Von Sahra Barkini – Memmingen. Was machen Nazis in Partystimmung, wenn die eigentliche Abendplanung, nämlich ein Konzert, durch die Polizei verhindert wurde? Sie verteilen sich auf Kneipen. So geschehen Ende August im Unterallgäu.
Nachdem die Behörden ein Konzert zum Jubiläum einer Neonaziband untersagt und verhindert hatten, suchten sich deren Anhänger Unterhaltung in den Kneipen der Memminger Innenstadt. Viele derer, die an diesem Samstagabend durch die Stadt zogen, waren wohl dem „Voice of Anger“-Spektrum zuzuordnen.
Im Gespräch mit den Beobachter News schilderten AugenzeugInnen ihre Eindrücke, nachdem Neonazis ein Lokal in der Memminger Innenstadt betreten hatten. Nach diesen Berichten kamen circa elf mehr oder weniger eindeutig dem Neonazispektrum zuzuordnende Männer in die Kneipe. Einige schnell zuzuordnen an diversen Nazi-Tätowierungen oder weil sie eben bekannte Gesichter der Memminger Naziszene waren. Andere erst auf den zweiten Blick erkennbar.
Es sei plötzlich eine „stumme Bedrohung“ zu spüren, auch wenn das immer ein subjektives Empfinden sei, berichteten Augenzeugen. So verließen wohl nach Ankunft der Neonazis zwei Gästegruppen das Lokal. Die bloße Anwesenheit der Männer schien sich negativ auf die Stimmung auszuwirken.
Der Gedanke, dass momentan die Memminger Innenstadt voller Neonazis ist, trug nicht dazu bei, die Stimmung wieder zu heben. Im Gegenteil, er hinterließ ein seltsames und bedrückendes Gefühl. Wir bekamen berichtet, dass die Männer sich freundlich und höflich verhielten, offenbar auch nicht auf Konfrontation aus waren oder den Frust über das abgebrochene Konzert an unbeteiligten auslassen wollten.
Dennoch war es für die Angestellten eines Lokals wohl ein schmaler Grat zu entscheiden, was zu tun ist. Sie bewahrten Ruhe und bedienten die Neonazis erst mal. Es wurde nur die sonst eher links angehauchte Playlist in eine unverfänglichere geändert, um eventuelle Provokationen zu verhindern und damit anwesende Gäste und die Angestellten zu schützen.
Wie uns berichtet wurde, war der Spuk relativ schnell vorbei, und die Neonazis zogen in eine andere Kneipe weiter. Glücklicherweise kam erst nach Anwesenheit der Nazis eine Gruppe Geflüchteter, die zu den Stammgästen der Bar zählen. Sie wurden wohl von den Beschäftigten des Lokals gebeten sich im unteren Teil des Lokals aufzuhalten, da sie dort im Fall einer Rückkehr der Neonazis geschützter seien. Nach unseren Informationen verlief der Abend ruhig. Es sind auch keine Ausschreitungen aus der Memminger Innenstadt bekannt.
Trotzdem bleibt ein mulmiges Gefühl – und auch Fassungslosigkeit, da es kaum jemanden zu interessieren scheint, dass viele rechtsgerichtete Menschen an einem Samstagabend durch eine Kleinstadt ziehen und man mit allem rechnen muss. Vor allem, da sie dem „Voice-of-Anger“- Spektrum zuzurechnen waren. Und es sich bei deren Mitglieder eben nicht um „den netten Nachbar“ handelt, wie sie es gerne vorgeben.
Kommentar:
Aufstehen! Rausgehen! Nicht länger zusehen!
Wir leben im Jahre 2019, also 74 Jahre nach Kriegsende, und momentan hat man dennoch das Gefühl, Geschichte wiederholt sich. Eine offen rechtsradikale Partei, ob zum Teil oder vollständig macht nur einen marginalen Unterschied, sitzt im Bundestag. Einer in ihrer Führungsriege darf – gerichtlich festgestellt – als Faschist bezeichnet werden. In zwei ostdeutschen Landtagen wurde sie mit über 20 Prozent der Stimmen gewählt. Ihre Sprache ist voller Hass und Hetze. Repräsentanten der Partei stacheln ihre AnhängerInnen an, und diese machen dann auf den Straßen „Jagd“ auf in ihren Augen nicht deutsch genug aussehende Personen. KünstlerInnen, JournalistInnen und jede und jeder, der kein zweites ’33 will, wird mit Hass und/oder Hetze überhäuft. Und nicht zu selten erhalten beispielsweise JournalistInnen, die nur ihre Arbeit tun, Morddrohungen. Neonazis legen Todeslisten an. Mitglieder der AfD drohen offen oder versteckt JournalistInnen, sobald ihnen das Interview, die Fragen nicht passen.
Wo leben wir denn? Warum lehrte uns die Geschichte so wenig – oder warum lehrte sie nur wenigen etwas? Ich warte vergebens auf einen Aufschrei. Stattdessen heißt es „eine Demokratie muss das aushalten“, „die AfD ist eine bürgerliche Partei“, und „mit deren WählerInnen muss man nur reden, dann klappt das wieder“.
Nein! Ich finde, wir haben lange genug versucht zu reden, versucht zu verstehen. In jeder Talkshow zeigen sie Präsenz, nur um anschließend in ihrer Opferrolle zu glänzen.
Wie kann es denn sein, dass Geflüchtete in Memmingen vorsichtshalber erstmal in den unteren Teil der Kneipe gebracht werden müssen, weil man Angst um ihre Sicherheit hat? Wollen wir das hinnehmen? Wollen wir so leben? Um Neonazis nicht zu verärgern, verstecken wir Menschen? Das hatten wir doch schon in der deutschen Geschichte. Das dürfen wir nicht zulassen.
Seit fünf Jahren warnen AntifaschistInnen vor der AfD, seit fünf Jahren hören sie: „Ach, übertreibt doch nicht“. Das war keine Übertreibung. Sie wollen nur nicht, dass sich die Geschichte wiederholt. Eine Partei hat das Klima in diesem Land vergiftet, deren Anhängerschaft fühlt sich bestärkt. Und was macht die Gesellschaft dagegen?
Nicht viel. Sie diskutiert lieber, wie unmöglich der Auftritt eines Comedian in einer ZDF Sonntagmorgen-Sendung war… Niemöller sagte: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Wie wäre es denn nun, endlich breit gegen Rechts aufzustehen? Den Mund aufzumachen? Sich an Demos zu beteiligen? Grönemeyer sagte:“ Kein Millimeter nach rechts“ Recht hat er. Hören wir auf, den Rechten alles nachzusehen. Hören wir auf, sie verstehen zu wollen. Hört auf zu glauben, ihre Anhängerschaft sei nur besorgt oder wähle aus Protest. No pasarán! – sie dürfen nicht (nochmal) durchkommen.
Nein, wer Neonazis wählt, macht das, weil er oder sie Neonazis wählen will. Und den netten Nazi von nebenan gibt es nicht. Egal wie nett sie vorspielen zu sein. Nicht wir müssen uns unwohl fühlen, wenn sie auftauchen – sie müssen sich unwohl fühlen.
In diesem Sinne: „Aufstehen! Rausgehen! Nicht länger zusehen! Make racists, Make racists, Make racists afraid again“. (Aus dem Song von ZSK „make racists afraid again“)
Folge uns!