Stuttgart. Es ist absurd: Landesinnenminister Reinhold Gall will Schulterkameras für Polizisten testen. In Hessen sind 13 solcher Mini-Kameras in Gebrauch. Nächstes Jahr soll ihr Einsatz auf das ganze Bundesland ausgedehnt werden. In Baden-Württemberg sollen die Schulterkameras „in Brennpunkten in Mannheim und Freiburg“ erprobt werden, heißt es im Ministerium. Angeblich, um die wachsende Gewalt gegen Polizisten einzudämmen.
Die Zahl der Übergriffe hat nach Angaben der Polizei im Südwesten im ersten Halbjahr 2014 im Vergleich zum Vorjahr um 5,5 Prozent auf 1829 Fälle zugenommen. Die Zahl der Körperverletzungen sei auf 1053 Fälle gestiegen.
Offenbar werden vor allem Trunkenbolde übergriffig. Mehr als 60 Prozent der Tatverdächtigen waren alkoholisiert. Sie sollen auf Wunsch der Polizei mit den kleinen Kameras in Schach gehalten werden. Nach den Erfahrungen aus Hessen schrecke die Videoaufzeichnung „potenzielle Aggressoren“ ab und verhinderten, dass sie spucken, pöbeln oder handgreiflich werden. Das Tragen der Kameras reduziere auch „das problematische Solidarisierungsverhalten zunächst Unbeteiligter mit Störenfrieden“.
Die Polizei hat auch sonst noch so einige Forderungen im Köcher. So verlangt ihre Gewerkschaft einen eigenen Straftatbestand „Gewalt gegen Polizeibeamte“.
Klar, dass sich solche Kameras auch prima bei Kundgebungen und Versammlungen einsetzen ließen. Was Polizisten so alles als Gewalt auslegen – davon können all jene ein Lied singen, die nach ihrem Protest gegen die Naziaufmärsche in Dresden oder nach den Demonstrationen der Rechten Allianz um die so genannten Bildungsplangegner in Stuttgart kriminalisiert wurden. Die Polizei filmt bei solchen Anlässen nahezu anlasslos und flächendeckend – angeblich, um Straftäter zu identifizieren.
Nun also die Forderung nach Schulterkameras. Klar doch, dass CDU-Landeschef Thomas Strobl den Überlegungen freudig zustimmt: „Ich unterstütze Innenminister Gall bei allem, was der Sicherheit unserer Polizei dient“, wird er in Zeitungen zitiert. Zögerlicher äußerte sich der Grünen-Landesvorsitzende Oliver Hildenbrand. „Die meisten Täter sind alkoholisiert und handeln im Affekt, da scheint mir die abschreckende Wirkung von Kameras fraglich.“ Bei der Polizei gebe es andere Ausstattungsprobleme. Es fehlten Schutzhelme, und der Digitalfunk sei nicht voll ausgereift.
Vielleicht erinnert sich Hildenbrand daran, was bei der Ausrüstung der Polizei vor allem fehlt: Namensschilder oder eine anonyme individuelle Kennziffer. Die Kennzeichnungspflicht steht im grün-roten Koalitionsvertrag, scheint aber stillschweigend in Vergessenheit geraten zu sein, zumal Innenminister Reinhold Gall ihre Umsetzung aufschob.
Vor allem nach dem Schwarzen Donnerstag am 30. September 2010 im Stuttgarter Schlosspark wurde sie dringend gefordert. Allein 156 Strafverfahren wegen mutmaßlicher Übergriffe der Polizei wurden im Nachgang dieses Ereignisses eingestellt – unter anderem, weil kein Beschuldigter identifiziert werden konnte.
Die Kennzeichnungspflicht ist in Baden-Württemberg mehr als überfällig. Dafür denkt man in Hessen schon weiter. Die Schulterkameras, die bisher angeblich nur bei „problematischen Personenkontrollen“ und beim Schlichten von Streitigkeiten eingesetzt wurden, nehmen nur Bilder auf. In Zukunft will Innenminister Peter Beuth auch den Ton aufzeichnen. Beleidigungen und der Verlauf einer Eskalation seien so vor Gericht leichter belegbar. Eine Gesetzesänderung ist in Vorbereitung.
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