Kommentar von Sahra Barkini – Stuttgart. In nur etwas über einer Woche hat es Deutschland mal wieder geschafft, seine hässliche Fratze zu zeigen. Ich bin ja so richtig in Stimmung in den „Nie wieder Deutschland“ Chor einzustimmen. Sag mal Deutschland, geht’s bei dir eigentlich noch? Was stimmt denn da nicht? Okay, zugegeben, was nicht stimmt, weiß ich sehr gut. Die Parteien von SPD über Grüne bis zur FDP und CDU/CSU versuchen, am rechten Rand zu fischen. Also plappert man den selben populistischen Müll wie die AfD.
Immerhin sind Wahlen in Hessen und Bayern. Also rechts zwo, drei, vier – sie marschieren. Da kramt die angeblich antifaschistische Innenministerin ein bisschen in Seehofers Mottenkiste und findet sogar einen Asylentwurf, der Heimat-Horst zu heavy zum umsetzen war. Heimat-Nancy traut sich, schließlich will sie ja Ministerpräsidentin in Hessen werden. Da verschiebt man gerne ein paar Linien weiter nach rechts. Der Bundeskanzler Olaf „Ich hab keine Polizeigewalt bei G20 gesehen“ Scholz nennt die Letzte Generation „völlig bekloppt“, und gerade einen Tag später finden Razzien gegen Aktivist*innen der LG statt. Das nenne ich „völlig bekloppt“. Und vor allem der Verlust jedes Maßstabes.
Eine der Aktivistinnen berichtet von vermummten Polizist*innen, die mit Maschinenpistole am Bett standen. Sorry, aber geht’s noch? Was hat die Polizei denn erwartet? Angriffe mit Kartoffelbrei und Klebstoff? Wo bitte ist da die Verhältnismäßigkeit? Und wann sind wir denn so dermaßen falsch abgebogen?
Seit Monaten fährt das rechte bis konservative Spektrum eine Hasskampagne gegen die LG. Allen voran natürlich die Springerblätter. Das verwundert zwar nicht. Wundern kann man sich aber drüber, dass alle in diesen Hass miteinsteigen. Ein bissle Stau ist das schlimmste aller möglichen Unglücke, da schreien sie Zeter und Mordio. Und wenn aggressive Autofahrer*innen auf die Aktivist*innen einprügeln, sie mit Wasser oder Kaffee überschütten, wenn Polizist*innen Schmerzgriffe anwenden, dann hagelt es „Deppensmileys“ und Herzchen in den Kommentaren – aber kaum Kritik an aggressiven Autofahrer*innen.
Und nun soll der „Terror-Paragraph“ 129a&b zur Anwendung kommen. Über diesen Paragraph veröffentlichte der Lübecker Rapper, Aktivist und Tierrechtler Albino einen Song. Hier ein Auszug: „StGB §129a Funktion ist offensichtlich vollkommen klar, es geht euch um Sicherheit hab schon verstanden. (..) da, werden Freiheitsrechte beschnitten und eingeschränkt selbst wenn es keine Beweise gibt nicht eingelenkt… Der Staat fährt auf mit dicken Geschützen er bekämpft offiziell gefährliche Terroristen doch mutieren die meisten Jäger ganz schnell zu Faschisten“. Ja, die letzte Generation ist unbequem, manchmal nervt das, aber sie hält der Regierung den Spiegel vor, denn es sind die Parteien, die Klimaziele nicht einhalten und nicht alles dafür tun, dass das 1,5 Grad Ziel eingehalten wird.
Aber Deutschland hat ja für das von der LG geforderte Tempolimit zu wenig Schilder. Da bleibt dann wahrscheinlich keine andere Wahl, als die Aktivist*innen zu beschimpfen, zu kriminalisieren und mit Repression zu überschütten. Übrigens ist Bayern – das Bundesland, das glaubt, die Letzte Generation sei eine kriminelle Vereinigung – auch gleichzeitig das Bundesland mit den meisten offenen Haftbefehlen für politisch rechte Straftäter. Über 600 untergetauchte Neonazis gibt es bundesweit, aber Bayern beschäftigt sich nun mit Klebstoff und der LG. Reichlich durchschaubar das Wahlkampf-Manöver von Markus Söder. Vielleicht hat er Angst, dass sich die Aktivist*innen eines Tages an seine Bavaria One kleben.
Völliger Diskursverlust. Wenn eine Frau mit Lehrstuhl an der Polizeihochschule in einem Tweet das Polizeiproblem thematisiert und vom „braunen Dreck“ in Sicherheitsbehörden schreibt, ist die Empörungswelle dermaßen hoch, dass Bahar Aslan sogar ihren Lehrstuhl verliert. Und wer jubelt? Rechte Journalist*innen, die GdP (Gewerkschaft der Polizei, Mitglied im DGB), die rechte deutsche Polizeigewerkschaft und natürlich CDU und Co. Textverständnis ist ihnen im Empörungsrausch auch abhanden gekommen, denn sonst hätten sie ja sicherlich bemerkt, dass Aslan gar nicht alle Polizist*innen als „braunen Dreck“ bezeichnet hat.
Die Grünen in NRW schweigen trotz Regierungsbeteiligung, wahrscheinlich soll der Koalitionsfriede gewahrt werden. Aber dieser skandalöse Umgang mit Aslan zeigt deutlich: „In Deutschland gilt derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als derjenige, der den Schmutz macht“ (Kurt Tucholsky). Zumal es genügend Fälle gibt, die zeigen, dass wir ein Rassismus-Problem in der Polizei haben – auch in Baden-Württemberg. Die Polizei im Ländle hat auch ein Sexismus-Problem, aber das würde nun zu weit führen. Und der DGB muss sich wiedermal fragen lassen: Was macht die GdP noch unter eurem Dach?
Und weil der Wahnsinn aller Orten um sich greift, trafen sich letztes Wochenende Rechtsextreme im Stuttgarter Landtag, wohl um Strategien zu besprechen, wie man den Diskurs weiter ins Gewünschte verschiebt.
Wo sind denn nun eigentlich die Menschen mit ihren „Wir sind Mehr“-Facebook Bildchen? Wir driften beinahe täglich weiter nach rechts, aber nur jeder zweite kann sich vorstellen, nicht die AfD zu wählen, und es herrscht dröhnendes Schweigen. Mal wieder… Und während der Rechtsextremismus mal wieder aus allen Löchern kriecht, hat die CDU/CSU einen tollen Vorschlag: Man singt einfach die Nationalhymne und pappt überall ein deutsches Fähnchen dran. No heart for a Nation ist da ja eher meins.
Der Twitter User Kaffeecup hat da mal was aufgedeckt:
„Ich gebe Söder und der CSU noch eine Wahlkampf-Woche, bis Menschen in Bayern, die gendern, ein Tempolimit fordern, Hafermilch trinken, kein Fleisch essen, Lastenrad fahren oder für Wärmepumpen/Windräder sind, als „kriminelle Vereinigung“ geführt werden und in Präventivhaft kommen.“
Vielleicht hilft uns einfach nur noch Galgenhumor und Aufstehen gegen rechte Umtriebe, dazu dagegenhalten – denn der Wind wird rauer in diesem Land, und erstmal sind wir alle die letzte Generation.
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