Stuttgart. Die DemonstrantInnen wirkten entschlossen, die Polizei überfordert. Sie scheute sich offenbar am Mittwoch, 6. Januar, vor laufenden Fernsehkameras eine Blockade von an die 200 AntifaschistInnen vor dem Haupt- und Nebeneingang des Cannstatter Kursaals mit massiver Gewalt aufzulösen. Dort hatte die AfD zum Auftakt ihres Landtagswahlkampfs ein „Alternatives Dreikönigstreffen“ angekündigt. Die nach AfD-Angaben rund 250 Teilnehmenden ließen sich von der Polizei durch die Tiefgarage und einen Hintereingang in den Saal schleusen.
Nach Polizeiangaben kam es dabei „vereinzelt zu Beleidigungen und Handgreiflichkeiten“. Die Polizei setzte an dem Nachmittag Körpergewalt und Schlagstöcke ein, aber kein Pfefferspray. Der Beginn des AfD-Treffens mit Alexander Gauland als Hauptredner verzögerte sich um gut eine halbe Stunde.
Als die Polizei sich augenscheinlich schon auf dem Rückzug befand, legte der mutmaßliche Einsatzleiter selbst Hand an. Ohne erkennbaren Grund versuchte er, einen Demonstranten herauszugreifen, was ihm letztendlich aber nicht gelang.
Dieser Polizeibeamte in Zivil fiel bereits mehrfach auf Demonstrationen durch seine aggressive Vorgehensweise auf. Erstmals dokumentierten wir einen Einsatz von ihm im Jahr 2011 (siehe hierzu „Rassistenwochenende„). Auch damals wurde er handgreiflich und ließ 25 Personen festnehmen. Pressevertreter setzte er ohne rechtliche Grundlage über eineinhalb Stunden fest. Die Strafanzeige eines Journalisten wegen Freiheitsberaubung gegen den Beamten löste zwar ein Ermittlungsverfahren aus, wurde aber letztendlich eingestellt. Gegen einige festgenommene DemonstrantInnen laufen noch Prozesse. Der nächste beginnt am Donnerstag, 18. Februar 2016, um 9 Uhr vor dem Landgericht in Stuttgart (Urbanstraße 20). Der Vorwurf lautet auf Hausfriedensbruch bei der Pius-Bruderschaft in Stuttgart-Feuerbach am 4. Juni 2011.
Nach Angaben der „Stuttgarter Zeitung“ kündigte die AfD inzwischen eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Polizei an, weil Eingänge nicht geräumt worden seien und es bei Rangeleien Verletzte gegeben habe. Polizeisprecher Olef Petersen weist die Vorwürfe aber vehement zurück. Nach unseren Beobachtungen kam es zu Übergriffen von AfD-Anhängern auf friedlich Protestierende.
Zu dem Protest vor dem Cannstatter Kursaal hatte das Antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart und Region AABS aufgerufen. Es wirft der AfD vor, Teil eines europaweiten Rechtsrucks und ein Sammelbecken für verschiedene rechte Kräfte zu sein. Spätestens seit der Abspaltung von Teilen des marktradikalen Flügels hätten „die Rechtspopulisten und Rassisten die Oberhand“. Auf den Transparenten waren Parolen wie „Rechtspopulismus stoppen!“ oder „Refugees welcome“ zu lesen.
In der Nacht hatten Unbekannte auf der Rückseite des Gebäudes Fenster beschädigt – offenbar mit Softair-Waffen, wie die Polizei mitteilte. Die ersten GegendemonstrantInnen waren schon am frühen Mittwochnachmittag vor Ort und blockierten den Haupteingang – offenbar zur Überraschung bereits anwesender AfD-Vertreter. Sie riefen die Polizei. Die Beamten forderten die Blockierenden zweimal auf, die Eingänge frei zu geben, und schienen auch auf eine Räumung vorbereitet. Eine dritte Aufforderung kam uns jedoch nicht zu Ohren – und die Polizei räumte den Haupteingang auch nicht.
