Von Tape Lago – Kandel. In der rheinland-pfälzischen Kleinstadt Kandel demonstrierten am Samstag, 3. November, rund 350 Menschen gegen etwa 200 Rechte und Neonazis des so genannten „Frauenbündnisses“. Obwohl die extrem rechte Gruppierung um Marco Kurz unerwünscht war, setzte die Polizei mit einem Großaufgebot deren Aufmarsch durch und verhinderte mit allen Mitteln Protestversuche in Hör- und Sichtweite der rechten Veranstaltung.
Dennoch gelang es einer Gruppe von AntifaschistInnen, den rechten Demonstrationszug mit einer Sitzblockade zu behindern und für eine kurze Zeit zu stoppen. Eine Anzeige gegen den Kandler Verbandsbürgermeister Volker Poß und der Besuch der Kriminalpolizei bei dem SPD-Politiker lösten in der Stadt Empörung aus. Auch eine massive Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch die Versammlungsbehörde der Kreisverwaltung Germersheim und die Polizei sorgte für Unmut.
Es war ein schwarzer Tag für die Demokratie und den „Kampf gegen Rechts“ in Zeiten des Rechtsrucks, so die AntifaschistInnen und Demokratinnen, die Kandel aus dem Griff von Neonazis, Reichsbürgern und anderen Rechten erlösen wollen.
Zu der Demonstration gegen das „Frauenbündnis“ hatte „Kandel gegen Rechts“ (KgR), unterstützt von „Omas gegen Rechts“, „Männerbündnis Kandel“, Parteien, Gewerkschaften und weitere antifaschistische und zivilgesellschaftliche Organisationen aufgerufen. Eine spontane Solidaritätsversammlung bei Bürgermeister Volker Poß soll von den Versammlungsbehörden angezeigt worden sein. Das ist die überraschende Nachricht, die der SPD-Politiker von zwei Kripo-BeamtInnen zu Hause bekam. Grund der solidarischen Zusammenkunft beim Kandler Bürgermeister war der geplante Aufmarsch der Rechten und Neonazis vor seinem Haus.
Offenbar wurde die Versammlungsbehörde aktiv
Die Nachricht eines rechten Aufmarschs um den „Führer“ Marco Kurz und sein Gefolge vor dem Haus des Kandler Bürgermeisters machte schnell die Runde. Eine Gruppe von 30 bis 40 Personen, angeführt von Alexander Schweitzer (Vorsitzender der SPD-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag) – wollte, ohne den Bürgermeister vorher in Kenntnis gesetzt zu haben, ihre Solidarität mit Volker Poß kundtun und den rechten Aufmarsch von seinem Grundstück aus beobachten.
Anwesend waren auch Dr. Dennis Nitsche (Bürgermeister von Wörth am Rhein), Giorgina Kazungu-Haß (SPD-Landtagsabgeordnete) und Nadine Reisch (Die Partei). Während der Zusammenkunft auf dem Grundstück der Familie Poß soll es eine kurze Diskussion mit Vertretern der Versammlungsbehörden gegeben haben. „Man hat mir nicht gesagt, dass ich diese Versammlung auflösen musste. Es ist toleriert worden, und zirka 20 Minuten später kamen dann eine Beamtin und ein Beamter der Kriminalpolizei und haben mir mitgeteilt, dass wohl Anzeige gegen mich erstattet worden sei, weil eben diese Versammlung hier nicht stattfinden dürfe“, erklärte Bürgermeister Poß.
Fragwürdiger Umgang mit Bürgermeister Volker Poß
„Wer hat diese Anzeige erstattet?“, fragte er die Kripo-BeamtInnen. Dem Anschein nach sollen es die Versammlungsbehörden gewesen sein. Als Volker Poß nachfragte, um Klarheit zu schaffen, bekam er von ihnen weder ein Dementi noch eine Bestätigung. Daraufhin bat er den Landrat per E-Mail, die Angelegenheit verbindlich aufzuklären und ihm danach Bescheid zu geben.
Das Treffen auf seinem Grundstück wurde nach dem Besuch der Kripo vom Bürgermeister selbst aufgelöst. Poß bat zudem alle anwesende Personen, seinen Hof zu verlassen. „Das haben sie auch getan. Alles anderes bleibt abzuwarten“ betonte er. Auch eine kleine Gruppe von AntifaschistInnen, die auf dem Gehweg stand und offenbar den Bürgermeister und sein Haus vor möglichen rechten Übergriffen bewahren wollte, wurde von der Polizei ohne Weiteres entfernt.
