Stuttgart. Die Stadt Stuttgart und die Polizei scheiterten auf ganzer Linie: Der Versuch, einen Mitarbeiter der Beobachter News wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz verurteilen zu lassen, blieb am 15. Dezember 2014 ohne den gewünschten Erfolg. Richter Dr. Stolle stellte das Verfahren ein. Die Kosten des Kriminalisierungsversuchs hat die Staatskasse zu tragen.
Michael Janker war am 16. Dezember 2013 auf einer Montagsdemo gegen Stuttgart 21 für die Beobachter News unterwegs und so ausgestattet, dass das auch leicht zu erkennen war. Er wurde von Polizisten zusammen mit etwa hundert anderen Menschen eingekesselt. Man griff ihn aus der Menge heraus und presste sein Gesicht an eine Hauswand. Er leistete keinen Widerstand.
Ein Polizeibeamter filzte und „begrabschte“ ihn. Die Polizei warf die mitgeführten „Beobachter News“-Ausgaben mit dem Hinweis in den Straßenschmutz, es sei ja bekannt, dass er schon „Artikel für dieses ‚Schmieren-Blatt’ geschrieben“ habe. Vorwurf: Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Der Bericht über die Ereignisse kann hier nachgelesen werden.
Die Zeugenvernehmung:
Der 23-jährige Polizeizeuge konnte sich an wenig erinnern. Anfangs nicht mal mehr daran, wie alt er ist. Zunächst wollte er 21 Jahre alt sein. Wie viele Leute bei der mutmaßlichen Blockade gewesen sein sollen, wusste er nicht mehr. Diese unbekannte Anzahl von Blockierern soll nach seinen Angaben dreimal aufgefordert worden sein, die Straße zu verlassen. Ohne Erfolg. Worin der Verstoß gegen das Versammlungsgesetz lag, das vermochte der junge Beamte nicht zu sagen.
Er will den Beschuldigten aus der Menge herausgegriffen haben. Es folgte die Durchsuchung und die Personalienfeststellung. Er habe den Demonstranten an die Wand gedrückt, sagte der Polizist. „Das habe ich so gelernt.“ Es soll einen Platzverweis ausgesprochen worden sein. Von wem, blieb ein Geheimnis.
Der Beschuldigte erklärte, die DemonstrantInnen hätten nicht weiterlaufen können, da in Laufrichtung drei Polizeifahrzeuge den Weg versperrten. Hinter den Protestierenden seien ebenfalls Polizeifahrzeuge gewesen. Links und rechts hätten Polizeibeamte gestanden. Auf die Frage des Angeklagten, ob der Beamte die Fahrzeuge gesehen habe, kam die Antwort: „Erinnere mich nicht daran.“
Nicht eingekesselt, aber abgesperrt
Der zweite Polizeizeuge gab an, er habe den Auftrag gehabt, den Beschuldigten in Gewahrsam zu nehmen. „Bei uns sagt man: Ihn zu bearbeiten“, gab der 30-jährige Beamte der Bereitschaftspolizei Göppingen an. Zehn bis fünfzehn Leute sollen da auf der Straße gestanden haben.
„Die Straße war mittels Polizeikette gesperrt. Eingekesselt wäre falsch, aber abgesperrt“, führte er aus. Weiter gab er an, er habe den Eindruck gehabt, dass alle Teilnehmer der Montagsdemo vor Ort gewesen seien. Die Anordnung zur Festnahme des Beschuldigten soll vom Kollegen Waldmeister* gekommen sein.
Der 52-jährige Polizeizeuge Waldmeister* machte dem Gericht gleich zu Beginn klar, dass er nicht sicher sei, ob seine Angaben vor Gericht auch mit Gewissheit vom besagten Tag stammten. Schließlich sei er ja bei so vielen Montagsdemos im Einsatz gewesen. Waldmeister* sagte, die damalige Versammlungsleiterin habe ihm bereits am Anfang der Demonstration erklärt, dass sie die Demo nicht mehr im Griff habe.
„Die haben sich nicht mal schieben lassen!“
200 bis 300 Leute seien auf der Theodor-Heuss-Straße gewesen und hätten sie blockiert. Trotz der Aufforderung seien die Leute nicht gegangen. Die Beamten hätten dann eine Polizeikette geschlossen. Seine Kollegen hätten aber auch durch Schieben den Platz nicht frei bekommen. „Die sind nicht gegangen; die haben sich nicht mal schieben lassen“, empörte er sich. Erst als zwei bis drei Leute herausgegriffen wurden, kam „Bewegung in die Situation“. Die DemonstrantInnen seien dann weitergelaufen.
