Von Sahra Barkini und Wolfgang Weichert – Stuttgart. Erneut gingen am Freitag, 29. November, über 10 000 Menschen in Stuttgart für eine bessere Klimapolitik auf die Straße. Mit einem Sternmarsch demonstrierten sie beim 53. Klimastreik gegen die Klimapolitik der Bundesregierung. Gestartet wurde an drei verschiedenen Punkten, um sich dann vor dem Hauptbahnhof zur zentralen Kundgebung zu treffen. Im Anschluss nahmen AktivistInnen von „Kesselbambule“ eine Filiale der BW Bank auf der Königstraße ins Visier. Sie kennzeichneten die LBBW-Tochter als Profiteur der Klimakrise.
Um 12 Uhr starteten die Demonstrationszüge am Erwin-Schoettle-Platz, am Hölderlinplatz und in der Nähe des Nordbahnhofs. Trotz des Regens und bitterer Kälte war die Stimmung gut, und so zogen drei laute, kraftvolle Züge durch die Stuttgarter Innenstadt.
Vom Nordbahnhof starteten etwa 1000 TeilnehmerInnen ihren Demonstrationszug zum Hauptbahnhof. Begleitet wurden sie von der Black Pearl, einer fahrenden „Veranstaltungsbühne“. Lautstark ging es über die Heilbronnerstraße (B27) in Richtung Hauptbahnhof zur zentralen Abschlusskundgebung. Auf der Black Pearl heizte dann auch noch die Gruppe RAGGABUND den DemonstrantInnen mit ihren Songs ein.
„A-Anti-Antikapitalista“
Am Erwin-Schoettle-Platz trafen sich unter anderem S 21-GegnerInnen, SchülerInnen der 8. Klasse des Fanny-Leicht Gymnasiums und linke AktivistInnen. Sie alle zogen in einer lauten Demonstration vom Erwin-Schoettle-Platz vorbei am Marienplatz über die Tübingerstraße, Rotebühlplatz zur Theodor-Heuss-Straße und von dort über die Lautenschlagerstraße zum Arnulf-Klett-Platz. Aus dem Demozug waren Parolen wie „Hoch mit dem Klimaschutz – Runter mit der Kohle“, „A-Anti-Antikapitalista“, „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“ oder „Banken retten, das geht fix, für die Umwelt tut ihr nix“ und „Streik in der Schule, Streik im Betrieb, das ist unsere Antwort auf eure Politik“ zu hören.
Vom Hölderlinplatz starteten unter anderem die Scientists for Future und die Entrepreneur for Future sowie der BUND.
„Kauf, sei glücklich und schweig!“
Am Hauptbahnhof trafen sich die Demonstrationszüge zur Abschlusskundgebung. Dort lauschten die TeilnehmerInnen den Reden unter anderem von Gerhard D. Wulf (Schriftsteller und Mitglied bei Parents for Future). Er beglückwünschte Deutschland etwas ironisch dazu, dass das Klimaziel bereits erreicht sei, da wir jetzt schon eine 1,5 Grad höhere Durchschnittstemperatur haben. Er appellierte, dass nun schnell gehandelt werden müsse. Weiter sagte er: „Wir müssen ab sofort überall und auf allen Ebenen den Klimahebel ansetzen. Rufen wir wie die EU den Klimanotstand aus. Überall! In den Firmen, Verwaltungen, Behörden, den Schulen, Universitäten, den Läden und Geschäften und ja verdammt nochmal, scheißen wir auf den heutigen krankhaft kapitalistischen Konsum- und Geiz ist Geil-Gier-Feiertag, den Drecks Black Friday! Boykottieren wir diese Falle, in die wir gelockt werden sollen: ‚Kauf, sei glücklich und schweig!‘ Nein, wir stellen ab sofort auch privat jede Anschaffung unter Klimavorbehalt. Ist das wirklich nötig? brauchen wir das? Wenn ja, gibt es klimafreundliche Alternativen?“ Er beendete seine Rede mit den Worten: „Was wollen wir? Klimaschutz! Wann wollen wir das? JETZT!!!“ Für die musikalische Umrahmung sorgten mehrere Bands.
Hierzu war die Schillerstraße bis 16 Uhr komplett für den Verkehr gesperrt. Es war der vierte Globale Klimastreik und gleichzeitig 1 Jahr Fridays for future in Stuttgart.
