Von Sandy Uhl – Ulm. Ein Aufzug aus rund 1000 Corona-LeugnerInnen, ImpfgegnerInnen, VerschwörungstheoretikerInnen und der Reichtsbürgerszene nahestehenden Personen, durchmengt mit kritischen BürgerInnen, zog am Samstag, 27. März, durch die Ulmer Innenstadt. Die Polizei löste eine Blockade gegen den Demonstrationszug ohne Vorankündigung auf. Die Gegenkundgebung auf dem Münsterplatz stand unter starker Polizeibeobachtung. Die „Klardenker“ provozierten mit wirren Parolen und aufwieglerischen Reden.
Verschiedene Organisationen, darunter das Festival Contre le Racisme Ulm, die Grüne Jugend, die DGB-Jugend und das Kollektiv.26, hatten zur Kundgebung gegen den Aufmarsch der sogenannten „Klardenker Schwaben“ in Ulm aufgerufen. Etwa 170 Menschen waren diesem Aufruf auf den Münsterplatz gefolgt, um solidarisch gegen den skurrilen Aufzug der „Klardenker“ zu protestieren. Bereits vor Beginn versuchte die Polizei, die Anmelderin der Gegenkundgebung einzuschüchtern. So wurde ihr die Anwesenheit einer zweiten Person bei dem Abstimmungsgespräch mit der Polizei verweigert. Die Anmelderin musste eine grüne Linie entlang der Kundgebungsfläche ziehen, die die Gegenkundgebung von den „Klardenkern“ trennen sollte. Ihr wurde angedroht, die Gegenkundgebung direkt aufzulösen, sollte diese grüne Linie von GegendemonstrantInnen überschritten werden. Ferner erkannte die Polizei einen Teil der Kundgebungsfläche nicht an, den das Ordnungsamt zuvor in einem Abstimmungsgespräch bereits genehmigt hatte.
Rechte und „Klardenker“ vereint
Währenddessen zogen die „Klardenker“, teils ohne Mundschutz und Mindestabstand, durch die Ulmer Innenstadt. Im Demonstrationszug liefen unter anderem Stephan Bergmann, der der Reichsbürgerszene zugeordnet wird, und der Ulmer Stadtrat, verurteilte Bankräuber und ehemaliges FAP-Mitglied Markus Mössle mit. Mitglieder der Identitären Bewegung Schwaben trugen ein Transparent mit der Aufschrift „Politik für das Volk“ und Schlauchschals mit dem Schriftzug „Heimatschützer“. Angeführt wurden die „Klardenker“ von Karl Hilz, der im ständigen Intervall durch sein Megafon betonte, dass es keine epidemische Lage von nationaler Bedeutung gebe. Man hätte den besonders milden Verlauf der Grippesaison 2020/2021 in Covid-19 umgetauft. Die Bundesregierung betitelte er als „Zentralkomitee 2.0“, Kanzlerin Merkel als „DDR-Tussi“, die eine Diktatur errichte, wie sie es aus der DDR gewohnt sei, und das Kriegsrecht gegen das eigene Volk verhänge.
Bei Blockade verletzt
An der Kreuzung Wengengasse/Hirschstraße stellte sich eine Gruppe von 20 Personen dem Demonstrationszug der „Klardenker“ in den Weg. Knapp eine halbe Stunde wurde die Blockade aufrechterhalten, bis die Polizei sie ohne Vorankündigung auflöste. Die GegendemonstrantInnen wurden von der Polizei eingekesselt und so massiv zurückgeschoben, dass sie sich nicht mehr halten konnten und teilweise stürzten. Dabei verletzte sich eine Person am Knöchel und musste später medizinisch versorgt werden. Laut Aussage eines Anwalts wäre zu prüfen, ob es sich um eine Spontanversammlung nach Artikel 8 des Grundgesetzes gehandelt hat und somit die Polizei die Auflösung hätte ankündigen müssen.
Alle an der Blockade beteiligten Personen wurden erkennungsdienstlich erfasst und erhielten Platzverweise. Laut Polizeibericht müssen sie mit Konsequenzen wegen Beleidigung von PolizistInnen rechnen. Die GegendemonstrantInnen wurden von Hilz als Antidemokraten bezeichnet, die früher Antifa waren und sich umorientiert hätten. Heute seien sie Nazis und würden eine diktatorische Regierung stützen und die Vorstellungen eines illegalen Zentralkomitees 2.0, bestehend aus einer „durchgeknallten Kanzlerin“ mit 16 „durchgeknallten Ministern“, befördern. Der Aufzug der „Klardenker“ konnte nach Auflösung der Blockade ungehindert in Richtung Münsterplatz weiterziehen. Im Vorbeilaufen am Polizeikessel skandierten sie „Alerta, alerta Antifascista“ oder „Nazis raus“.