Es war eine Vielzahl von Berichterstattern und Kameraleuten vor Ort, unter ihnen auch Fotografen rechter Medien wie der „PI-News“. Der Stuttgarter AfD-Stadtrat Heinrich Fiechtner provozierte immer wieder die Protestierenden – offenbar mit Billigung der Polizei oder zumindest, ohne von ihr abgehalten zu werden. Es gab mehrfach Gerangel, als sich Fiechtner unter die DemonstrantInnen mischte, und – so die Betroffenen – Drohungen ausstieß.
Auch Ulrich Schwarz, ein früherer Stuttgarter NPD-Kandidat, war vor Ort und unterhielt sich angeregt mit dem AfD-Fraktionschef Bernd Klingler. Dieser hat offensichtlich keine Vorbehalte gegen Neonazis.
Völlig überrascht schien die Polizei, als sich die Sitzblockade gegen 14.45 Uhr plötzlich auflöste und eine Spontandemonstration begann. Die Teilnehmenden sprangen auf und liefen über Straßenbahnschienen, wo keine Autos fahren konnten, in Richtung Wilhelmsplatz.
Die DemonstrantInnen ließen Polizeiautos, die ihren Zug überholen und sich an die Spitze setzen wollten, keinen Raum. So mussten die Einsatzkräfte Umwege in Kauf nehmen. Kurz vor dem Wilhelmsplatz riegelte die Polizei die gesamte Straße ab und brachte damit den Verkehr einschließlich Straßenbahn weiträumig zum Erliegen.
Einige Beamte hielten bereits Schlagstock und Pfefferspray bereit. Doch die Einsatzleitung zog es vor, eine Eskalation zu vermeiden, so dass sich der Demozug auflösen konnte.
„Auch in Zukunft werden wir es nicht dulden, dass Rassisten, Sexisten und andere Reaktionäre in unserer Stadt öffentlichen Raum einnehmen“, kündigten die Initiatoren der Kundgebung an. Das gelte besonders „für die selbsternannte ‚Demo für alle'“, deren nächste Auflage am 28. Februar in Stuttgart angekündigt ist, und „deren pseudo-wissenschaftlichen, sexistischen und homophoben Kongress am 23. Januar in der Liederhalle“. Die AfD stehe federführend hinter diesen beiden Aktionen. Es gebe kein Recht auf rechte Propaganda, man wolle sie weiter verhindern.
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Die Rede des AABS bei der Kundgebung in Bad Cannstatt im Wortlaut:
Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten
Liebe Passantinnen und Passanten,
wir sind heute hier, um gegen das sogenannte „alternative Dreikönigstreffen“ der AfD zu protestieren.
Seit ihrer Gründung vor knapp drei Jahren dient die sogenannte „Alternative für Deutschland“ als Sammelbecken für allerlei Rechte. Spätestens seit der Abspaltung von Teilen des marktradikalen Flügels haben die Rechtspopulisten und Rassisten die Oberhand.
Die AfD ist Teil eines europaweit stattfindenden Rechtsrucks.
Um die Auswirkungen der „allgemeinen Krise“ in den Griff zu bekommen, fordert die AfD Lohn- und Sozialleistungskürzungen, mehr Repression und zunehmende Überwachung.
Während die Bevölkerungen in Teilen Europas unter den europäischen Sparmaßnahmen leiden, durch Renten- und Sozialleistungskürzungen in prekäre Verhältnisse gedrängt werden und Staaten Milliarden Steuergelder zur Bankenrettung nutzen, steigt der Unmut in weiten Teilen der Bevölkerung über die aktuelle Situation. Die Angst vor finanziellen Schwierigkeiten, Arbeitslosigkeit und Armut und die Wut über die Krisenpolitik dienen rechten Kräften europaweit als Anknüpfungspunkt, um Menschen auf ihre Seite zu ziehen. Sie bieten einfache Antworten auf komplexe Probleme. Sündenböcke sind schnell gefunden. Für die Auswirkungen des kapitalistischen Systems machen sie hauptsächlich Geflüchtete verantwortlich. Aber auch andere Minderheiten und Unterdrückte kommen ihnen zur Argumentation recht – offener Rassismus, Homophobie und Antifeminismus sind fester Bestandteil ihrer rechten Politik.
