Von Tape Lago – Kandel. Die rheinland-pfälzische Kleinstadt Kandel kommt weiter nicht zur Ruhe. Bei den Protesten gegen einen rechten Aufmarsch am Samstag, 12. Januar, setzte die Polizei Schlagstöcke und massiv Pfefferspray aus nächster Nähe gegen NazigegnerInnen ein. Diese hätten, so das Polizeipräsidium Rheinpfalz in einer Pressemitteilung, versucht, eine „Polizeiabsperrung“ zu durchbrechen. Allerdings war im Bereich der Humboldtstraße / Robert-Koch-Straße gar keine Absperrung der Polizei erkennbar. Verletzte seien der Polizei nicht bekannt. Doch bei dem Einsatz wurden nach unseren Informationen mehr als 12 DemonstrantInnen verletzt, darunter Minderjährige.
Die Szenen des nach Urteil von Augenzeugen brutalen und unverhältnismäßigen Einsatzes von Schlagstöcken und Pfefferspray spielten sich – nach dem Protest der „Omas gegen Rechts“ gegen die rechte Zwischenkundgebung am Kreisel – in der Humboldtstraße / Robert-Koch-Straße ab. Dort habe die Polizei grundlos und ohne Vorwarnung eine Gruppe von etwa 40 Personen angegriffen, die geschlossen zurück zum Bahnhof laufen wollten, um ihren Protest gegen die Rechten fortzusetzen.
Polizeikräfte sprühten demnach massiv Pfefferspray auf die wehrlosen AntifaschistInnen und schlugen sie nieder. Augenzeugenberichten zufolge sollen mehr als 12 Personen verletzt sein. In der Juststraße räumte die Polizei eine Sitzblockade gewaltsam und stellte die Identitäten der Blockierenden fest.
Polizei steht in der Kritik
Die Antifa Trier kommentierte am 13. Januar, die Ereignisse so: „Der Demonstrationszug bewegte sich schnellen Schrittes Richtung Bahnhof als plötzlich ein kleiner Polizei Trupp aus einer Seitenstraße gerannt kam, auf die Demo zu lief und diese aufforderte stehen zu bleiben. Obwohl dieser Aufforderung nachgekommen wurde, zückten die Polizist*innen direkt ihre Schlagstöcke, prügelten wahllos auf die Menschen hinter dem Fronttranspi ein und setzten massiv Pfefferspray ein. Auch viele Minderjährige waren hiervon betroffen.“
Die „Omas gegen Rechts“ äußerten am 15. Januar ihren Unmut in einem Leserbrief: „Und dann wurde Teilnehmern unserer Veranstaltung dort ohne jede Vorwarnung völlig grundlos mit Pfefferspray und Schlagstöcken begegnet. Betroffen war, wer nicht schnell genug wegkam, selbst Menschen auf dem Rückzug wurden gnadenlos malträtiert. In erster Linie hat es dabei junge Leute erwischt.
„Omas gegen Rechts“ widersprechen Polizei
Denn neben Opas haben wir auch Enkel in den Reihen und die waren uns voraus. Was wäre wohl passiert, wenn auch noch ältere und etwas weniger robuste Menschen zu Schaden gekommen wären? Denn natürlich gab es – entgegen der Darstellung der Polizei und beim Einsatz von Pfefferspray aus einer Entfernung von 10 cm zum Gesicht und Schlagstöcken wohl auch wenig verwunderlich – Verletzte zu beklagen, mehr als ein Dutzend.
Angeblich befürchtete die Polizei einen Durchbruch. Ja, ist denn ein stehender Polizist künftig als Sperre zu betrachten? Und ist es neuerdings kriminell zu laufen, wenn man schnell zu einem abgesprochenen Ort kommen will?“
Kurt Beck überraschend bei Kandel gegen Rechts
Zu der Demonstration unter dem Motto „Menschenrechte statt rechte Menschen“ gegen das rechte „Frauenbündnis“ hatte das antifaschistische Bündnis Kandel gegen Rechts aufgerufen. Unterstützt wurde es von der KKA (Kurfürstlich Kurpfälzische Antifa), den „Omas gegen Rechts“, der SPD, den Grünen, der Linken, der Partei Die Partei und Antifa-Gruppen aus Landau, Karlsruhe, Mannheim, Trier und Mainz. Rund 500 Polizeikräfte waren im Einsatz, um den für den Nachmittag geplanten rechten Aufmarsch zu ermöglichen.
