Von Alfred Denzinger – Backnang. Neonazis aus dem NPD-Umfeld scheiterten mit dem Versuch, am Samstag, 3. August, eine „Schweigeminute“ am Backnanger Bahnhof abzuhalten. Sie waren dem Aufruf des NPD-Projekts „Schutzzone“ (siehe Screenshot unten) gefolgt, den Mord an einem achtjährigen Jungen durch einen vermutlich psychisch kranken Mann am Frankfurter Bahnhof bundesweit für ihre Propaganda zu instrumentalisieren. Letztlich standen die beiden Initiatoren etwa 40 AntifaschistInnen gegenüber. Geschützt wurden die einsamen Rechtsaußen von rund 50 Polizeibeamten.
Rund 40 NazigegnerInnen blockierten an verschiedenen Stellen die Zugänge zur Backnanger Bahnhofsüberführung. Lediglich die beiden Veranstalter schafften es zu ihrem angedachten „Trauerort“. Eine Handvoll „Mittrauernde“ – das Offene Antifaschistische Treffen Rems-Murr (OAT) spricht von sieben – konnten das Szenario nur von weitem verfolgen. Eine Teilnahme war ihnen wegen der Blockaden nicht möglich. Die beiden Initiatoren erzielten keinerlei Außenwirkung.
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Polizei schützt Neonazis und behindert die Presse
Im Anschluss an das gescheiterte Schauspiel zogen die beiden Veranstalter unter Polizeischutz ab. Umringt von AntifaschistInnen zogen sie sich sichtlich frustriert zu ihren Fahrzeugen zurück. Auf den beiden PKWs waren am Heck identische Aufkleber angebracht: „Böse Buben Club“.
Bei einem kleineren Scharmützel zwischen den beteiligten Gruppen (Polizei, AntifaschistInnen, Neonazis) wollten einzelne Polizisten eine Dokumentation der Ereignisse offenbar verhindern. Es blieb beim Versuch (siehe Video). Bereits zu einem früheren Zeitpunkt behinderte eine Gruppe von Bundespolizisten die Pressearbeit. Sie versperrten dem Autor als Berichterstatter der Beobachter News den Zugang zur Bahnüberführung trotz vorgezeigten Presseausweises. Eine rechtliche Grundlage hierfür nannten die Beamten nicht. Ein klarer Verstoß gegen die grundgesetzlich verbriefte Pressefreiheit.
„Konsequent gegen rechte Vereinnahmung“
Nachdem die „Trauergemeinde“ abgezogen war, brachten die AktivistInnen noch ein Transparent mit der Aufschrift „Die Trauer den Betroffenen – Konsequent gegen rechte Vereinnahmung!“ an der Backnanger Bahnhofsüberführung an. Hierzu erklärte das OAT: „Dies taten wir, um ergänzend zu unseren verteilten Flugblättern (siehe unten) zu vermitteln, dass es uns bei unserem Handeln nicht darum ging, kollektive Formen der Trauer an den Pranger zu stellen, sondern ihrer Vereinnahmung durch Faschisten wie der NPD einen Riegel vorzuschieben.“
Das Offene Antifaschistische Treffen Rems-Murr (OAT) geht in seiner aktuellen Pressemitteilung davon aus, dass sich „die Rechten von solchen Inszenierungen pogromartige Dynamiken wie in Kandel (siehe „Merkwürdiger Trauermarsch in Kandel„) oder Chemnitz (siehe „Antifaschismus endlich stärken„) erhofften.
Von Neonazis und Axtschwingern
In der auf öffentlich gestellten Facebookveranstaltung sind die Initiatoren für jedermann sichtbar. Es handelt sich um Markus Wieland und Jörg Giering. Wieland hat als öffentliches Facebookprofilbild einen axtschwingenden Wikinger mit einem schwarz-rot-goldenen Hintergrund eingestellt. Das Bild ist überschrieben mit „Es ist Zeit aufzustehen – holen wir uns unser Land zurück!“ (siehe Screenshot links).
Giering gibt seine politische Ausrichtung auf seinem Facebookprofil öffentlich preis: Neben zahlreichen NPD-Gruppen gelten seine Sympathien auch diversen Rechtsrockmusikern und neonazistischen Politikern.
