Stuttgart. Auf einer Pressekonferenz des baden-württembergischen Bündnisses für einen Mindestlohn ohne Ausnahmen anlässlich der geplanten Verabschiedung des Gesetzes am 4. Juli im Bundestag haben sich heute Vertreter aller beteiligten Verbände, Organisationen und Gewerkschaften vehement gegen die geplanten Ausnahmen beim Mindestlohn gewandt. Das Bündnis empört sich über den Versuch der Arbeitgeber, in den letzten Tagen des Gesetzgebungsprozesses die Vorlage zu durchlöchern:
Das ist nicht mehr der Mindestlohn, für den wir seit Jahren gemeinsam gestritten haben: Würde ist unteilbar – gegen Ausnahmen vom Mindestlohn.
Das Bündnis im Land flankiert einen bundesweiten Zusammenschluss gegen Ausnahmen vom Mindestlohn.
Dem Bündnis gehören in Baden-Württemberg an: Katholische Betriebsseelsorge, DGB, KAB (Katholische Arbeitnehmer Bewegung), KDA (Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt) der evangelischen Kirche, Landesfrauenrat, Landesjugendring, die Arbeitsgemeinschaft der NaturFreunde in Baden-Württemberg e.V, die NGG, der Paritätische, der Sozialverband VdK, der Verband alleinerziehender Mütter und Väter und ver.di.
Leni Breymaier, ver.di Landesbezirksleiterin in Baden-Württemberg, sagte auf der Pressekonferenz heute in Stuttgart:
Zwischen Achtelfinale und Viertelfinale das wichtigste Projekt der Bundesregierung zu durchlöchern geht gar nicht. Wenn eine menschenwürdige Bezahlung für Zeitungszusteller die Pressefreiheit gefährdet, dann ist durch
den Mindestlohn für Erntehelfer demnächst die Vitaminversorgung der deutschen Bevölkerung in Gefahr. Die Arbeitgeber wollen mit den Ausnahmen das Prinzip der Arbeitsvergütung auf den Kopf stellen: Nicht mehr was getan wird, bestimmt die Bezahlung, sondern wer es macht. Wer ab 1. Januar irgendwo in Deutschland irgendeine Beschäftigung aufnimmt, soll wissen, dass die Arbeit mit mindestens 8,50 Euro die Stunde vergütet werden muss. Genau diese Situation wollen die Arbeitgeber verzweifelt verhindern. In einer der reichsten Regionen der Welt gibt es keine Arbeit, die weniger als 8,50 Euro wert ist.
Der Aufruf des Bündnisses:
Würde ist unteilbar – gegen Ausnahmen vom Mindestlohn
Den aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung „Zur Stärkung der Tarifautonomie“ und hier die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro begrüßen wir ausdrücklich. Der Mindestlohn wird die Lebenssituation von über 5 Millionen Menschen verbessern. Mit der Einführung des Mindestlohns findet auch ein Kulturwandel in der Gesellschaft seinen Ausdruck: die Arbeit des oder der Einzelnen wird wertgeschätzt und deswegen erstmalig an ein Mindestniveau gebunden. Das Mindestlohnniveau von 8,50 Euro beseitigt dabei nicht den gesamten Niedriglohnsektor, da die Niedriglohnschwelle bei zwei Drittel des mittleren Stundenlohns, also 9,30 Euro, liegt. Insofern muss die Erhöhung des Mindestlohns deutlich vor 2018
erfolgen.
Die 8,50 Euro ist also die unterste Schwelle und darf nicht noch zusätzlich unterschritten werden. Auch deshalb lehnen wir die geplanten Ausnahmen vom Mindestlohn für Jugendliche und Langzeitarbeitslose ab und fordern die Bundesregierung, den Bundestag und den Bundesrat auf, diese Ausnahmen zu streichen. Insbesondere Jugendliche und Langzeitarbeitslose unterliegen einem besonderen Schutzbedürfnis, da sie auf dem Arbeitsmarkt in einer verhältnismäßig schwachen Verhandlungsposition sind. Für die gleiche Arbeitsleistung sollen diese Menschen aufgrund ihres Status schlechter gestellt werden. Das ist ein verheerendes gesellschaftspolitisches Signal – ein Rückschritt – weil es die Arbeitsleistung dieser Menschen als minderwertig feilbietet.
