Von Meide Wolt – Stuttgart. Um auf die Ermordung von transsexuellen Menschen aufmerksam zu machen, kamen am Montag, 20. November, 40 Personen in der Stuttgarter Königsstraße zu einer Kundgebung zusammen. Das „Trans Murder Monitoring Projekt“ (TMM) geht für 2016 von weltweit 325 Mordfällen aus (wir berichteten).
Janka Kluge nannte die Morde „Hassverbrechen, die sexistisch und rassistisch sind“. Sie verlas eine Rede von Frenesys Ryes aus Honduras, die zeitgleich persönlich auf einer Kundgebung in München sprach. Darin hieß es:
„Nicht wir sind gefährlich und abnormal, sondern diejenigen, die unsere Herkunftsländer in Armut, Gewalt und Korruption versinken lassen.“
Ryes ist als Trans-Aktivistin 2016 aus Honduras geflüchtet. Allein in Honduras sind seit 280 Hassverbrechen seit 2009 gegen LGBTIQ-Personen (lesbisch, schwul, bi, trans, inter, queer) registriert worden, so Kluge.
Forderungen an Gesetzgebung und Krankenkassen
Christina Vogelmann von der Landesarbeitsgemeinschaft „Queer“ der Linken forderte in ihrer Rede neben dem „Abbau von diskriminierenden Rechtsvorschriften und demütigenden Verwaltungsprozeduren“ auch den „Zugang zu allen spezifischen medizinischen, therapeutischen und beratenden Leistungen und die damit verbundenen Medikamente“.
Für eine Gesellschaft des Zuhörens
Kim von ‚Aktion Transsexualität und Menschenrechte‘ kritisierte, dass in einer sexistischen Gesellschaft Aussehen und Verhalten eines Menschen von Außenstehenden bewertet und dann in „Schubladen“ Mann, Frau, Transgeschlecht oder Intergeschlecht gesteckt werde. Dagegen forderte Kim: „Geschlecht muss gar nicht gedeutet werden. Wir könnten Menschen einfach zuhören, was diese über ihr Geschlecht äußern.“
„In einer solchen Gesellschaft, die auf Zuhören und Respekt basiert, wäre klar, dass Frauen mit Transsexualität Frauen sind und keine Männer, die sich wie Frauen identifizieren“, so Kim weiter. Dazu aber müsse anerkannt werden, „dass dein geschlechtliches Wissen, das Du über Dich selbst hast, ein Wissen ist und eben kein seltsames Gefühl oder eine ‚abweichende Geschlechtsidentität'“.
Nach einem Grußwort der deutschen Gesellschaft für Transsexualität und Intersexualität sprach auch Katharina Vater von der Beratungsstelle InTra in Stuttgart, und es gab ein Straßenkabarett des Schauspielers Horst Emmrich als „Geschlechtsdoktor“. Zu der Kundgebung hatten Privatpersonen und das „Projekt 100% MENSCH“ aufgerufen.
Die Rede von Katharina Lisa Vater von InTra Beratung – „Projekt 100% MENSCH“ im Wortlaut:
„Guck mal die da – war die mal ein Mann?
Transe.
Die hat sich umbauen lassen. Ist ja ekelhaft. So was gehört erschossen. Früher hätte man so was vergast. Schwuchtel. Tunte. Umgebauter Mann! Was hat der sich angetan? Missgeburt! Asozial. Verrückt, widerlich. Du bist gegen die Natur. Du beleidigst Gott! Du bist ja gestört. Du bist hässlich. Geh sterben. Dich muss man mal richtig verdreschen. Du wertloses Stück Scheiße!
Wisst Ihr, wissen Sie, was das gerade war? Mein Alltag. So sieht mein Alltag aus! Jeder Tag! Diese Beleidigungen und noch viele mehr bekomme ich zu hören, wenn ich friedlich in der S-Bahn sitze. Wenn ich von A nach B laufe. Egal, um welche Tages- oder Nachtzeit. Beim Warten in der Schlange an der Kasse. Diese Worte begleiten mich einfach IMMER und ÜBERALL!
Umoperierte! Mannsweib!