Nach Angaben des OAT sollen sich auf der Facebookveranstaltung viele Profile von Neonazis befunden haben. Unter den Interessierten war auch Marina Djonovic, laut OAT eine NPD-Kandidatin für die Bundestagswahl 2017 im Wahlkreis Backnang-Schwäbisch Gmünd. Nach Wikipedia-Angaben ist Djonovic stellvertretende Vorsitzende des Rings Nationaler Frauen (RNF), einer bundesweiten Unterorganisation der NPD. Djonovic kommentierte unter der Facebookveranstaltung: „Ich bin leider nicht da. Bin in Thüringen.“, woraufhin Markus Wieland antwortete: „Schade aber in Thüringen gibt’s bestimmt auch was.“ (siehe Screenshot).
Offener neonazistischer Auftritt vereitelt
Wegen des klar erkennbaren neonazistischen Hintergrunds dieser „Trauerveranstaltung“ hatte sich das OAT nach eigenen Angaben dazu entschlossen, die Rechten mit seinem „Protest zu konfrontieren und ihre Aktion als das zu entlarven, was sie ist: Hetze gegen Geflüchtete und MigrantInnen auf dem Rücken des Opfers und seiner Angehörigen“.
Die Backnanger Polizei hingegen hatte sich offenbar entschlossen, mit einem Großaufgebot von etwa 50 Polizeikräften – darunter etwa 40 Angehörige von Bereitschaftseinheiten der Bundes- und Landespolizei – die Inszenierung der „Trauer“ zu ermöglichen.
Das OAT Rems-Murr sieht bei den Ereignissen am Backnanger Bahnhof den „Versuch der lokalen NPD, wieder einen Fuß auf die Backnanger Straßen zu setzen (…), als klar gescheitert“ an. Gleichzeitig habe die Backnanger Polizeiführung ihren Willen zur Schau gestellt, „selbst Kleinstversammlungen von Faschisten mit einem massiven Aufgebot durchzusetzen“. Dennoch habe eine weitere Beteiligung von Rechten an der „Gedenkaktion“ durch antifaschistische Blockaden verhindert und die Backnanger Zugreisenden durch Megafondurchsagen und verteilte Flugblätter über die Hintergründe der Proteste aufgeklärt werden können.
Die Neonazi-Kundgebung war nicht angemeldet
Nach einer Meldung der Waiblinger Kreiszeitung soll eine Sprecherin der Stadt Backnang gesagt haben, dass „keine der beiden Kundgebungen vorher angemeldet“ worden sei – die Stadt sei lediglich im Vorfeld von der Polizei „darauf aufmerksam gemacht“ worden, dass es „eben diese Facebook-Aufrufe gab“.
Die Antifa, erklärt die Stadtsprecherin, habe dann am Samstag immerhin vor Ort noch eine „Spontanversammlung“ angemeldet (Anmerkung der BN-Redaktion: Hier ist wohl eine Eilversammlung gemeint, da Spontanversammlungen nicht angemeldet werden müssen). Das ist rechtlich möglich bei Kundgebungen, die sich aus aktuellem Anlass kurzfristig formieren. Die Rechten hätten das nicht getan; es sei aber auch nicht nötig gewesen, glaubt die Stadtsprecherin: Das seien ja nur „zwei Leute“ gewesen, da könne man „nicht von einer Versammlung im rechtlichen Sinne sprechen“. Diese Rechtsauffassung entspricht allerdings nicht dem Versammlungsrecht, denn Versammlungen müssen grundsätzlich 48 Stunden vor öffentlicher Bekanntgabe angemeldet werden. Darüber hinaus liegt nach herrschender Meinung eine Versammlung im Sinne von Art. 8 Grundgesetz vor, wenn mindestens 2 Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung zusammen kommen. Die Facebookanmeldung war spätestens seit 31. Juli öffentlich im Netz. Somit liegt ein klarer Rechtsverstoß vor. Man darf auf die Reaktionen des Staatsschutzes gespannt sein.
Flugblatt des OAT
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