Von unserer Redaktion – Basel. Rund 1500 Menschen demonstrierten am Sonntag, 8. August, vor dem Appellationsgericht in Basel. Auslöser des Protests waren Äußerungen der Gerichtspräsidentin Liselotte Henz (FDP), die am Freitag, 31. Juli, das Strafmaß in einem Vergewaltigungsfall für den Täter reduzierte. Besonders abstoßend daran war, dass die Senkung des Strafmaßes damit begründet wurde, dass das Opfer „mit dem Feuer gespielt“ habe, „die falschen Signale“ gesendet hätte, weil es zuvor mit einem Mann intim gewesen sei – und damit, dass die Vergewaltigung mit nur elf Minuten „relativ kurz“ gedauert und zu keinen bleibenden physischen Verletzungen geführt habe.
Die Urteilsbegründung sorgte schweizweit für Empörung. Die Richterin habe dem Opfer eine Mitschuld an der Gewalt gegeben und sich so zur Verbündeten des Täters gemacht, heißt es in einer Erklärung des feministischen Streiks/Frauenstreiks Basel. Nidal Madad, die sich mit einem Brief an die Frau wandte, erklärte dass die vergewaltigte Frau ein zweites Unrecht durch diejenigen erfahren musste, die ihr zu ihrem Recht verhelfen sollten.
Die Urteilsbegründung hat aus Sicht des Frauenstreiks/Feministischen Streiks Basel verschiedene Konsequenzen. Zum einen würden Täterpersonen ermutigt, ihre Urteile anzufechten und nach Schuldzuweisungen bei den Opfern zu suchen, zum anderen entmutige es Betroffene sexualisierter Gewalt, die Täter anzuzeigen. „Wer selbstbestimmte Sexualität lebt und für seine Grenzen einsteht, wird darin nicht ernst genommen, dafür bloßgestellt, und die Schuld wird an die Betroffene zurückgewiesen“, heißt es weiter in der Erklärung.
Unerträgliche Täter-Opfer-Umkehr
Das Victimblaming, die Beschämung Gewaltbetroffener, zog sich bei der Kundgebung durch zahlreiche Redebeiträge, in denen trans-, inter, nonbinäre Personen und Frauen über ihre Gewalterlebnisse berichteten. Mehrere Beiträge machten deutlich, wie retraumatisierend Täter-Opfer-Umkehr, Verharmlosung des Erlebten oder aber öffentliche Anfeindungen nach Bekanntwerden der Gewalterfahrung für sie waren. Zwar wurde angemerkt, dass eine Anzeige und das Sprechen über die Gewalterfahrung für viele die richtige Entscheidung war, aber es wurde auch betont, wie schwierig dieser Weg häufig ist, und Verständnis ausgedrückt für alle, die diese Last (noch) nicht auf sich nehmen könnten.
Nicht zuletzt ging es auch um patriarchale Gewalt, die durch den Staat ausgeübt wird. Aufgegriffen wurde das Thema nicht nur in Redebeiträgen, sondern auch in der Tanzperformance „der Vergewaltiger bist du“, bei der ursprünglich Frauen aus Chile und anderen lateinamerikanischen Ländern die Blindheit der Justiz und den Unterdrückungsstaat kritisierten. Im Anschluss an die Performance fanden elf Schweigeminuten mit erhobenen Händen statt.
Rücktritt von Gerichtspräsidentin gefordert
Die Demonstrierenden forderten eine selbstkritische Aufarbeitung des frauenfeindlichen und moralisch aufgeladenen Urteils am Basler Appellationsgericht, das Erarbeiten einer verpflichtenden Schulung für Richterinnen und Richter über psychosoziale und gesellschaftspolitische Aspekte sexualisierter Gewalt sowie den Rücktritt von Gerichtspräsidentin Liselotte Henz.
In der Schweiz steht zudem eine Revision des Sexualstrafrechts an. Die Demonstration sendet deutliche Signale nach Bern, ein zeitgemäßes Sexualstrafrecht zu erarbeiten, das auf dem Grundsatz „Nur Ja heißt Ja“ beruht.
Am Nachmittag zog die Demo via Marktplatz und mittlerer Rheinbrücke ins Kleinbasel.
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