Von Alexei Nidu – Dresden/Stuttgart. Vor dem Dresdner Amtsgericht wurde am 27. Juni gegen einen Stuttgarter Antifaschisten verhandelt. Hintergrund waren die antifaschistischen Proteste gegen den Nazi-Großaufmarsch am 19. Februar 2011 in Dresden. Der Prozess endete mit einer Verurteilung wegen Landfriedensbruchs in besonders schwerem Fall, siebenfacher gemeinschaftlicher Körperverletzung und des Verstoßes gegen das versammlungsrechtliche Vermummungsverbot. Das Gericht verhängte eine Freiheitsstrafe von 14 Monaten, ausgesetzt für zwei Jahre auf Bewährung.
Von Stuttgart nach Dresden und zurück
Die Staatsanwaltschaft warf dem Antifaschisten mehrere Steinwürfe gegen Polizeieinheiten und Wasserwerfer vor, ebenso die Beteiligung am Bau von Materialblockaden. Der Prozess ist Teil von mindestens sechs Verfahren gegen AntifaschistInnen aus der Region Stuttgart in Zusammenhang mit Aktionen am 19. Februar 2011 in Dresden.
Im Oktober 2011 gab es in diesem Zusammenhang bei vier Stuttgarter Antifaschistinnen Hausdurchsuchungen, die von lokalen Polizisten zusammen mit der Dresdner SOKO 19/2 organisiert wurden. Dabei zeichnete sich bereits ab, dass die Repressionsorgane in diesem Fall ein besonderes Interesse an der Verfolgung von Stuttgarter AktivistInnen haben. An einer gemeinsamen Bus-Anreise zu den antifaschistischen Protesten beteiligten sich damals über 250 AktivistInnen aus der Region.
Jeans, Nikes und schwarze Regenjacken
Die Anklage der Staatsanwaltschaft basierte voll und ganz auf Bild- und Videomaterial von den Protesten am 19. Februar – auf Polizei-, Presseaufnahmen und weiteren nicht näher erklärten Aufnahmen aus der Mitte der Proteste. Wie schon in anderen Fällen wurde der Antifaschist vor Ort weder festgenommen, noch am Tag selber durch sonstige Maßnahmen zur Personalienfeststellung polizeilich identifiziert.
Aus polizeilichen Videoaufnahmen, die den Antifaschisten am 19. Februar unvermummt in einer Menschenmenge von Protestierenden in Dresden zeigen sollen, haben die Behörden eine Reihe vermeintlich eindeutiger Kleidungsmerkmale herausgearbeitet. Auf ihnen bauten sie sämtliche Tatvorwürfe auf. Konkret ging es um einen horizontalen schwarzen Streifen auf dem Rücken einer schwarzen Regenjacke, ein am linken Fuß leicht umgeschlagenes Hosenbein, Auswaschungen und Falten auf einer Jeans-Hose und um graue oder braune Schuhe, auf denen laut Polizeiaussage ein „Nike-Logo“ zu erkennen sein soll. Diese Merkmale wollen sie auf weiteren Aufnahmen des Tages, auf denen – zu anderer Uhrzeit und an anderer Stelle – militante Auseinandersetzungen zwischen durchweg vermummten AntifaschistInnen und der Polizei zu sehen sind, wiedererkannt haben. Insgesamt behaupten die Dresdner Polizisten, zur Täterbestimmung mehrere hundert Stunden Videomaterial gesichtet zu haben. Die in diesem Ermittlungsverfahren implizierte Einzigartigkeit von ausgewaschenen und umgeschlagenen Jeanshosen, horizontalen Streifen auf schwarzen Regenjacken und Schuhen mit „Nike-Logo“ unter den etwa 20 000 Protestierenden in Dresden, wurde vom Gericht nicht in Frage gestellt. Stattdessen reichte die Behauptung eines Polizeizeugen der Dresdner SOKO 19/2, der Antifaschist habe sich den ganzen Tag über in einer Gruppe von angeblich polizeibekannten Stuttgarter AntifaschistInnen bewegt, um die Identifizierung gerichtsfest zu machen.