Dazu kommen die Blicke. Abwertende, verachtende und angewiderte Blicke. Die Grimassen und das heimliches Getuschel – laut genug, damit ich es ja noch hören kann. Manchmal zeigen Menschen mit dem Finger auf mich. Jeden Tag dasselbe Spiel: Wann entdeckt jemand „den Freak“, „die Transe“, „die Umgebaute“ – wann entdecken sie mich?!
Transe! Schwuchtel!
Vieles lernt man zu ertragen. „Lass das bloß nicht an Dich ran, sonst macht es Dich fertig!“ Diesen Rat bekam ich schon sehr früh und versuchte mich daran zu halten. Mit manchem kann man umgehen. Manches wegstecken. Manchmal kann man sich sogar wehren. Meistens nicht. Einiges kann man ignorieren, einiges überhören. Aber eben nicht alles. „Sticks and stones may break my bones – but words will never hurt me!“ – dieser Satz ist ein Wunschtraum. Er ist eine Illusion. Worte verletzen. Worte zerstören – und Worte können töten. Viele von uns entwickeln ein dickes Fell. Andere verlassen das Haus nicht mehr alleine. Und manche finden gar keine Lösung und verzweifeln.
Und es gibt mehr als Worten. Wir laufen immer Gefahr körperlich angegriffen zu werden. Zusammengeschlagen zu werden. Bespuckt. Geschubst. Getreten. Und dennoch werden bislang transfeindliche Angriffe und Straftaten nur selten als Hassverbrechen gewertet. Hassverbrechen sind Straftaten, bei denen im Vordergrund steht, dass das Opfer einer bestimmten Gruppe angehört. Also Gewalt gegen Frauen. Gewalt gegen Schwule und Lesben, gegen Ausländer*innen oder eben gegen Menschen wie mich. Menschen wie uns. Menschen mit Transsexus. Transgender. Menschen mit einer geschlechtlichen Thematik.
Und immer wieder kommt es vor, dass wir gleich zweimal Opfer werden – einmal Opfer einer Straftat und dann Opfer der Demütigung, wenn wir bei der Erstattung der Anzeige ausgelacht werden oder die Straftat klein geredet wird. Es läuft nicht immer so – aber leider oft genug. Wenn wir selbst von der Polizei nicht ernst genommen werden? An wen können wir uns wenden?
Und es hört auch dort nicht auf.
Viele von uns verlieren ihren Arbeitsplatz, weil Abteilungsleiter*innen oder Chef*innen sich von der Situation überfordert fühlen. Wo von eigentlich überfordert?
Viele von uns gehen mit ungutem Gefühl zur Arbeit, weil die Kolleg*innen jede Möglichkeit nutzen uns zu mobben? Meist bekommen wir den Job ohnehin erst gar nicht, da Arbeitgeber*innen Angst vor Reaktionen der Belegschaft haben. Oder vor potentiellen Auftraggeber*innen.
Ich habe zum Beispiel innerhalb eines Jahres über 400 Bewerbungen geschrieben. Sage und schreibe vier Vorstellungsgespräche wurden mir angeboten! Und das obwohl ich, wie so viele hier, gute Zeugnisse und eine gute Ausbildung haben. Leider blieb es bei den Vorstellungsgesprächen. Dann kamen die Absagen. Vermieter*innen geben uns die Wohnung nicht, weil sie mit der Thematik nicht vertraut sind! Was würden bloß die anderen Mieter*innen im Haus sagen? Angestellte der Agentur für Arbeit und vor allem des Jobcenters sind mit uns überfordert, so landen wir in einer Maßnahme nach der anderen. Unser Können, unsere Kompetenzen und unsere Ausbildungen werden nicht wahrgenommen! Wo wir hinkommen, werden wir reduziert. Mediziner*innen reduzieren uns auf unsere Eigenschaften, transsexuell zu sein. Jeder Schnupfen, jedes Ziepen hat plötzlich seine Ursache in einzig dieser Eigenschaft. Vieles wird einfach auf die Hormone geschoben. Hormone, die wir einnehmen müssen. Oder man schiebt es darauf, dass der Körper eine Angleichung von körperlichen Merkmalen nicht so einfach aushält. Oft werden wir nur als transsexuell gesehen, nicht als Mensch mit Transsexus! Trans zu sein ist nur EINE unserer Eigenschaften. Unserer menschlichen Eigenschaften. Ich bin Mensch und nicht Trans.
