Stuttgart. Zum fünften Mal wollen Aktivisten den Silvesterabend in Stuttgart nutzen, „um schwungvoll und kämpferisch ins neue Jahr zu starten“. Die letzten zwölf Monate hätten linke Bewegungen auf der ganzen Welt „mit voller Wucht herausgefordert“. Die Zerstörungskraft von Kriegen, wirtschaftlichen Krisen und die Gefahr durch aufstrebende reaktionäre Kräfte lägen offen wie schon lange nicht mehr, heißt es im Aufruf zu der Demonstration. Es könne nur eine Antwort geben: „revolutionärer Bruch mit dem kapitalistischen Krisenregime und der kollektive Aufbau einer Welt der Solidarität!“
Für Samstag, 27. Dezember 2014, ist von 19 Uhr an im Zentrum Lilo Herrmann in Stuttgart-Heslach, Böblinger Straße 105, ein Jahresrückblick mit Fotos und Videoaufzeichnungen vorgesehen.
Die Revolutionäre Demo beginn am Mittwoch, 31. Dezember, um 21 Uhr an der Uni Mitte in der Stuttgarter Keplerstraße fünf Gehminuten entfernt vom Hauptbahnhof. Ihr Motto: „… Mit revolutionärem Schwung ins Neue Jahr!“
Der Knastspaziergang geht der Demonstration voraus. Er beginnt ebenfalls am Mittwoch, 31. Dezember, um 18.30 Uhr an der U-Bahn Haltestelle der U 15 in Stuttgart-Stammheim unter dem Motto „… es fehlen die Gefangenen!“
An den Rundgang in Stammheim und die Demonstration schließt sich ab 22 Uhr eine Silvesterparty im Keller des Zentrums Lilo Herrmann in Stuttgart-Heslach, Böblinger Straße 105 an.
Wir dokumentieren nachfolgend Auszüge aus dem Demo-Aufruf:
Gegen Krise, Krieg und Reaktion“
(…) wir haben nicht vor, uns zum Jahresende von Oberflächlichkeiten und Werbefeldzügen für die globale kapitalistische Ordnung einlullen und einschläfern zu lassen. Wenn wir zurückblicken, dann nur, um die verschiedenen Kämpfe für eine grundlegende Umwälzung der bestehenden Verhältnisse gemeinsam weiterzuentwickeln und auszuweiten.
Es ist lange her, dass kriegerische, imperialistische Auseinandersetzungen, politische Umbrüche, reaktionäre Massenbewegungen, Flüchtlingsbewegungen und nicht zuletzt auch der entschiedene Kampf um gesellschaftlichen Fortschritt in der Weltöffentlichkeit so präsent waren, wie in den letzten Monaten. (…)
Deshalb wollen wir ein letztes Mal in diesem Jahr am Silvesterabend für eine Gesellschaft auf die Straße gehen, wie wir sie uns vorstellen – eine Gesellschaft die sich auf Solidarität und Kollektivität gründet, frei von Ausbeutung, Armut und Krieg…
Es brodelt
Es ist kein Zufall, dass Kriegseinsätze, Besatzungen und militärische Machtdemonstrationen wieder zum Alltagsgeschäft internationaler Auseinandersetzungen geworden sind. Im Verlauf der letzten 25 Jahre hat sich die kritische Frage nach der generellen Berechtigung deutscher Kriegseinsätze zur Besorgnis gewandelt, ob die Verteilung und das Potenzial deutscher Streitkräfte auf den globalen Kriegsschauplätzen den Interessen der Kriegstreiber auch ausreichend gerecht werden. (…)
Religiöse Fundamentalisten des selbsternannten „Islamischen Staates“ bauen im Mittleren Osten mit systematischem Terror und weltweiter Mobilisierung eine militärisch hochgerüstete, ultrareaktionäre Gegenmacht auf. (…) Sie besetzen und zerstören ebenso den wackligen pro-westlichen irakischen Staat und versuchen in einem Vernichtungskrieg die dem Westen so unbequemen, kurdischen Selbstverwaltungsgebiete in Rojava (Westkurdistan) auszulöschen.
Linke Bewegungen solidarisieren sich weltweit mit dem konsequenten Verteidigungskampf der kurdischen Volksverteidigungskräfte, während der türkische Staat unter Duldung seiner NATO-Partner den Islamisten gegenüber Toleranz bis hin zur offenen Unterstützung entgegenbringt und die fortschrittliche kurdische Bewegung im eigenen Land blutig bekämpft.