Diese Ausnahmen wirken auf Jugendliche und Langzeitarbeitslose diskriminierend, stigmatisierend, demütigend und sind mit unserem Verfassungsrecht nicht vereinbar.
Junge Menschen werden nicht auf eine Ausbildung verzichten, weil es einen Mindestlohn gibt. Die unterschiedlichen Verdienstmöglichkeiten zwischen einem Arbeitsverhältnis und einem Ausbildungsverhältnis sind heute schon eklatant und dennoch wissen die jungen Menschen nur zu gut, dass eine gute Ausbildung eine gute Berufs- und Einkommensperspektive eröffnet. Damit junge Menschen die Chancen haben in eine Ausbildung zu gehen, bedarf es eines ausreichenden Angebotes an Ausbildungsplätzen. Ausbildung sollte aus gesellschaftlicher Sicht immer Vorrang haben, und die Arbeitgeber müssen mehr in die Pflicht genommen werden. Hungerlöhne weit unter 8,50 Euro haben trotz guter Arbeitsmarktlage in den letzten Jahren nicht zu besseren Arbeitsmarktchancen für Langzeitarbeitslose geführt. Zukünftig könnten Arbeitgeber vermehrt Langzeitarbeitslose in einem rollierenden System für höchstens sechs Monate befristet einstellen, um den Mindestlohn dauerhaft zu umgehen. Ein solcher Drehtüreffekt bedeutet heuern und feuern und belässt die Beschäftigten in Armut trotz Arbeit. Wir lehnen Niedrigstlöhne für Langzeitarbeitslose als Wettbewerbsvorteil gegenüber Arbeitsuchenden mit Mindestlohnanspruch ab. Unterbietungskonkurrenz ist kein akzeptables Instrument zur Integration in den Arbeitsmarkt. Will man den Langzeitarbeitslosen helfen, dann müssen insbesondere hochwertige Weiterbildungsmaßnahmen, die zu verwertbaren Abschlüssen und sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung führen, und individuelle Hilfen angeboten werden.
Der Mindestlohn ist Ausdruck einer gesellschaftspolitischen Wertehaltung darüber, was ein Mensch für seine Arbeit mindestens verdienen muss. Ausnahmen vom Mindestlohn widersprechen insofern der Idee und dem Ziel des Mindestlohns selbst.
Die Ausnahmen erhalten einen Teil des Niedriglohnsektors aufrecht, der statusbezogen ist: Jugendliche und Langzeitarbeitslose für 6 Monate. Damit werden Anreize für Lohndumping gesetzt, indem sozial-versicherungspflichtige und tariflich gut bezahlte Arbeit verdrängt wird.
Grundsätzlich ist in Tarifverträgen tarifliche beziehungsweise keine geringere Bezahlung für Jugendliche und Langzeitarbeitslose vorgesehen. Die Ausnahmen können also nur in Unternehmen zur Anwendung kommen, die nicht
tarifgebunden sind. Damit wird erneut eine Tür zum Lohndumping und zur Tarifflucht eröffnet, um Lohnkostenvorteile zu verschaffen. Mit diesen Ausnahmeregelungen wird das Tarifvertragssystem nicht gestärkt, sondern geschwächt und das widerspricht dem zentralen Ziel des Gesetzespakets, das Tarifvertragssystem insgesamt wieder stärken zu wollen.
Um die Umgehung vom Mindestlohn zu verhindern, ist auch die uneingeschränkte Generalunternehmerhaftung unabdingbar. Wenn ein Auftragnehmer einen Unterauftragnehmer beauftragt, muss entlang der gesamten Auftragskette sichergestellt sein, dass der Mindestlohn eingehalten wird.
Sehr geehrte Damen und Herren der Bundesregierung, des Deutschen Bundestages und des Bundesrates, halten Sie am Ziel des Gesetzes fest: „…Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor unangemessen niedrigen Löhnen zu schützen“ und das Tarifvertragssystem zu stärken. Streichen Sie diese Ausnahmen vom Mindestlohn und schließen Sie alle Schlupflöcher. Das
Lohndumping muss ein Ende haben. Denn Würde ist unteilbar!
Silvia meint
Dem kann man sich eigentlich nur anschließen. Letzendlich führen die ganzen Ausnahmen wieder dazu, dass man sich am gleichen Punkt wie aktuell befindet und das sollte doch nicht Sinn einer solchen Einführung sein.