Von Angela Berger – Sontheim/Heilbronn. Mitten in der Nacht startete am Donnerstag, 16. November, um 2.05 Uhr der vierte Transport radioaktiver Abfälle vom stillgelegten Atomkraftwerk Obrigheim zum Zwischenlager in Neckarwestheim. Dem Sprecher der Einsatzleitung Roland Fleischer zufolge war dieser Nachttransport „Einsatztaktik“. Die Fahrt mit hochriskanten radioaktiven Abfällen bei absoluter Dunkelheit sei „sehr akribisch“ vorbereitet worden. Die Polizeigewerkschaft hatte im Vorfeld selbst die Transporte in der Dunkelheit kritisiert.
Der baden-württembergische Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Hans-Jürgen Kirstein hatte die Organisatoren des Transports im Vorfeld aufgefordert, die Castoren aus Sicherheitsgründen nur bei Tageslicht zu befördern. „Falls erforderlich, muss der Transport in zwei Etappen gesplittet werden“, erklärte er. Doch am Donnerstag knickte Kirstein schon ein, nachdem für die Nachtfahrt „taktische Gründe“ angegeben worden waren: Damit könne er auch leben, erklärte er.
Blaue Fässer und Gummi-Enten
„Diese Fahrten bei Dunkelheit sind hochriskant und werden nur aus rein strategischen Gründen in die Nacht gelegt. So sollen Proteste verhindert werden“, erklärte dagegen Herbert Würth, Sprecher des Aktionsbündnisses „Neckar Castorfrei!“. Doch trotz der „akribischen Planung“ war einigen Aktivisten in Sontheim beim Fischerheim ein erfolgreiches Störmanöver gelungen.
Während sich die Polizei mit zwei aufblasbaren silbernen Würfeln und zwei dazugehörigen Demonstranten beschäftigte, konnten auf der gegenüber liegenden Uferseite einige Aktivisten in Taucheranzügen in den Neckar springen. Weitere Helfer konnten ungehindert an einer anderen Stelle am Ufer mehr als 15 blaue Fässer mit dem Atomzeichen in den Neckar werfen. Dazu gesellten sich noch die schon bekannten großen, gelben Gummi-Enten und etliche Banner.
Eiskaltes Wasser hält Aktivisten nicht ab
Die zehn Schwimmer ließen sich weder von dem nur 7 Grad kalten Wasser und 2 Grad Außentemperatur noch von dem großen Polizeiaufgebot an ihrem Vorhaben hindern. Nach kürzester Zeit trieben die Schwimmer in Richtung des Atomtransportschiffes.
Irgendwann hatte die Polizei auch die Helfer an Land erreicht, aber erst, als fast alle Fässer und Zubehör abgeladen waren. Die Helfer an Land wurden von den Beamten eingekesselt. Den Schwimmern im Neckar folgten am Ufer einige Journalisten, eine unglaubliche Zahl an weiblichen und männlichen Polizeibeamten in Zivil, vermutlich das komplette Polizeikommunikationsteam aus Stuttgart, viele BFE- Beamte, Einsatzleiter und auch einige Zuschauer in Richtung Heilbronn.
Beobachter an Land halten den Atem an
Ein Teil der Schwimmer war beim Eintreffen des Schiffes schon ans Ufer geschwommen, aber einige waren noch mitten auf dem Neckar, als sich das Schubschiff mit dem radioaktiven Atommüll offensichtlich mit unverminderter Geschwindigkeit näherte. Ein so großes Schiff braucht lange, um anzuhalten. Aber zu dem Zeitpunkt waren die Aktivisten schon mindestens ein halbe Stunde im Wasser gewesen. Es wäre also mit Sicherheit kein Problem gewesen, über Funk das Schiff wenigstens zu einer Verlangsamung oder gar zu einem vollkommenen Stopp zu bewegen.
Statt dessen riskierte die Einsatzleitung lieber das Leben der Schwimmer, kritisierten Beobachter. Dabei war doch die oberste Prämisse der Polizei die Sicherheit gewesen. Sie gehe vor Geschwindigkeit, so der Sprecher der Einsatzleitung Roland Fleischer. Ob der Transport eine Stunde früher oder später in Neckarwestheim ankommen würde, „spielt für uns keine Rolle“.
Polizei lässt frierende Aktivisten warten
Mit der Sicherheit meinte der Polizeibeamte wohl nicht die Sicherheit der Aktivisten, sondern wohl eher die Sicherheit des Atommülls.
Mehrere Aktivisten kamen dem fahrenden und schlecht manövrierbaren Schiff gefährlich nahe. Es war auf keinen Fall so, dass alle Hindernisse aus dem Wasser geräumt waren, als das Schubschiff passierte. Selbst einige Beamte beobachteten offensichtlich mit angehaltenem Atem vom Ufer aus die Vorgänge im Wasser. Die Aktivisten konnten den Fluss jedoch unverletzt verlassen. Lange danach fuhr ein weiteres Schiff den Neckar entlang und fischte Tonnen, Enten und andere Gegenstände aus dem Fahrwasser.
Die zitternden und frierenden Aktivisten mussten ungewöhnlich lange in der Kälte auf ihre erkennungsdienstliche Behandlung warten. Die Schlüssel sämtlicher Autos, in denen warme Kleidung eingeschlossen war, wurden eingesammelt. Erst nach einigem Zureden und längerer Zeit durften die Schwimmer – teilweise noch immer in den Taucheranzügen und frierend – ihre Kleidung wechseln.
Möglicherweise technische Probleme
Dieses Mal hatte das Schubschiff „Ronja“ die hochradioaktiven Abfälle etwa 50 Kilometer auf dem Neckar geschoben. Warum in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag nicht wie üblich das Schubschiff „Edda“ eingesetzt werden konnte, war nicht zu erfahren. Die Gegner des Atommülltransports vermuten technische Probleme dahinter.
Der leere Schubverband war auf der Hinfahrt von Neckarwestheim nach Obrigheim getrennt worden. „Edda“ blieb über drei Stunden in Neckarzimmern und konnte Obrigheim und den Rest des Konvois erst im Dunkeln erreichen. Auch soll ein Werkstattwagen der Reederei in Obrigheim gesichtet worden sein. Nach etwa elf Stunden erreichte etwa um 13 Uhr auch der vierte Atommülltransport Neckarwestheim.
Siehe auch „Castor-Transport auf dem Neckar startet holprig“
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