Von unserer Redaktion – Nürnberg. Im Oktober verurteilte das Nürnberger Amtsgericht zwei linke Aktivisten zu 18 beziehungsweise 15 Monaten Haft ohne Bewährung. Der Grund: Sie sollen im Sommer 2019 auf dem Jamnitzer Platz in Nürnberg PolizeibeamtInnen angeschrien haben. Die Anarchistische Gruppe Nürnberg „Auf der Suche“ spricht von einem Skandalurteil. Nach der Urteilsverkündung gab es eine Spontandemonstration. Der Berufungsprozess vor dem Landgericht ist im Februar.
Der Jamnitzer Platz in Nürnberg gilt als Symbol für den Kampf gegen Gentrifizierung und Vereinzelung, heißt es in einer Mitteilung der Anarchistischen Gruppe „Auf der Suche“. Er sei seit vielen Jahren wiederkehrendes politisches Thema. Gleichzeitig ist er ein Ort des Zusammenkommens. Gerade in Vierteln wie Gostenhof und der Südstadt, wo die Menschen in der Regel nicht auf private Gärten ausweichen können, verschiebt sich das Leben ein Stück weit in den öffentlichen Raum. Das gefällt jedoch nicht jedem, gerade vielen finanzstarken neu Zugezogenen nicht, die sich ab 22 Uhr Ruhe wünschen und wegen Ruhestörung die Polizei rufen. Fast täglich, klagen Betroffene, würden ParknutzerInnen von einer „immer aggressiver auftretenden Polizei“ belästigt. Man werde geschubst, geschlagen, beleidigt und begrabscht – das mache „Wut im Bauch“.
Kontrollverlust der Polizei
Im Juni 2019 versammelte sich während einer Personenkontrolle eine größere Gruppe von Menschen, um sich zu solidarisieren. Sie forderten die BeamtInnen verbal dazu auf, den Platz zu verlassen und die Leute in Ruhe zu lassen. Widerwillig sei die Polizei dem nachgekommen, obwohl Verstärkung angerückt war.
„Die Polizei habe kapituliert, lautete später der Vorwurf der Anwohner“, heißt es in einem Bericht der Nürnberger Nachrichten vom 6. Oktober über den Prozess. Deshalb hänge die Staatsanwaltschaft den Vorwurf nach Auffassung der Anwälte Michael Brenner und Iñigo Schmitt-Reinholtz viel zu hoch: „Den verlorenen Kontrollverlust der Polizei wolle sich die Strafverfolgungsbehörde nicht bieten lassen.“
„Maßlos aufgebauscht“
Seit dem Vorfall sei die Polizeipräsenz am Jamnitzer Platz noch einmal stark angestiegen, berichtet die Anarchistische Gruppe. Mittlerweile fahre sogar das USK „Unterstützungskommando“ Streife. Der Platz werde nachts von Polizeibussen umkreist und mit Scheinwerfern ausgeleuchtet. Kleinste Ordnungswidrigkeiten würden sofort aggressiv geahndet und Straftatbestände konstruiert. Während die ursprüngliche Polizeimeldung zu den Vorfällen im Juni noch unspektakulär klang, habe die Lokalzeitung „Nürnberger Nachrichten“ das Geschehen im Park „maßlos aufgebauscht“. Die Polizei habe nachgezogen und die Ereignisse nun ebenfalls so drastisch wie möglich dargestellt.
Träumt da ein Polizist vom „Kantholz“?
So erhob sie gegen die beiden Angeklagten den Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung. Die Rede sei von einem „im Gleichschritt marschierenden“ Mob. Ein Angeklagter werde willkürlich zum Rädelsführer stilisiert. Dem anderen, der einem Zeugen an jenem Abend nicht einmal vor Ort war, wird vorgeworfen, sich mit einer Holzlatte bewaffnet zu haben. An diese Latte könne sich außer einer einzigen Polizisten, die mit ihr bedroht worden sein will, niemand erinnern. „Selbst in der Anklageschrift ist zu keinem Zeitpunkt von physischer Gewalt die Rede – eher wird die verbale Unmutsbekundung gegenüber der Polizei zum Widerstand konstruiert“, kritisiert die Anarchistische Gruppe.

War er dabei?
Von Anfang an sei eine „politische Motivation der Ermittlungs- und Prozessführung erkennbar gewesen. Beispielhaft hierfür stehe die Ermittlung des Staatsschutzes: „Der ältere Angeklagte wurde auf einer Lichtbildvorlage identifiziert, auf der acht völlig unterschiedlich aussehende Männer über 50 zu sehen waren, die vom Staatsschutz der linken Szene zugeordnet werden. Die Devise dabei lautete wohl, wie einer der Anwälte kommentierte, dass es schon keinen falschen treffen werde, egal auf wen die ZeugInnen zeigen. Bei dem jüngeren Angeklagten verlief die Identifizierung noch zweifelhafter. Aufgrund einer Personenbeschreibung einer einzigen Polizistin (diejenige, die eine Holzlatte gesehen haben will) legte der Staatsschutz den BeamtInnen drei Blöcke mit jeweils acht Fotos von unterschiedlichen Menschen vor.“
Die Personenbeschreibung der Polizistin sei äußerst vage. Sie habe sich im Prozess jedoch sicher gezeigt. Obwohl ein anderer Zeuge glaubhaft erklärt habe, dass der Angeklagte am fraglichen Abend gar nicht vor Ort war, zweifelte das Gericht die Glaubwürdigkeit der Polizistin nicht an. Unmittelbar vor ihrer Aussage habe sie die Mittagspause zu einem gemeinsamen Essen mit ihrem Lebenspartner genutzt. Er sei ebenfalls Polizist und habe die erste Verhandlungshälfte mit den Zeugenaussagen mitverfolgt. Das habe den Richter und die Staatsanwaltschaft nicht interessiert, kritisiert die Anarchistische Gruppe – schließlich hätten sie „nichts Inhaltliches über die Verhandlung besprochen“.
Knast fürs imaginäre „Kantholz“ und Anschreien
Die Staatsanwaltschaft habe in ihrer Urteilsforderung betont, es gehe um Prävention und dass am Jamnitzer Platz keine No-Go-Area entstehen dürfe. Deswegen müsse der Staat mit voller Härte zurückschlagen. Der Richter folgte mit seinem Urteil im Wesentlichen den Forderungen des Staatsanwaltes. Er verurteilte den Angeklagten, der angeblich eine Holzlatte in der Hand gehalten haben soll, zu 18 Monaten Haft. Der andere Angeklagte, dem zur Last gelegt wurde, PolizeibeamtInnen angeschrien zu haben, wurde zu 15 Monaten Haft verurteilt. Beide Strafen wurden nicht zur Bewährung ausgesetzt.
Die Rote Hilfe hat ein Solidaritätskonto für die beiden Verurteilten eingerichtet, und die Gruppe „Auf der Suche – Anarchistische Gruppe Nürnberg“ hat eine Sonderseite zum Thema angelegt.
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