Aber wir werden darauf reduziert. [So wie manche Frauen auf „geile Titten“ reduziert werden, werden wir auf unseren Transsexus reduziert.] Und diese Reduzierung nimmt uns unsere Menschlichkeit. Sie senkt die Hemmschwelle derer, die nichts als Verachtung und Hass für all jene haben, die nicht in ihr Weltbild passen. Vor allem was fremd ist. Empathie wird zum Fremdwort, wenn Hass das letzte bleibende Gefühl ist. Warum sonst müssten wir uns hier versammeln in Gedenken an Menschen, die nichts anderen wollten, als sich selbst nicht mehr zu belügen? Endlich die Person zu sein, die sie waren. Menschen, die einfach nur glücklich sie selbst sein wollten.
Und ich stehe hier und sollte mich glücklich schätzen, überhaupt sprechen zu können. Es gibt Länder, in denen Menschen mit Transsexus nicht nur von der Gesellschaft, sondern auch von der Justiz verfolgt werden. Todesstrafe oder völlige Entrechtung sind in über zehn Ländern der Welt von den Gesetzen her vorgesehen. Hinzu kommen Länder, in den Menschen mit Transsexus Opfer von Morden aus gekränkter Ehre oder Familienstolz werden – in vielen Fällen bleiben die Morde unverfolgt.
Ich lebe nicht in der Illusion zu glauben, dass ich in meinem Leben noch erleben werde, dass Menschen wie ich, nicht mehr für ihre reine Existenz getötet werden. Aber ich werde nicht schweigen. Wir werden nicht schweigen.
Dieser Tag ist nicht nur ein Tag des Gedenkens an die vielen Opfer. An unsere ermordeten Brüder und Schwestern. Dieser Tag ist auch eine Mahnung. Eine Mahnung an uns als Gesellschaft, uns gemeinsam gegen den Hass zu stellen. Wir verlangen nicht viel. Es sind bereits kleine Gesten – sprecht uns mit unserem Namen an und nutzt das richtige Personalpronomen. Lehrer*innen, Kolleg*innen, Arbeitgeber*innen und Mediziner*innen – wir sind mehr als Menschen mit Transsexus. Liebe Politiker*innen, setzt endlich die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes um und schafft ein neues Personenstandsrecht! Und wenn ihr es richtigmachen wollte, dann bezieht uns in die Entwicklung mit ein! Sprecht mit uns – nicht über uns.
Dieser Tag ist aber auch eine Mahnung an uns selber: Wir müssen gemeinsam die Dinge ändern. Wir dürfen uns nicht verstecken oder einfach abtauchen. Wir müssen da sein. Für die Kinder und Jugendlichen, die hilflos vor der Aufgabe stehen, ihr wahres Geschlecht leben zu wollen und nicht wissen, was sie tun können. Wir müssen da sein, für Eltern, die ein Kind mit Transsexus haben und denken, sie hätten etwas falsch gemacht. (Nein, habt Ihr nicht! Sich abzuwenden – das wäre der Fehler!) Wir müssen unsere Erfahrung weitergeben. Unsere Hilfe anbieten. Wir müssen sichtbar sein, damit die Gesellschaft sieht: wir sind nicht wenige. Wir sind viel mehr als die meisten denken. Wir müssen aktiv werden. Denn nicht alle Opfer sind Opfer direkter Gewalt. Manche sind Opfer der Welt, die sie verstößt, alleine lässt und ihnen das Gefühl gibt, keinen anderen Ausweg zu haben.
Dieses Jahr sind es 325 Namen. 325 Ermordete, von denen wir wissen. 325 Menschen, denen wir heute gedenken. Und mit ihnen gedenken wir allen, die wegen ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Herkunft – ihres Menschseins verfolgt und ermordet werden.
Gesellschaft ist Vielfalt – Vielfalt entsteht gemeinsam!“
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