Der Umgang der Versammlungsbehörden und der Polizei mit Bürgermeister Volker Poß sei fragwürdig, völlig inakzeptabel und müsse umgehend aufgeklärt werden, so einige Anwesenden.
Protest in Hör- und Sichtweite untersagt
Im Vorfeld des Demonstrationstages wurden 14 Veranstaltungen gegen das rechte „Frauenbündnis“ angemeldet. Vier von ihnen wurden von den Versammlungsbehörden ohne ersichtliche Gründe verlegt. Betroffen waren Protestversammlungen von „Kandel gegen Rechts“ (KgR), „Omas gegen Rechts“, „Männerbündnis Kandel“ und das „Volksbingo“ der Partei Die Partei.
Die Veranstaltungen, die zum Teil bereits Mitte Oktober angemeldet worden waren, wurden den Veranstaltern zufolge von den Versammlungsbehörden verlegt, um bewusst Proteste in Hör- und Sichtweite der Rechten zu verhindern. Sie werfen den Versammlungsbehörden vor, gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit laut Artikel 8 im Grundgesetz und Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention gehandelt zu haben. Es sei für jeden sichtbar, wie jede Form des demokratischen Protests gegen Rechts blockiert werde.
Schulterschluss gegen das rechte „Frauenbündnis“
Trotz der massiven Polizeipräsenz wollten die AntifaschistInnen und DemokratInnen in einem Schulterschluss ihren Protest in Hör- und Sichtweite der Rechten tragen und ihnen zeigen, dass sie in Kandel weiterhin nicht willkommen und unerwünscht seien. Die Auftaktkundgebung von „Kandel gegen Rechts“ (KgR) begann gegen 12.30 Uhr mit der Verlesung der Auflagen und Bekanntgabe des Ablaufs der Demonstration gegen Neonazis, Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker und andere Rechte um den „Führer“ Kurz.
Es sprachen Giorgina Kazungu-Haß (SPD-Landtagsabgeordnete), der Bürgermeister von Wörth Dr. Dennis Nitsche (SPD), ein Sprecher des OAT (Offenen Antifaschistischen Treffens) Karlsruhe, eine Sprecherin des AAKA (Antifaschistischen Aktionsbündnisses Karlsruhe) und die IL (Interventionistische Linke). Alle kritisierten das „Frauenbündnis“, das seit über zehn Monaten den Mord an einem 15-jährigen Mädchen instrumentalisiere, um rassistische Propaganda, Hass und Hetze gegen Geflüchtete und MigrantInnen in Kandel und den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Auch die extrem rechte AfD von Alexander Gauland, Alice Weidel, Björn Höck, Jörg Meuthen und Co. wurde ihrer rassistischen und menschenfeindlichen Politik wegen kritisiert.
Polizei verhindert Protest in Hör- und Sichtweite
Mit mehr als 300 Menschen startete die Demonstration am Bahnhof und setze sich Richtung Innenstadt in Bewegung. Ziel des Demozuges war zunächst die Veranstaltung der „Omas gegen Rechts“ „Am Plätzel“, wo eine Zusammenkunft geplant war. Nach kurzer Zeit stoppte die Polizei ohne Vorwarnung den Antifa-Block und zwang die AntifaschistInnen, stehen zu bleiben. Polizisten nahmen daraufhin vor dem Antifa-Fronttransparenten und an beiden Seiten des Blocks Stellung.
Ziel der Aktion der Polizei soll gewesen sein, den Antifa-Block vom Rest der Demonstration zu trennen und einzukesseln. Dies löste Protestrufe der Demonstrierenden aus. Diese wehrten sich und forderten die Polizisten auf, die Demonstration zu verlassen. Aus Solidarität mit den AntifaschistInnen blieb der ganze Demozug stehen. Nach weiteren Protesten war die Polizei gezwungen, ihn weiterziehen zu lassen.