Profiteure der Klimakrise markiert
Im Anschluss an die offizielle Kundgebung zogen noch einige AktivistInnen in einer Spontandemonstration vor die BW-Bank (Tochterunternehmen der LBBW) in der Königstraße. Dort entleerten sie Kartons mit Grillkohle und „bespritzten“ die Königstraße mit roter Flüssigkeit. Mit dieser Aktion wollte die Gruppierung „Kesselbambule“ auf die Machenschaften der Banken hinweisen. Und die Banken als Profiteure der Klimakrise kennzeichnen. Sie brachten Flyer an, die erklärten, warum gerade dieser Ort gewählt wurde. So war auf den angebrachten Flyern zu lesen, die LBBW stelle Kapital für Rüstungsfirmen bereit, zum Beispiel für ThyssenKrupp oder Rheinmetall, und damit befeuert die Bank Kriege unter anderem im Jemen oder Rojava. Auf einem weiteren Flyer war zu lesen, die Bank verdiene an der Erdölförderung im Nigerdelta und der „Gewinn“ für die dort lebenden Millionen Menschen sei Vertreibung, Versklavung, Trinkwasserverschmutzung und Bodenverseuchung.
Ein Bankangestellter äußerte gegenüber der Polizei seine Empörung, dass niemand von den AktivistInnen festgenommen wurde. Die völlig friedliche Aktion war nach etwa 15 Minuten beendet und die DemonstrantInnen zogen sich zurück.
Redebeitrag von Gerhard D. Wulf, Parents for Future
„Hallo zusammen! Ich danke Euch von Fridays for Future, dass ich heute hier reden darf. Ich heiße Gerhard, bin 59 Jahre alt, Schriftsteller und Theatermacher und habe eine 12-jährige Tochter. Seit Februar bin ich bei den Parents for Future, für die ich heute hier spreche, ebenso wie für die Scientists, für die Studierenden und im Namen der Generationen über 30, die schon Eltern oder Großeltern sind oder sich einfach unserem Ziel verbunden fühlen, diesen Planeten zu retten. Wir stehen hier vor einem Symbol des Größenwahns, das befindet sich direkt hinter dieser Bühne, die Baugrube von S21 und die zeigt, wohin uns der verfolgte Weg führt, nämlich in den Abgrund. Seit 10 Jahren demonstrieren die S21-Gegner und Kopfbahnhofbefürworter gegen diesen Klimakiller-Wahnsinn, jeden Montag. Und seit einem Jahr sind jeden Freitag Nisha Tea, Charlotte Von Bonin, Elias Zand-akbari und ihre Mitstreiter*innen hier in Stuttgart meist auf dem Marktplatz und auf der Straße gegen die Klimakatastrophe. Bereits meine erste Demo bei und mit ihnen hat mich sofort überzeugt, ja geradezu gepackt und wieder politisch aktiviert.
Wie viele andere meiner Generation der Babyboomer der 60-iger Jahre wollten wir als Schüler auch schon die Welt verbessern, waren in der Friedensbewegung, haben gegen die Nachrüstung, die Atomkraft, gegen Startbahnen etc. demonstriert, Menschenketten ohne Handy und Internet organisiert und erfolgreich durchgeführt gebildet und dann? Dann haben wir all das vergessen in der Lehre oder im Studium, im Beruf oder an der Uni, in unseren Jobs, im Alltag, in unseren Familien und haben uns lieber etwas „Schönes“ gegönnt für das hart verdiente Geld. Und erst Ihr 14-, 18-, 20-jährigen habt uns wieder aufgeweckt. Ich treffe mich seit Februar mit anderen Klimaschützern und -kämpferinnen immer am 01. und 03. Dienstag im Monat um 20 Uhr im Forum 3 e.V., wer will kommt einfach vorbei. Was wir da machen? Ganz praktische Unterstützungsarbeit wie zum Beispiel ein mobiles Kino mit Klimadokus oder den Benefizabend im Theater tri-bühne am 24. September. Ich könnte noch viel aufzählen, viele tolle Menschen nennen, aber die zwei Punkte sollen heute genügen: Unsere Gespräche mit den Fraktionen im Stadtrat von Stuttgart mit dem Ziel der Verbesserung des Klimapakets. Dank dafür an die Parents for Future Stuttgart, Scientists 4 Future, das Klimanotstandsbündnis und an Campus For Future Stuttgart. Ganz besonderen Dank auch an die Annelies und den Ingo, die von Anfang an durch alle Jahreszeiten hindurch unsere jungen Klimaschützer*innen mit Brötchen und frischem Obst aus der Region versorgt haben. Ohne Euch wären wir wohl verhungert 🙂 Dank an Euch stellvertretend für alle Helfer!