Nicht erst seit Beginn der sogenannten „Flüchtlingskrise“ findet in Europa ein Rechtsruck statt. In Deutschland zeigt sich dieser gesellschaftliche Rechtsruck auf verschiedene Arten. Rechte und rassistische Kommentare werden nicht mehr nur im Verborgenen ausgesprochen, sondern in aller Öffentlichkeit mitgeteilt, sei es im Privaten, im Beruf, im Netz, der Politik oder den Medien.
Wöchentlich finden im gesamten Bundesgebiet rechte Demonstrationen statt, bei denen ganz unverhohlen offener Rassismus auf die Straße getragen wird.
Obwohl die Teilnehmer oft als „besorgte Bürger“ verharmlost werden, ist Rassismus hier der gemeinsame Nenner.
Auch wenn völkisches Gedankengut und Islamophobie den Rassismus innerhalb der AfD dominieren, hat erst neulich der thüringische Fraktionsvorsitzende der AfD, Björn Höcke, eindrucksvoll bewiesen, dass selbst der stumpfste Rassismus innerhalb der AfD seinen Platz hat, als er sein Bild der vermeintlichen Unterschiede zwischen Europäern und Afrikanern und deren Reproduktionsverhalten dem Publikum mitteilte. Hier von einem Einzelfall zu sprechen wäre fatal.
Zwar wird von Seiten der AfD-Führung immer von „Einzelfällen“ oder „Ausrutschern“ gesprochen, Fakt ist jedoch, dass rassistische Äußerungen in der AfD zum „Guten Ton“ gehören.
Dass dieses Auftreten kein ostdeutsches Problem ist, zeigt der Stuttgarter Stadtrat Heinrich Fiechtner, der bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer der Anschläge auf die Satirezeitung Charlie Hebdo den Koran mit Hitlers „Mein Kampf“ verglich. Nicht nur, dass er die Opfer benutzt, um seine rassistische Hetze zu verbreiten. Er steckt alle Muslime mit den Terroristen des Islamischen Staates und den deutschen Nationalsozialisten in einen Topf und diffamiert somit Milliarden Menschen, nur um seine Hetze unter die Leute zu bringen. Solche Aussagen, egal ob von Fiechtner, Höcke oder anderen, sind das Wasser, das die Mühlen am Laufen hält. Am Ende dieser Mischung aus Hetze, geschürten Ängsten und der in Teilen der Gesellschaft vorhandenen Ablehnung von allem Fremden, stehen brennende Geflüchtetenunterkünfte und Angriffe auf Menschen, die nicht in deren beschränktes Weltbild passen.
Die AfD ist außerdem in Stuttgart maßgeblicher Bestandteil der sogannten „Demo für Alle“. Diesen Zusammenschluss aus Konservativen, christlichen Fundamentalisten, Rechtspopulisten,“Identitären“ und offenen Faschisten eint neben Homophobie der Wunsch nach einem gesellschaftlichen Rollback. Ziel ist die Umkehrung verschiedener gesellschaftlicher Errungenschaften hin zu einer veralteten, patriarchalen Gesellschaft, in der sexuelle Vielfalt, Freiheit und Selbstbestimmung keinen Platz haben. Hier spielt die AfD eine entscheidende Rolle. Nicht nur, dass die AfD durch verschiedene Personen direkt in die Organisation involviert ist, auch finanziell und politisch unterstützt sie die „Demo für Alle“ massiv.
Ganz nach dem französischen Vorbild „Manif pour tous“, bei dem Hunderttausende gegen sexuelle Vielfalt auf die Straße gingen, wird versucht, eine rechte Bewegung in der Mitte der Gesellschaft zu etablieren.
Hierbei stellt die Zusammenarbeit mit offen auftretenden Faschisten für die AfD kein Problem dar.