In der Rathausgasse blockierte die Polizei die Demonstration ohne erkennbare Gründe erneut. So versperrten Polizeikräfte den Zugang zu der Veranstaltung der „Omas gegen Rechts“, wo eine Mahnwache geplant war. Danach zerfiel die Demonstration in viele kleinere Gruppen, die unabhängig voneinander versuchten, auf verschiedenen Wegen näher an die rechte Veranstaltung zu gelangen.
Bereits gegen 14 Uhr war erkennbar gewesen, dass die Polizei mit allen Mitteln den Protest gegen Rechts behindern und stoppen wollte. Der Einsatzplan der Polizei war chaotisch, aber durchschaubar. Er basierte offenkundig darauf, alle Proteste in Hör- und Sichtweite der Rechten wegzudrängen.
So wurden GegendemonstrantInnen, die versuchten, den Marktplatz als Ort der rechten Versammlung zu erreichen, unter Androhung von Gewalt weggeschickt, schikaniert oder eingekesselt. Die Handlungen der Polizei lösten bei den GegnerInnen Frustration und Wut aus. An der Ecke Landauer Straße/Goethe Straße wurden rund 30 Personen für über eine Stunde in einem „Kessel“ festgehalten. Nach Angaben der Polizei, hätten sich „bekannte Störer“ unter den Festgehaltenen befunden. Als die Polizei ihre Maßnahme dann doch beendete, entließ sie die AntifaschistInnen in eine Straße, die an allen Ausgängen gesperrt war. So mussten sie zuletzt erneut einen Umweg nehmen, um zurück in Richtung der angemeldeten Kundgebungen zu gelangen.
Gefahr für Fotografen und andere Journalisten
Die geplante Versammlung des „Frauenbündnisses“ begann unter lautem Protest um 14 Uhr. Ein Polizeihubschrauber beobachtete und dokumentierte die Proteste gegen Rechts von oben. Vor Beginn der rechten Kundgebung versammelten sich mehrere GegenerInnen „Am Plätzel“ vor dem Absperrgitter bei den „Omas gegen Rechts“. Mit Vuvuzelas und Trillerpfeifen versuchten die Demonstrierenden, die rechte Veranstaltung zu übertönen.
Mit Sprechchören wie „Nazis raus“ oder „Haut ab“ machten sie den Rechten klar, dass sie aus Kandel „verschwinden“ sollten. Während eines Redebeitrags bei den Rechten wurde der Protest gegen sie noch stärker. Marco Kurz freute sich wie ein kleines Kind über die Verlegungen und „Verbote“ der Gegendemonstrationen. Er machte sich über die AntifaschistInnen, GegnerInnen lustig und bedankte sich bei der Polizei, die er am Samstag, 6. Oktober, beschimpte, beleidigte und vorwarf im Sinne der Antifa zu arbeiten.
Neben dem „Führungskader“ des „Frauenbündnisses“ waren die extrem rechte Kleinstgruppe „Patrioten-NRW“ und Rechtsextreme aus der Schweiz auszumachen. Auch der sogenannte „AfD-Aktivist“ Henryk Stöckl, der in einem Livestream bei einer Demonstration gegen die AfD in Freiburg am Montag, 29. Oktober, „Fake News“ gegen AntifaschistInnen und Linke verbreitete, war da.
Für Fotografen und andere Journalisten war der Marktplatz ein gefährlicher Ort geworden. Anders als bei der Demonstration von „Kandel gegen Rechts“, bei der sie teilweise sehr dicht an der Demo mitlief, stand die Polizei sehr „brav“ vor und in der Nähe der Stadthalle. So konnten Fotografen und andere Journalisten von rechten Demoteilnehmern eingeschüchtert, bedroht und fotografiert werden.
Ein Fotograf wurde nach eigenen Angaben von einem Rechten geohrfeigt. Anstatt ihn zu schützen, habe ihn die Polizei aufgefordert „wegzugehen“. Der Marktplatz war trotz der übertriebenen, massiven Polizeipräsenz in der Stadt kein sicherer Ort für Pressevertreter.
Lautstarker Protest gegen das „Frauenbündnis“
Die Rechte hatte zwei Aufmärsche geplant, die nach der gemeinsamen Kundgebung hätten gegen 15 Uhr beginnen müssen. Doch es starte nur eine Demonstration mit etwa 200 Teilnehmern unter der Flagge des „Frauenbündnisses“. Die selbsternannte Gruppierung „Kandel für ein Verbot der Antifa“ soll offenbar auf ihren „Spaziergang“ verzichtet haben.