Auch in Palästina regt sich derzeit wieder ein breiter gesellschaftlicher Widerstand gegen die israelische Besatzungs- und Kriegspolitik. (…)
Im Konflikt um die Ukraine weitet die EU in enger Kooperation mit dem NATO-Bündnis ihren politischen und wirtschaftlichen Einflussbereich aggressiv aus. Der durchaus gerechtfertigte Sturz der korrupten Regierung in einem der ärmsten Länder Europas hat in einem Putsch mit fatalen Folgen geendet. (…)
Der Vorstoß westlicher Einflusssphären nach Osten kollidiert hier ganz offensichtlich mit russischen Machtinteressen. (…)
Das letzte Jahr hat uns deutlich vor Augen geführt, dass es dieses System nur im Komplettpaket geben kann: Mit all den Kriegen, Krisen, Massakern und Millionen von Menschen, die ein Leben in ständiger Unsicherheit und am Existenzminimum, oder auf der Flucht vor einem Leben im Elend führen müssen. Auch in den vormals ruhigen und vergleichsweise wohlhabenden Zentren des Kapitalismus werden die Widersprüche zunehmend spürbarer. So sind auch hier, die BRD nicht ausgenommen, miese Arbeitsverhältnisse und Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und Armut inzwischen bittere Lebensrealität von unzähligen Menschen.
Fortschritt vs. Reaktion
Die reaktionären, teils offen faschistischen Bewegungen, die weltweit aktuell an Stärke gewinnen, sind keine bedauerlichen Einzelfälle. Sie kriechen aus dem „fruchtbaren Schoß“, den der Kapitalismus ihnen mit fest zementierten Klassengegensätzen, systematischem Leistungsdruck und Verwertungszwang wohlwollend bietet. (…)
In allen Fällen wird deutlich, dass die Fortschrittsfeinde, so grundverschieden ihre Ansichten untereinander auch sein mögen, die eigentlichen sozialen Probleme des Kapitalismus, die Widersprüche zwischen gesellschaftlichem Wirtschaften und privater Aneignung, zwischen geschaffenem Reichtum und verheerender Armut – die Ausgangsbedingungen für Krieg und Krise – nicht einmal ansatzweise angehen. (…)
Auch hierzulande lassen sich Entwicklungen eines gesellschaftlichen Rechtsrucks beobachten, die mehr als besorgniserregend sind: Die neurechte Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) konnte durch ihre „Euro-Politik“ recht große Erfolge bei den letzten Wahlen erzielen. Auch ihre hetzerischen Positionen und plakativen Phrasen zu Einwanderung und das Einstehen für radikale Verwertungslogik fand bei vielen WählerInnen anklang. Durch ihr Etablieren zu einer parlamentarischen Kraft und ihre Präsenz bei und Organisation von verschiedensten öffentlichen Aktionen, wie die Demonstrationen der selbsternannten „Bildungsplangegner“, rief sie einen Rechtsruck auch unter den anderen Parteien wie beispielsweise der CDU hervor, welche um Teile ihrer Wählerschaft bangt.
In anderen europäischen Ländern sind (neu)rechte Parteien schon länger die stärkste politische Kraft; so bestimmt in Frankreich die Front National maßgeblich die Politik, in der Schweiz ist die SVP seit vielen Jahren Regierungspartei und auch in Ungarn festigt die antisemitische Jobbik-Partei ihren Stand.
Bei allen reaktionären politischen Entwicklungen spielen auch Bewegungen abseits des Parlaments eine große Rolle. Rechte Organisationen und Zusammenschlüsse bringen einige Themen erst auf die parlamentarische Tagesordnung. Themen wie Flüchtlingsunterkünfte oder die angebliche „Islamisierung des Abendlandes“ sind zur Zeit in vielen Teilen der BRD Anlass für „Bürgerbewegungen“, welche meist von rechten oder faschistischen Kräften initiiert werden, um ihre Hetze auf die Straße zu tragen. Gerade diese Mobilisierungen versuchen ganz direkt an die Ängste der Menschen vor sozialem Abstieg und Verelendung durch die Krisenfolgen anzuknüpfen. Sie präsentieren nach alter faschistischer Manier einen Sündenbock um den berechtigten Unmut oder den Wille nach grundlegender Veränderung zu kanalisieren und von der eigentliche Frage, der Systemfrage, abzulenken. (…)
Die aktuellen Krisen des Kapitalismus bieten jedoch nicht nur dem reaktionären Pack ein günstiges Einfallstor; immer mehr Menschen wird in diesen Zeiten klar, dass es so nicht weitergehen kann. (…)
Am Silvesterabend werden wir ein letztes Mal in diesem Jahr durch die Stuttgarter Innenstadt ziehen, um uns – und selbstverständlich auch die Profiteure und Bewahrer dieser Ordnung – auf ein lebhaftes und unruhiges Jahr 2015 einzustimmen.
Kommt daher alle zur revolutionären Silvester-Demo; bringt FreundInnen mit und lasst uns 2014 gebührend ausklingen und das neue Jahr kraftvoll und dynamisch beginnen!
Auf in ein revolutionäres Jahr 2015 – lassen wir die Kriegstreiber, die Armuts-Profiteure und die Reaktionäre unseren Widerstand spüren!
Konsequent für eine revolutionäre Perspektive!
Der vollständige Aufruf und der Aufruf der Roten Hilfe zum Knastspaziergang findet sich hier.
Eindrücke von der Silvesterdemo 2013 in Stuttgart
Folge uns!