Die Kundgebung von Kandel gegen Rechts begann wie geplant um 13 Uhr. Sehr groß war die Überraschung und Freude bei den TeilnehmerInnen, als der ehemalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) in der Gartenstraße ankam. Beck wollte mit seiner Anwesenheit das antifaschistische Bündnis unterstützen und wie alle Anwesenden ein starkes Zeichen gegen das rechte „Frauenbündnis“ setzen. Dies machte er in einer Ansprache deutlich. Es sprachen auch die SPD-Landtagsabgeordnete Dr. Kathrin Rehak-Nitsche, die Landesvorsitzende der Grünen Jutta Paulus, Claudia Neff-Butz (Aufstehen gegen Rassismus Südpfalz) und ein Redner des OAT (Offenen Antifaschistischen Treffens) Landau.
Demokratie und Kandel vor Rechten schützen
Zeitgleich fand auf dem südlichen Parkplatz am Bahnhof in Hör- und Sichtweite der Rechten eine Kundgebung des Bündnisses „Wir sind Kandel“ unter dem Motto „WIR schützen unsere Demokratie vor rechten Parolen!“ statt. Dort sprachen unter anderem die Kandler Grünen-Geschäftsführerin Ursula Schmitt-Wagner, Bürgermeister Volker Poß (SPD) und Stadträtin Jutta Wegmann (Grünen). Sie plädierten für ein friedliches, demokratisches und buntes Kandel. Sie riefen die rund 100 TeilnehmerInnen auf, alles daran zu setzen, um die Demokratie zu schützen und Kandel gegen die extrem Rechten des „Frauenbündnisses“ zu verteidigen.
Daraufhin zog der rechte Demonstrationszug mit etwa 150 TeilnehmerInnen – extrem Rechten, ReichsbürgerInnen, Neonazis und AfD-Anhängern – unter starkem Polizeibegleitung durch die Straßen ohne Außenwirkung. Sie hetzten erneut gegen Flüchtlinge, Linke, AntifaschistInnen und PolitikerInnen. Insgesamt beteiligten sich rund 300 AntifaschistInnen und andere DemokratInnen an den Protesten gegen das rechte „Frauenbündnis“.
Kommentar von Tape Lago: Unverhältnismäßiger Polizeieinsatz
Die Gewalt in Kandel hört einfach nicht auf. Am 1. Dezember 2018 hatte ein rechter Demoteilnehmer eine Gruppe von AntifaschistInnen mit einem Straßenschild attackiert und dabei einen von ihnen schwer verletzt. Vier Wochen nach diesem rechten Angriff wurden am vergangen Samstag mehrere Personen durch einen brutalen Polizeieinsatz verletzt.
Seit mehr als einem Jahr missbraucht das sogenannte „Frauenbündnis“, eine rechte Gruppierung um Marco Kurz, den Mord an Mia V., um in Kandel für Unruhe zu sorgen. Es wird deutlich erkennbar von Polizei und Versammlungsbehörden beschützt und unterstützt. Die Rechten durften unübersehbar gegen das Vermummungsverbot verstoßen.
Sie durften offensichtlich auch mit Flaggen des Saarlandes, das bereits am 31. Dezember 1956 aufgelöst wurde, durch Kandel marschieren. Die Polizei schaute komplett weg, um sich nicht mit den Rechten, ReichsbürgerInnen, Hooligans und Neonazis des „Frauenbündnisses“ anzulegen. Im Gegensatz zu ihrer „Machtlosigkeit“ bei den Rechten ließ sie bei den NazigegnerInnen die Muskeln spielen und demonstrierte ihre Macht. Der Polizeieinsatz in der Humboldtstraße / Robert-Koch-Straße war unverhältnismäßig und sollte sich nicht wiederholen.
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