Nürnberg. 10 Monate auf Bewährung für den sogenannte Rädelsführer für bloßes Anschreien von Polizeibeamten, 14 Monate ohne Bewährung für den anderen Angeklagten wegen angeblicher Bedrohung einer Polizeibeamtin: Mit diesem Urteil bestätigte das Landgericht Nürnberg-Fürth im Wesentlichen den Richterspruch der ersten Instanz (siehe „Ins Gefängnis für Anschreien der Polizei„). Die Berufungsverhandlung war am Dienstag, 2. Februar. Es ging um Ereignisse am 28. Juni 2019 am Jamnitzerplatz in Nürnberg. Dort hatte eine Gruppe von Menschen gegen aus ihrer Sicht schikanöse Polizeikontrollen protestiert.
Obwohl von der Menge keine Gewalt ausgegangen sei, habe das Gericht die Ansammlung dennoch als gewalttätigen Mob tituliert und die Angeklagten dementsprechend verurteilt, so das „Solidaritätskomitee Jamnitzerplatz Prozesse“. Es handle sich um einen politischen Prozess. Die beiden Angeklagten seien schon jahrelang als Polizei- und Systemkritiker aktiv. Deshalb sei „das harte Urteil des Amtsgerichts in erster Instanz“ erfolgt: 15 Monate beziehungsweise 18 Monate ohne Bewährung. Die Verurteilten gingen gegen das Urteil in Berufung. Das Komitee wirft der Justiz vor, Gesinnung bestraft zu haben.
Der eine Angeklagte, ein 51-Jähriger, habe aus einer Gruppe von Menschen lautstark gegen die schikanösen Personenkontrollen durch die Polizei im Jamnitzer Park protestiert, während der andere, 32, nach Zeugenaussagen nicht einmal vor Ort gewesen sei. Bei der verbalen Auseinandersetzung sei es zu keinerlei Gewalttaten gekommen, einem der Angeklagten sei jedoch trotzdem vorgeworfen worden, der „Rädelsführer eines gewalttätigen Mobs“ gewesen zu sein.
„Die Staatsanwaltschaft sah sich selbst im Kampf gegen herbei phantasierte No-Go-Areas und bürgerkriegsähnliche Zustände in Nürnberg/Gostenhof“, erklärt das Solidaritätskomitee. Der andere Angeklagte sei von einer einzigen Polizeizeugin identifiziert worden. Obwohl sie sich in mehrere Widersprüche verwickelt habe, schenkte das Gericht ihr Glauben. Den Zeugen der Verteidigung hätten Staatsanwaltschaft und Richterin hingegen „bei skandalösen Befragungen ständig zu verunsichern und in Widersprüche zu verwickeln“ versucht. Ihm sei ständig unterstellt worden zu lügen.
Die Verurteilung sei aufgrund der Aussage einer Polizeibeamtin erfolgt. Niemand sonst habe von den von ihr geschilderten Vorgängen etwas mitbekommen, obwohl die Polizei als Gruppe agierte. Strafverschärfend sei gewertet worden, dass die Angeklagten nicht selbst Ziel der Polizeikontrolle waren, sondern sich nur mit den Kontrollierten solidarisierten. Die Berufungskammer wandelte das Urteil gegen den „Rädelsführer“ in 10 Monate auf Bewährung für bloßes Anschreien von Polizeibeamten um, für den anderen in 14 Monate ohne Bewährung wegen angeblicher Bedrohung einer Polizeibeamtin.
Das Fazit des Solidaritätskomitees: „Lautstarker Protest wird als Gewalttat definiert und dementsprechend bestraft. Und – als Linker muss man nicht mal vor Ort gewesen sein.
Solidarisches Verhalten wirkt strafverschärfend.“ Offenbar habe ein Exempel statuiert werden sollen. Der Protest sei vor dem Hintergrund einer zunehmenden Gentrifizierung der Stadtviertel zu sehen, KritikerInnen sollten mundtot gemacht werden. Gleichzeitig versuche die Polizei, sich „gegen jede Kritik zu immunisieren“. Dafür stünden auch die neuen Polizeigesetze (PAG), die in verschiedenen Bundesländern verabschiedet werden sollen oder bereits wurden.
Folge uns!