches Trauma und immer wieder panikartige Angstattacken. Ich habe noch niemals so etwas wie an diesem Tag erlebt und ich hoffe, dass es auch bei diesem einen mal bleibt. Allerdings fürchte ich, dass es das nicht wird. Ich glaube auch, dass nicht einmal dieser Bericht ein realistisches Bild dieses Tages liefern kann. Trotzdem gebe ich nicht auf und werde auch weiterhin bei Demos dabei sein.
Der 30.9. hat mich politisiert und ich bin sicher, ich bin nicht der Einzige, dem es so geht. Ich glaube nicht, dass sich die Verantwortlichen einen Gefallen damit getan haben, friedlich protestierende Bürger auf eine so unverhältnismäßige Art anzugehen. Bei mir haben sie auf jeden Fall nur eins erreicht. Den Willen zum Widerstand gestärkt!
OBEN BLEIBEN!
Weitere Bilder von den Ereignissen am 30. September 2010 von
Thomas Trüten / www.umbruch-bildarchiv.de und
Jens Volle / www.jensvolle.de
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