Michael Jankers Rechtsbeistand Holger Isabell Jänicke fragte den Polizeizeugen Waldmeister*, ob erst die Leute abgedrängt und dann die Durchsagen gemacht wurden. Dies bejahte der Beamte des „Anti-Konflikt-Teams“. Kontakt zur Versammlungsleiterin habe er zu diesem Zeitpunkt nicht gehabt, da die Versammlung ja bereits vorher beendet worden sei. Wer den Platzverweis ausgesprochen habe, wisse er nicht.
Im weiteren Verlauf der Zeugenvernehmung wurde klar, dass Waldmeister* einen Fotografen gehindert hatte, Aufnahmen zu machen. Er hatte die Festnahmesituation dokumentieren wollen. Ob das zu diesem Zeitpunkt noch eine Versammlung gewesen sei, darüber habe er sich keine Gedanken gemacht, sagte der Polizist. Er lamentierte: „Wir ernten nur Hohn und Spott.“
„Eine Versammlung ist eine Versammlung – und keine Erziehungsanstalt“
Der Rechtsbeistand Holger Isabell Jänicke erklärte, nur das Ordnungsamt habe im vorliegenden Fall das Recht, eine Beschränkung der Versammlung anzuordnen. Nicht Herr Waldmeister* und seine Kollegen. Die Versammlungsbehörde habe sich dienstbereit zu halten, wenn eine Versammlung stattfinde. Die Polizei sei nicht befugt, versammlungsrechtliche Anordnungen zu erlassen.
Das Versammlungsrecht sei nicht dazu da, Bürger einzuschränken. Vielmehr gehe es darum, dass die Menschen ihr „ungebändigtes Recht auf Versammlung“ ausüben können. Genau dieses verfassungsmäßige Recht hätten die DemonstrantInnen wahrgenommen. Die Polizei habe sie erst abgedrängt und dann Durchsagen gemacht. Eine formalrechtliche Beendigung der Versammlung habe nicht stattgefunden.
Die Anordnung „jetzt nehmen wir mal drei Leute hops“ sei gänzlich unmöglich. Jänicke führte aus: „Eine Versammlung ist eine Versammlung – und keine Erziehungsanstalt.“ Der Bußgeldbescheid sei eine Frechheit, da es keinen Strafanspruch gebe. Ein Staat, der Staatsdiener bei strafrechtliche Vorwürfen freikämpfe, der Strafverfahren gegen sie einstelle und stattdessen Bußgeldbescheide an DemonstrantInnen verschicke, dieser Staat habe seinen Strafanspruch gegen DemonstrantInnen in Sachen „S 21“ verwirkt, spielte Jänicke auf den so genannten Wasserwerferprozess an. Er beantragte die Einstellung des Verfahrens gegen Michael Janker und Freispruch in Sachen Versammlungsgesetz.
Der angebotene Deal – und seine Ablehnung
Richter Stolle bot die Einstellung des Verfahrens mit folgender Auflage an: Der Beschuldigte solle die eigenen Kosten tragen, und die Gerichtskosten gingen zu Lasten der Staatskasse. Janker lehnte den „Deal“ ab. Sein Rechtsbeistand Jänicke erklärte: „Mit dem Ende des Wasserwerferverfahrens hat die Kompromissbereitschaft ein Ende gefunden. Irgendwo ist Schluss!“
Der Sieg
Das Gericht stellte das Verfahren ohne Auflagen ein. Kosten und Auslagen trägt die Staatskasse.
Anmerkung und Klarstellung der Redaktion:
Der Repressionsversuch gegen einen Mitarbeiter der Beobachter News führte nicht zu dem von der Polizei gewünschten Ergebnis. Das ist gut so.
Dass wir nicht gerade beliebt sind in gewissen Kreisen, können wir nur allzu gut nachvollziehen. Wäre dem nicht so, würden wir unser Geschäft nicht verstehen. An dieser Stelle will ich aber betonen, dass die Repressionen nur zu einem führen werden: Unser bereits stark ausgeprägter Wille, gewisse Polizeipraktiken zu dokumentieren, wird weiter gestärkt.
Wir lassen uns nicht einschüchtern. Weder von vermummten und gewaltbereiten Polizeitrupps, noch von sogenannten „Anti-Konflikt-Beamten“. Von nichts und niemandem. Dies gilt auch im Hinblick auf das noch laufende Ermittlungsverfahren gegen zwei Redaktionsmitglieder (wir berichteten) der Beobachter News. Einer eventuellen Anklage in dieser Sache sehen wir mit großer Gelassenheit entgegen.
In diesem Sinne:
Man sieht sich… auf der Straße… und im Gerichtssaal!
* Name von der Redaktion geändert
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