Von Alfred Denzinger – Ellwangen. Der Vorwurf wog schwer: tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und Widerstand bei der Festnahme. Der Angeklagte, erst seit Januar diesen Jahres in Deutschland, sitzt deshalb seit 4. Mai in Untersuchungshaft. Er wird am Mittwoch, 8. August, mit einem Gefangenen-Transporter „angeliefert“ und mit Fußfesseln in den Gerichtssaal geführt. Die zehn ZuschauerInnen stehen aus Respekt vor dem jungen Mann auf. Die Fußfesseln bleiben während der Verhandlung angelegt. Erst am Ende werden sie dem 31-Jährigen aus Guinea abgenommen. Er verlässt den Gerichtssaal als freier Mann. Denn vom Vorwurf „tätlicher Angriff“ blieb absolut nichts übrig.
Das Urteil: 450 Euro Geldstrafe wegen Widerstands – 90 Tagessätze á 5 Euro – verrechenbar mit der verbüßten U-Haft. Eine Entschädigung für die Untersuchungshaft wird der Mann nicht erhalten.
Die Vorgeschichte
Die BewohnerInnen der Geflüchteten-Unterkunft in Ellwangen sollen am 30. April durch Schreien, Krach und Gebärden die Abschiebung eines Togolesen verhindert haben. Drei Tage später, am 3. Mai, kam die Polizei zu einer Razzia. Sie behauptete, die BewohnerInnen wollten sich bewaffnen. Ein Polizeizeuge gab nun an, dass der Einsatz mit 500 bis 600 Polizeibeamten den Zweck der Personalienfeststellung gehabt habe. 290 Personen seien hierbei überprüft worden. Es habe zwanzig Fluchtversuche gegeben. Waffen fanden sich nicht, so die Aussage eines Polizisten bei einer früheren Verhandlung. Wir berichteten unter „Polizisten und bewaffnete Spezialkräfte stürmen Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge„, „„Viel wurde über uns geredet, jetzt reden wir““ und „Protest gegen Kriminalisierung„.
Der jetzt angeklagte Asylbewerber wurde am 3. Mai um 5.21 Uhr aus dem Schlaf gerissen. Zunächst drangen nach seinen Angaben vier behelmte Polizisten in Kampfmontur mit Schreien „Polizei, Polizei“ in sein Zimmer ein. Die Beamten hätten sonst nichts gesagt. Er sei sehr erschrocken und aufgeregt gewesen. Ein Beamter habe ihn zweimal gegen die Brust geschlagen. Er sei in Unterwäsche auf dem Boden fixiert worden. Zuvor habe er versucht, sein Gesicht mit den Händen zu schützen. Übersetzt werden seine Angaben von einem Dolmetscher.
Es war kein tätlicher Angriff
Der festnehmende Polizist gab vor Gericht an, er habe den Guinesen auf Deutsch und Englisch aufgefordert aufzustehen. Dieser habe die Aufforderung nicht befolgt und mit den Füßen gestrampelt. Der Mann, der weder Deutsch noch Englisch, sondern nur Französisch versteht, wurde „gegriffen und aus dem Bett gezogen“, so der Polizeibeamte. Der Angeklagte habe dann versucht wegzurennen und sei deshalb „zu Boden gebracht“ worden. Der Mann habe sich „gesperrt“.
Der Beamte gab an, er habe den Mann auf englisch aufgefordert, die Hände rauszustrecken. Dieser Aufforderung sei er aber nicht nachgekommen, weshalb er von zwei Polizisten „mit erheblichem Kraftaufwand“ fixiert worden sei. Weitere Beamte seien dann noch hinzugekommen und hätten ihn gemeinsam weiter fixiert. Der aussagende Polizist wurde nach eigenen Angaben nicht verletzt und auch nicht von Tritten oder Schlägen getroffen. „Es war kein tätlicher Angriff“, so der Polizist.
Staatsanwaltschaft fordert eine Gefängnisstrafe
Ein Polizistin bestätigte den Sachverhalt. Sie habe gesehen, wie zwei ihrer Kollegen den Angeklagten fixiert hätten. Sie selbst habe dann die Beine des Mannes fixiert. Dieser habe zwar seine Beine bewegt, „aber es war kein Treten“, sondern mehr ein Drücken gewesen. Anschließend habe sich die Lage beruhigt, so die Beamtin.
Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft fordert für den Widerstand fünf Monate Haft – ohne Bewährung. Rechtsanwalt Timo Fuchs erklärte, dass sein Mandant wegen tätlichen Angriffs in Untersuchungshaft war. Bei bloßer Widerstandshandlung wäre keine U-Haft möglich gewesen. Er forderte eine Bewährungsstrafe, deren Höhe er im Ermessen des Gerichts ließ.
Freiheit für den Angeklagten
Amtsgerichtsdirektor Norbert Strecker verurteilte den nicht vorbestraften Angeklagten zu 90 Tagessätzen á 5 Euro wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Der Vorwurf des tätlichen Angriffs wurde fallen gelassen, da es diesen nicht gab. Richter Strecker erklärte, die Geldstrafe sei durch die Untersuchungshaft verbüßt. Für die Haft werde es daher keine Entschädigung geben. Er hob den Haftbefehl auf und forderte die Justizbeamten auf, die Fußfesseln zu entfernen.
Es war die zweite Verhandlung zu diesem Vorfall in der LEA (Landes-Erst-Aufnahmestelle) Ellwangen. Im ersten Prozess wurde der damalige Angeklagte zu sechs Monaten Haft – ohne Bewährung – wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und tätlichen Angriffs verurteilt (siehe hierzu: „Grundlose Razzia endet mit Haft„).
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