Ich seh‘ was, was du nicht siehst…
Aus Sicht der Verteidigung sollte das Vorgehen der Ermittlungsbehörden und ihr richterlicher Zuspruch juristisch nicht unterschätzt werden: In einer Zeit, in der ein Großteil kämpferischer linker Aktionen durch Video- und Bildaufnahmen von allen Seiten begleitet wird, bietet das Urteil ein Einfallstor für Repressionsbehörden, alleine anhand von beliebigen äußeren Merkmalen willkürlich gegen AktivistInnen vorzugehen. Schon die selektive Verwendung von Bildmaterial kann schnell zur Einmaligkeit von Streifen auf Jacken, Falten auf Hosen, oder Logos auf Schuhen führen. Nicht zuletzt, um an diesem Punkt Druck auf die Ermittlungsbehörden aufzubauen und um die Gefahr von politisch motivierten, willkürlichen Indizienprozessen aufzuzeigen, ist die Verteidigung des Antifaschisten gegen das Urteil in Berufung gegangen. Das Verfahren hat zudem ein weiteres Mal deutlich gemacht, dass die Begleitung von Aktionen durch Kameras eine zwiespältige Sache ist, mit der linke AktivistInnen sehr bedacht umgehen müssen. Der Großteil von belastendem Videomaterial in diesem Verfahren wurde aus der Menge der Protestierenden – vermutlich von erkenntlichen PressefilmerInnen – heraus aufgenommen. Ohne den großen Wert von Bildern und Videos für linke Öffentlichkeitsarbeit herunterspielen zu wollen, ist die Diskussion über klarere Regeln für filmende/fotografierende AnwohnerInnen/Presseleute/AktivistInnen doch hinsichtlich möglicher repressiver Folgen für die praxisorientierte Linke in der BRD notwendig. Wer im Nachhinein der Aktionen Zugriff auf entsprechendes Material hat, ist nur in den wenigsten Fällen von den beteiligten AktivistInnen selbst wirklich kontrollierbar.
Justiz auf sächsisch
Der Ablauf der Verhandlung stellte keine große Überraschung dar, verdeutlichte aber nocheinmal die unverfrorene Offenheit, mit der die Dresdner Justiz sich auch heute noch, nach über drei Jahren, für eine Vergeltung der erfolgreichen antifaschistischen Proteste 2010/2011 einsetzt. Sieben Aachener Bereitschaftspolizisten, die am 19. Februar die Route der Nazis absichern sollten, durften zu Beginn des Prozesses, mal mehr, mal weniger dramatisch, von vermeintlichen Verletzungen berichten, die sie durch Steinwürfe erlitten: blaue Flecken, vereinzelte Kratzer und nicht näher definierte „Schmerzen“ an Beinen oder Schulter stellten das ganze Ausmaß der „siebenfachen gefährlichen gemeinschaftlichen Körperverletzung“ dar. Dienstfähig blieben sie alle. Allein die Äußerung: „In der Situation habe ich mich zum ersten Mal gefragt weshalb ich überhaupt Polizistin geworden bin.“, ließ doch auf einen gewissen didaktischen Wert der Auseinandersetzungen hoffen. Zwei Dresdner FahrzeugbesitzerInnen berichteten anschließend von ihren PKWs, die am 19. Februar 2011, vermutlich durch Steinwürfe, stark beschädigt wurden. Diese Zeugenladungen, sollten offensichtlich ebenso wie die vorangegangenen Polizeiinterviews, die Show des „linken Gewaltausbruchs“ fortsetzen. Bei der eigentlichen „Beweisführung“ hingen Staatsanwältin und Richter schließlich voll an den Lippen des eher unbedarften Dresdner Kripobeamten, der auf kritische Nachfragen der Verteidigung zumeist wenig zu sagen wusste.
Sozialisten und Idioten
Der Umgang des Richters mit den antifaschistischen ProzessbeobachterInnen folgte der politischen Linie des gesamten Prozesses: Bestimmte Stühle im Gerichtssaal ließ der Richter für selbsternannte Pressevertreter und Polizeizeugen, die Lust aufs Zuschauen hatten, reservieren. Stühle, die von AntifaschistInnen besetzt werden durften, wurden von ihm später als „billige Plätze“ klassifiziert. Zu guter Letzt beendete er seine Urteilsbegründung mit der Vulgär-Version einer altbekannten bürgerlichen Weisheit: „Wer mit 18 kein Sozialist ist, hat kein Herz. Wer mit 80 immer noch Sozialist ist, ist ein Idiot“. Auch wenn die eigentliche Formulierung dieses schon hundertfach wiedergekäuten Sprichwortes, das Linken ab einem bestimmten Alter den Verstand abspricht, hier nicht ganz getroffen wurde, spricht dieses politische Statement aus den hohen Hallen des Dresdner Amtsgerichtes doch ganz für sich.
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