Provokation und Hetze
Auf dem Münsterplatz nahmen die Reden der „Klardenker“ dann nochmals an Fahrt auf. Der Laupheimer Spediteur Markus Barth, der den Bühnentruck stellte, legte mit den Worten los, dass er sich die sinnlosen „Scheißhausparolen“ des linken Gesockses der Gegenkundgebung anhören müsse. Ferner sprach er von geschmierten Journalisten in der Medienlandschaft, die nicht wahrheitsorientiert, sondern meinungsbildend berichten würden. Ein Redner bedankte sich für die Hilfe der Polizei bei der Kundgebung in Kassel. „Ihr wart für uns. Wir setzen auf euch.“ Alexander Ehrlich, Busunternehmer aus Wien und Gründer von „Honk for hope“, behauptete, dass man auf der anderen Seite eine Kundgebung hätte, die sich für den Zwang an Menschen, für Gewalt gegen friedliche Demonstranten, in Israel für Experimente an Juden und für das Verhungern von Menschen in der dritten Welt ausspräche. Man könne diese unsolidarischen Menschen nur mit einem Sprechchor begrüßen und zwar „Nazis raus“.
Die Menge stimmte in die Parole mit ein. Wolfgang Greulich, Inhaber der Firma „WS Datenservice“, skandierte, dass sich alle, die freiwillig mit einer FFP2-Maske durch die Stadt laufen und sich nicht gegen die angeblichen Lügen wehren, mit rechtsnationalen Faschisten solidarisierten. Ferner würden sie sich seiner Meinung nach mit einer Impfdiktatur und Lehrern, die zu Sadisten mutiert sind, solidarisieren. Die Bürger in Uniform begingen Verbrechen an der Menschheit, deshalb müsse man sie gar nicht so viel loben. Politiker nannte er „transnationale Faschisten“ und Oligarchen, deren Zahlen auf den Konten steigen würden und nicht die Infektionszahlen.
Verbale Provokationen
Daniel Hipp, Leiter der Kampfkunstschule Hipp in Ulm, bezeichnete die aktuelle Situation als eine „Psychodemie“. Er verstehe nicht, wie man „so krass“ sein könne, sich an die von einer verpeilten und inkompetenten Regierung aufgedrückten Isolationszwänge zu halten. Man sollte aufhören, den vielfältigen Pandemielügen der „Systemmedien“ zu glauben. Er rief dazu auf, zivilen Ungehorsam und Widerstand für die Freiheit zu leisten. Zum Schluss erzählte er der johlenden Menge von seinen Visionen. Im Herbst würde man wieder da stehen und nach den Wahlen erneut den „Scheißhaufen“ im Bundestag sitzen haben. Deshalb fordere er dazu auf, die Parteien als Trojanisches Pferd zu übernehmen. Die Parteien müssten im Turbogang eingenommen werden. Man hätte bereits Millionen im deutschen Widerstand. Er beendete seine Rede mit den Worten „Lasst die Übernahmewelle anrollen.“
Zur Unterstützung der verbalen Provokationen, hatten die selbsternannten „Klardenker“ ein Banner in Regenbogenfarben mit der Aufschrift „Kein Platz für Nazis“ zwischen Münster und Bühnentruck gespannt.
Moderiert wurde die „Klardenker“-Veranstaltung von Dr. Daniel Langhans, Unternehmer aus Ulm. Langhans war 2016 Mitglied der AfD und fiel in der Vergangenheit bei den Ulmer Querdenken-Kundgebungen durch verwirrende Aussagen in seinen Reden auf. Wie der Internetblogg „Rechte Umtriebe Ulm“ dokumentiert, warnte er unter anderem davor, dass aktuell eine „Dekonstruktion des Menschen“ stattfinden würde. Bei einer der Kundgebungen wurde er mit einem Plakat um den Hals, mit der Aufschrift „Willkommen im 4. Reich“ fotografiert. 2020 wurde er als Redner beim Ulmer Unternehmertag unter dem Punkt „Speakers Corner“ angekündigt.
Gegendemonstranten angeblich vermummt
Während die „Klardenker“ auf dem Münsterplatz provozierten, setzte die Polizei auf dem südlichen Münsterplatz eine Gruppe von acht Personen fest und erfasste diese erkennungsdienstlich. Man begründete die Maßnahme mit dem Vorwurf des Verstoßes gegen das Vermummungsverbot. Der Einsatzleiter korrigierte die Aussagen der BeamtInnen später auf „es grenzt an Vermummung“. Zuvor war der rechte Medienaktivist und AfD-Mitglied Stefan Bauer aus Rosenheim mehrfach durch die Gegenkundgebung gelaufen. Einige Personen versuchten sich daraufhin, gegen die Foto- und Filmaufnahmen zu schützen, da die Polizei kaum in das Geschehen eingriff und Bauer, der sich gegenüber der Polizei als Journalist bezeichnete, gewähren ließ.
Verhältnismäßigkeit der Polizeieinsätze
Bereits während der Aktion hinterfragten mehrere BürgerInnen die polizeilichen Maßnahmen und deren Verhältnismäßigkeit. Aus Reihen der Festgesetzten gingen keine Aktionen hervor. Sie hatten friedlich gegen die „Klardenker“ protestiert.
Auch die Verantwortlichen der Stadt Ulm sollten sich die Frage stellen, ob die Polizeieinsätze sowohl am südlichen Münsterplatz als auch in der Hirschstraße in dieser Form gerechtfertigt waren. Zumal man sich als „Stadt der Geschwister Scholl“ bezeichnet und 2021 den 100. Geburtstag von Sophie Scholl mit mehreren Veranstaltungen feiert.
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