Auch wenn im Moment der rechtspopulistische Flügel über den marktliberalen gesiegt zu haben scheint, so ist nach wie vor die Interessenvertretung der Wirtschaft ein wichtiges Standbein der AfD.
Während eine sogenannte Krise die nächste jagt, baut die AfD darauf ein politisches Fundament auf, an dessen Ende nicht nur ein gesellschaftlicher Rechtsruck mit negativen Folgen für Millionen Menschen, sondern ihre Freiheit, nämlich die Freiheit der Wirtschaft und die Befriedigung kapitalistischer Interessen auf dem Rücken der Bevölkerung steht. Neben ihren marktradikalen Positionen, bei denen letztlich alle sozialen und gesellschaftlichen Fragen der ökonomischen Wettbewerbslogik untergeordnet werden, steht die AfD für ein elitäres Gesellschaftsbild. So wurde beispielsweise die Aberkennung des Wahlrechts für Langzeitarbeitslose diskutiert.
Die AfD liefert den Leuten vermeintliche Antworten auf die aktuellen Probleme. So werden in der europäischen Euro- und Wirtschaftskrise vor allem die Griechen verantwortlich gemacht. Die Antwort ist für sie hier, eine Stärkung der deutschen Wirtschaft auf Kosten der europäischen Bevölkerung. Kürzungen der Renten und Sozialleistungen, Privatisierung, Überwachung und Repression sind nur einige Teile davon. Hier wird allerdings die Ursache genauso wie im Bezug auf die wachsenden Geflüchtetenzahlen als Folge von Armut, Verfolgung und Krieg verschwiegen! Denn Kapitalismus ist nicht die Antwort auf die aktuellen Probleme. Er ist die Ursache!
Seit Monaten gibt es praktisch täglich Meldungen über Brandanschläge auf Geflüchtetenunterkünfte und Übergriffe auf Geflüchtete.
Hier muss ganz klar gesagt werden, dass rechte Kräfte wie die AfD, aber auch Teile der Union und anderer Parteien, die politische Schuld tragen.
Sie geben Geflüchteten die Schuld an wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen und schaffen künstliche Bedrohungsszenarien.
Diese Akteure müssen aus der Deckung geholt werden. Sie müssen benannt und bekämpft werden als das was sie sind: Rechte, rechtspopulistische und rassistische Hetzer.
Die AfD gießt mit ihrer Islamophobie und Hetze gegen Geflüchtete nicht nur Öl ins Feuer. Sie stellt das politische Fundament dar, auf dem sich Fremdenfeindlichkeit in der Gesellschaft aufbaut und macht einen solchen Aufschwung rechter Gewalt überhaupt erst in dem Maße möglich.
Auch wenn der stellvertretende SPD Fraktionsvorsitzende Oppermann meint, die AfD könne durch einen Rechtsruck der Unionsparteien zurückgedrängt werden, so spielt das lediglich den Leuten in die Karten, die sich einen gesellschaftlichen und politischen Rechtsruck wünschen und davon profitieren.
Die Antwort auf die AfD und ihre rechte Hetze kann kein Abrücken nach rechts, sondern nur entschlossener antifaschistischer Widerstand sein! Denn Rassismus, Islamophobie, Sexismus, Homophobie, aber auch verstärkte Überwachung und Repression, die Unterordnung aller Fragen der ökonomischen Wettbewerbslogik und eine elitäre Gesellschaft sind keine Alternative!
Zeigen wir ihnen, dass sie in dieser Stadt nicht erwünscht sind. Machen wir ihnen klar, dass sie keinen Fuß in unsere Stadt setzen können, ohne mit unserem Widerstand konfrontiert zu werden.
Denn unsere Alternative ist eine Welt fernab von Kapitalismus und Rassismus. Unsere Alternative ist eine solidarische Gesellschaft, in der niemand auf Grund seiner oder ihrer Herkunft, Religion, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung oder sozialen Herkunft ausgegrenzt oder unterdrückt wird.
Gegen jede rechte Hetze!
Für ein solidarisches Miteinander!
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