So sollen Kurz und seine Anhänger ihre Demoroute geändert haben, um ihre GegnerInnen zu täuschen und Protesten und Mahnwachen, die in manchen Höfen geplant waren, aus dem Weg zu gehen. Dies soll offenbar mit der Zustimmung der Versammlungsbehörden und Polizei geschehen sein. Auf die Frage, warum die rechte Demoroute geändert wurde, antwortete ein Einsatzleiter der Polizei: „Kein Kommentar“.
Trotz der überraschenden Änderung stieß der rechte Aufmarsch in der Juststraße auf Widerstand. Dort protestierten Mitglieder der Partei Die Partei und andere AntifaschistInnen lauthals gegen den rechten Zug. Auch in einigen Höfen soll es Proteste gegeben haben. Marco Kurz und sein Gefolge trugen ihren Hass und ihre Feindschaft gegen Geflüchtete, MigrantInnen, Antifaschistinnen und Linke durch leere Straßen unter dem Schutz einer starken Polizeimannschaft.
Sitzblockade gegen rechten Aufmarsch
Auf dem Rückweg zum Markplatz, wo die rechte Abschlusskundgebung geplant war, gelangt es einer Gruppe von 15 Antifaschistinnen, über eine schmale Gasse auf die Aufmarschroute der Rechten zu kommen, als diese nur noch wenige hundert Meter entfernt waren. Trotz des Versuchs rasch herbeigeeilter Polizeibeamter, die Straße durch Schubsen und Schlagen wieder frei zu bekommen, gelang es den 15 Personen, eine Sitzblockade zu errichten.
Die Polizisten entschieden sich daraufhin, den Demozug der Rechten an der Blockade vorbeizuschleusen. Dies geschah unter wüsten Beschimpfungen und Drohungen durch die wütenden Teilnehmer der rechten Demo. Immer wieder mussten die Polizeibeamten einzelne Rechte zurückdrängen, die sich der Sitzblockade genähert hatten.
Nachdem der rechte Aufmarsch vorbeigezogen war, wurden die AntifaschistInnen mit einer mündlichen Verwarnung entlassen und von den restlichen GegendemonstrantInnen des „Volksbingos“ jubelnd empfangen, die der rechten Demo gefolgt waren. Über einen weiteren schmalen Weg gelang es den GegnerInnen, in Sicht- und Hörweite der Rechten zu kommen.
Dort standen mehrere Reihen Polizeibeamter den AntifaschistInnen gegenüber. Es kam zu kurzen Rangeleien, bei denen einige Beutel mit Farbpulver in Richtung der Polizisten flogen. Die GegendemonstrantInnen zogen sich nach einigen Minuten zurück und bewegten sich in Richtung Hauptstraße.
„Ein schwarzer Tag für die Demokratie“
Dabei wurde eine Person von Polizeibeamten aus der Menge herausgegriffen und in Gewahrsam genommen. Ein Fotograf des „Kommunal-Info Mannheim“ (KIM), der die Festnahme dokumentierte wurde von der Polizei behindert und knapp eine Stunde festgesetzt, während seine Identität überprüft wurde.
Zuletzt zogen die AntifaschistInnen gemeinsam zurück zum Bahnhof und traten die Heimreise an. Auf dem Bahnhofsvorplatz gab es eine „Bilanz-Kundgebung“ von „Kandel gegen Rechts“. Die Veranstalter bewerteten ihren Protest gegen die rechte Veranstaltung als Erfolg. Sie zeigten sich jedoch sehr betroffen und empört über den Eingriff der Versammlungsbehörden und der Polizei in die Versammlungsfreiheit.
Der Demonstrationstag in Kandel sei ein schwarzer Tag für die Demokratie und den „Kampf gegen Rechts“ gewesen. Die AntifaschistInnen und AktivistInnen von „Kandel gegen Rechts“ wollen trotz der „polizeilichen Unterdrückung“ weiter gegen das „Frauenbündnis“ demonstrieren und protestieren. „Wir werden auch weiterhin für unser Recht kämpfen und unserer Position gegen rechten Hass und Hetze Ausdruck verleihen“, hieß es in einer Stellungnahme vom 5. November auf der Facebook-Seite von „Kandel gegen Rechts“.
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