Stuttgart. Gut 50 ZuhörerInnen drängten sich am Montagabend, 17.11.2014, bei der Büchergilde in der Stuttgarter Charlottenstraße, wo Lucius Teidelbaum über das Thema „Die Klerikalen und der Bildungsplan“ sprach. Der Tübinger Journalist und Historiker sieht die Demonstrationen gegen den Bildungsplan-Entwurf der grün-roten Landesregierung Baden-Württembergs vor allem als Ausdruck ernsthafter Sorge religiös-fundamentalistischer Eltern um ihren Einfluss auf ihre Kinder. Sie befürchteten ernsthaft, ihre Sprösslinge sollten umerzogen und zur Homosexualität angehalten werden, wenn an Schulen sexuelle Vielfalt und nicht nur die Mann-Frau-Ehe thematisiert wird.
Sie gingen Verschwörungstheorien auf den Leim und wünschten sich die gesellschaftlichen Verhältnisse der fünfziger Jahre zurück, sagte Teidelbaum. Obohl auch NPD-Mitglieder, Anhänger von PI (Politically Incorrectly) oder Idenditäre bei den Kundgebungen der Bildungsplangegner zu sehen seien, handle es sich in erster Linie um religiös motivierte Menschen, die sich vor Homosexualität fürchteten. Diese Einschätzung fußte unter anderem auf Teidelbaums Beobachtung, dass sich viele Teilnehmer und Teilnehmerinnen an den Demonstrationen – der Referent sprach von 90 Prozent – auffallend textsicher zeigten, wenn Kirchenlieder angestimmt werden.
Dennoch sprach der Referent von „gefährlichen Allianzen“ und räumte ein, dass die Demonstrationen, die zunächst als Folge einer Petition gegen den Bildungsplan entstanden, inzwischen hauptsächlich von einer Gruppe organisiert werden, in der neben CDU-Arbeitskreisen auch die AfD eine große Rolle spielt. Teidelbaum rief am Montag zum Protest gegen die Bildungsplangegner auf, warnte jedoch, die „Demo für alle“ zu überschätzen. Von französischen Verhältnissen, wo „Manif pour tous“ Hunderttausende auf die Straße bringt, sei man weit entfernt. Allerdings konnte sich auch Teidelbaum nicht erklären, weshalb die jüngste Demonstration gegen den Bildungsplan am 19. Oktober 2014 ungefähr 2000 Menschen auf die Stuttgarter Straßen brachte, die vier vorausgegangenen jedoch jeweils nur 800 bis 1000. Möglicherweise spielt das zwischenzeitliche Auftrumpfen der AfD bei der Europawahl eine Rolle.
Bei der Diskussion im Anschluss an Teidelbaums Vortrag schätzten einige die „Demo für alle“ jedoch weit gefährlicher ein. Unter anderem war von einem Kulturkampf die Rede, außerdem von einer Auflehnung gegen die grün-rote Regierungsübernahme und den Machtverlust konservativer Parteien in Baden-Württemberg. Thema war auch, weshalb die Gegenbewegung nicht größer wurde. Meist stemmen sich lediglich einige hundert überwiegend jüngere Antifaschisten der homophoben Demo entgegen, die sich jeweils einem großen Polizeiaufgebot gegenübersehen und starker Repression ausgesetzt sind – von Gewalt durch Schlagstock und Pfefferspray über das Festhalten in Polizeikesseln bis zu juristischer Verfolgung.
Die Redaktion der Beobachter News hat alle fünf bisherigen Demonstrationen, die sich vorgeblich gegen einen neuen Bildungsplan richten, dokumentiert (Beiträge zum Thema „Bildungsplangegner“). Wir schätzen die enstandene „Demo für alle“-Bewegung als weit gefährlicher ein. Die Sorgen religiöser, emanzipationsfeindlicher und rückwärtsgewandter Eltern wurden längst von Kräften wie der rechtspopulistischen, nationalkonservativen und marktradikalen AfD instrumentalisiert. Deren tragende Rolle in der Bewegung ist auf vielen von uns veröffentlichten Fotos klar dokumentiert.
Hier der Mitschnitt des Abends mit Lucius Teidelbaum zum Nachhören.
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