Ich habe viele neue Freunde gefunden bei den jungen und den älteren Klimaschützern und ich freue mich immer, wenn wir uns treffen, lachen, streiten und gemeinsam wütend sind und gemeinsam für eine lebenswerte Zukunft kämpfen. Zukunft, das heißt für mich Freiheit, aber eine Freiheit der Verantwortung und mit viel Empathie. Denn ohne diese ethisch-moralischen Leitplanken ist die Freiheit und damit untrennbar verbunden die Demokratie in Gefahr. Ohne Fundament bedeutet die Freiheit und ihr Missbrauch selbst eine Gefahr. Sie bedroht sich selbst, wenn sie zur Frechheit wird, sich egoistisch einfach herauszunehmen, was man will, ohne Rücksicht auf die gegenwärtigen und künftigen Mitmenschen und Mitlebewesen und damit die Demokratie in Frage stellt.
Im nächsten Jahr feiert man zu Recht einen großen Sohn der Stadt, den Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der vor 250 Jahre in einem Haus hier am Tagblattturm geboren wurde. Infos: http://www.stadtpalais-stuttgart.de/hegel-haus.html) Dieser Mann hat unter dem Einfluss der französischen Revolution und unter der Knute der allmächtigen Willkürherrschaft von Fürsten und Kirche schon damals erkannt, was eine Gesellschaft von freien, gleichen und brüderlichen Menschen ausmacht. Und das ist so einfach und anscheinend doch immer noch so schwierig:
Freiheit, das heißt, keine Angst zu haben vor nichts und niemandem. Das hat nicht Hegel gedichtet, sondern Konstantin Wecker aber ganz in seinem Sinne. Lasst uns deshalb mutig sein, auch und gerade im Angesicht und im Wissen um die Gefahr unser kleines Raumschiff, den Planeten Erde zu verlieren. Mut macht Hoffnung und führt zu Entschlossenheit und die brauchen wir!
Gleichheit, das heißt, dass wir alle, egal. welche Hautfarbe wir haben, welchem Geschlecht wir uns zugehörig fühlen, welcher Nation, welcher Religion wir angehören oder nicht, welche Sprache wir sprechen, wen wir lieben, welchen Beruf wir haben, ob wir jung sind oder alt … das alles ist völlig egal, weil wir alle gleich viel wert sind. Punkt!
Brüderlichkeit, das heißt, wir sind alle und zwar global Brüder und Schwestern auf dieser kleinen blauen Kugel, für die wir kämpfen müssen, weil sie unsere gemeinsame Heimat ist. Es gibt keinen Planet B!
Handeln müssen wir jetzt und zwar schnell. Die Kipp-Punkte kommen näher. Deutschland hat das Klimaziel im negativen Sinn schon erreicht: 1.5 Grad Durchschnittstemperatur mehr, Respekt! Hätten eigentlich bis 2030 dafür Zeit gehabt, gut gemacht, Deutschland! Ironie- und Sarkasmusmodus aus … Wir müssen ab sofort überall und auf allen Ebenen den Klimahebel ansetzen. Rufen wir, wie die EU den Klimanotstand aus. Überall! In den Firmen, Verwaltungen, Behörden, den Schulen, Universitäten, den Läden und Geschäften und ja verdammt nochmal, scheißen wir auf den heutigen krankhaft kapitalistischen Konsum- und Geiz ist Geil-Gier-Feiertag, den Drecks Black Friday! Boykottieren wir diese Falle, in die wir gelockt werden sollen: „Kauf, sei glücklich und schweig!“ Nein, wir stellen ab sofort auch privat jede Anschaffung unter Klimavorbehalt. Ist das wirklich nötig? brauchen wir das? Wenn ja, gibt es klimafreundliche Alternativen?
Schließen wir mit Freunden oder Nachbarn oder Kollegen den Freundeklimapakt: Verpflichten wir uns gegenseitig zu verantwortungsvollem Handeln. Nähere Infos unter https://freundeklimapakt.de/sign
Gestalten wir die Zukunft jetzt. Retten wir diesen Planeten, unsere wunderbare Heimat im endlosen All, unsere Mutter Erde und damit auch uns. SOS – Save Our Ship! Now!
Was wollen wir? Klimaschutz! Wann wollen wir das? JETZT!!!“
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