Von Sahra Barkini – Stuttgart. „0711- united against racism“ rief für Samstag, 25. Juli, zu einer Kundgebung und Demonstration gegen Rassismus auf. Etwa 250 TeilnehmerInnen folgten dem Aufruf. Die Kundgebung begann am Eckensee. Nach einigen Redebeiträgen formierte sich die Demonstration und zog durch die Innenstadt bis zum Rotebühlplatz. Die Veranstaltung war als Jugenddemo organisiert, es gab immer wieder Musik und einen sehr lautstarken Demonstrationszug.
In den Redebeiträgen wurde unter anderem Racial Profiling thematisiert, aber auch der Umgang mit dem NSU oder die Drohungen des NSU 2.0. Im Aufruf zur Demonstration hieß es: „Klar ist: Rassismus ist kein Ausrutscher von einzelnen Leuten – das ganze hat System. Das gleiche System, das uns keine Zukunft bietet.“ Eine Rednerin kritisierte, dass NSU-Akten für 120 Jahre unter Verschluss seien und es keine wirkliche Aufklärung gebe. Und auch momentan sind Menschen den Drohungen des NSU 2.0 ausgeliefert. Sie erinnerte an die Terroranschläge von Halle und Hanau und an die zahlreichen Opfer, die durch rassistische Polizeigewalt starben wie Oury Jalloh und Amad Ahmad. Der gemeinsame Nenner dieser Beispiele sei der in dieser Gesellschaft verankerte Rassismus.
Täglich Opfer von Racial Profiling
Ein weiterer Redner sagte, täglich seien Menschen von rassistischer Polizeigewalt oder Racial Profiling betroffen. Täglich würden Menschen kontrolliert, nur weil sie anders aussehen. Auch hätten sie es schwerer, eine Arbeit zu finden. MigrantInnen seien dann oft diejenigen, die Stellen annehmen, die sonst keiner will. Und sie seien es auch, die in Shisha-Bars wie in Hanau oder vom NSU ermordet werden. Unzählige Menschen verlören ihr Leben, weil sie nicht deutsch genug aussähen. Wenn man gegen die Ursache von Rassismus kämpft, müsse man gegen den Kapitalismus kämpfen, so der Redner zum Abschluss.
Die nächste Rednerin sprach über den Tod von Amad Ahmad. Er war zu unrecht über Monate inhaftiert. Der Kurde aus Efrin wurde mit einem Mann aus Westafrika verwechselt, der den selben Namen trug. Er starb an den Folgen eines Brandes in seiner Gefängniszelle in der Justizvollzuganstalt Kleve. Im Nachhinein wurde bekannt, dass Datensätze, die zur Verhaftung führten, nachträglich manipuliert wurden. Die Liste an Widersprüchen sei unerträglich.
Gewalt gegen Frauen auf der Flucht
„Das Vertuschen muss ein Ende haben“, forderte die Rednerin. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden: „Wir fordern endlich Aufklärung und Gerechtigkeit, es ist kein Einzelfall!“ Weitere Rednerinnen befassten sich mit migrantischen Frauen. Sie erinnerten auch an die Brandanschläge in Mölln und Solingen und verlasen die Namen der dort gestorbenen Frauen. Bis zum heutigen Tag gab es viele weitere rassistisch motivierte Morde wie die NSU Mordserie, die Anschläge von Halle und Hanau, den Tod von Oury Jalloh und Walter Lübcke.
Weltweit sind 80 Prozent der fliehenden Menschen Frauen und Kinder. Fliehende Frauen sind zahlreichen Gefahren auf der Flucht ausgesetzt, allein weil sie Frauen sind. Frauen, die ohne Männer fliehen, würden als „Frischfleisch“ gesehen. Ob Schleuser, Söldner, Polizist oder Soldat: Jeder nutze aus, dass die Frauen, denen sie begegnen, ihre Hilfe benötigten. Und da diese Frauen oft kein Geld hätten, werde ganz selbstverständlich ihr Körper als Zahlungsmittel genommen. Sie würden von den Männern vergewaltigt, zwangsprostituiert, verkauft und versklavt. Viele von ihnen blieben ein Leben lang in diesen Verhältnissen, und diejenigen, die es nach Deutschland schaffen, sind oft traumatisiert.
System lebt von Profit und Konkurrenz
Frauen, die in zwei Kulturen aufwachsen, müssten sich überdies immer rechtfertigen: vor ihren Vätern und Brüdern, weil sie knallroten Lippenstift tragen oder der Ausschnitt zu tief sei, und vor der Gesellschaft, weil sie Ramadan halten oder Kopftuch tragen. Die Rednerinnen betonten, dass man in einem System lebe, das von Konkurrenz und Profit lebt. Und diesen Profit mache man am besten, indem man bestimmte Menschen schlechter stellt als andere – zum Beispiel weil sie eine andere Hautfarbe haben, einer anderen Kultur angehören oder weil sie Frauen sind. Dabei hätten alle ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Zum Schluss riefen die Rednerinnen: „Frauen kämpfen international gegen Faschismus, Krieg und Kapital.“ Diese Parole riefen die ZuhörerInnen mit.
Nach den Reden trat ein Rapper auf, bevor sich die Demonstration formierte. Die Route führte vom Eckensee in Richtung Bolzstraße und über die Theodor-Heuss-Straße zum Rotebühlplatz. Unterwegs schlossen sich immer mehr PassantInnen an, so dass die Demonstration auf circa 300 TeilnehmerInnen anwuchs. Kurze Reden machten auf die Gründe der Demonstration aufmerksam, und es wurden immer wieder laute Parolen wie „Hoch die Internationale Solidarität“, „Faşizme karşi omuz omuza – Schulter an Schulter gegen Faschismus“ skandiert.
Protest trifft Mini-CSD
Auf Höhe des Innenstadtreviers, vor dem mehrere PolizeibeamtInnen postiert waren, gab es eine kurze Zwischenkundgebung und eine Schweigeminute. Dort traf der Anti-Rassismus-Protest auf eine kleine CSD-Delegation. Eigentlich wäre an diesem Wochenende die große Stuttgarter CSD-Parade gewesen, doch sie fiel wegen Corona aus.
Traditionell angeführt von Laura Halding-Hoppenheit fuhr dennoch ein einzelner CSD-Vielfalt-Lastwagen mit lauter Musik durch Stuttgart. Die TeilnehmerInnen des antifaschistischen Protests grüßten und jubelten dem „Mini CSD“ zu. Als der Wagen ein Stück entfernt war, wurde noch einmal das Thema Racial Profiling angesprochen, und die DemonstrationsteilnehmerInnen riefen „Oury Jalloh – das war Mord“. Auf dem Rotebühlplatz wurde zum Abschluss noch über Rojava gesprochen und verdeutlicht, dass es möglich sei, eine Welt ohne Rassismus, Sexismus und Kapitalismus zu erkämpfen. In Rojava zeige sich, dass Basisdemokratie, Frauenbefreiung und Ökologie funktionieren könnten.
Folge uns!