Von Anne Hilger – Sinsheim. Rätschen, Trillerpfeifen, Trommeln, Tröten: Die NPD sieht das nordbadische Sinsheim als Hauptsitz in der Rhein-Neckar-Region. Seit fünf Jahren kommt sie immer wieder in die 35000-Einwohner-Stadt an der Elsenz. Doch am Samstag, 13. Juni, machte ein Bündnis von Vereinen, Parteien, Gewerkschaften und der Antifa die NPD-Kundgebung gegen die angebliche „Asylflut“ zum Flop.
Die 23 versammelten Anhänger der Partei, unter ihnen vier Frauen, blieben komplett unter sich. Die Reden wurden vom Protest übertönt und waren schon wegen der schlechten Lautsprecheranlage selbst in unmittelbarer Nähe kaum zu hören. Entsprechend frustriert wirkten die TeilnehmerInnen der Kundgebung, als sie nach knapp zweieinhalb Stunden wieder abzogen – nicht ohne zuvor zum Deutschlandlied vom Band noch einmal stramm zu stehen.
Polizei sperrt alle Zugänge mit Hamburger Gittern
Die NPD traf sich am „Wächter“, einer farbenfrohen Skulptur an der Elsenz-Brücke im Zentrum der Stadt. Die Polizei hatte für die Partei ein Areal von höchstens zehn mal drei Metern mit Metallgittern abgesperrt. Dort bewegten sich ihre Anhänger am frühen Nachmittag und versuchten, Parteibanner, Deutschlandfahnen und Flaggen in den badischen Farben Rot und Gelb zu schwenken.
Zum angekündigten Kundgebungsbeginn um 12 Uhr war von der NPD allerdings noch nichts zu sehen. Am Zugang zum „Wächter“ vom Bahnhof her standen Polizisten in Einsatzuniform hinter Hamburger Absperrgittern und ungefähr 50 Männer und Frauen mit Fahnen der Antifa, der Linken und der Linksjugend. Am Zugang zur Innenstadt gab es ebenfalls Hamburger Gitter und ebenso viele Nazi-GegnerInnen. Dort dominierten Fahnen der Grünen, aber auch der VVN. Vertreter der Linken und der Antifa waren ebenfalls zur Stelle. Auch in Richtung Grünanlage fand sich eine kleine Gruppe von Protestierenden ein. Sie forderten auf ihrem Transparent ein Ende der Diskriminierung von Flüchtlingen.
Stadt organisiert lautstarken Protest mit Trommeln
Am auffälligsten war der lautstarke Trommelprotest, wobei große Plastiktonnen als Klangkörper dienten. Oberbürgermeister Jörg Albrecht hatte dazu aufgerufen, dem braunen Aufmarsch einen „witzigen Kontrapunkt“ entgegenzusetzen. Treffpunkt zum Einstudieren war um 11 Uhr vor der Musikschule in der Allee.
Auf der Bühne unmittelbar an der Elsenz, aber ebenfalls von der Polizei abgeschirmt, eröffnete der stellvertretende Sinsheimer Bürgermeister Helmut Göschel pünktlich um 12 Uhr die Protestkundgebung, an der sich Gewerkschafter, Mitglieder aller Parteien und Vereinsvertreter beteiligten. Vorbild dürfte für viele Waibstadt gewesen sein. Dort stellten sich Anfang Oktober 1000 KraichgauerInnen der NPD in den Weg, die seither – anders als in Sinsheim – nicht mehr auftauchte.
Göschel hieß in Vertretung des terminlich verhinderten OB jeden willkommen, der sich „für ein buntes, weltoffenes, tolerantes, friedliches und fröhliches Sinsheim“ einsetzt. „Hier herrscht Vielfalt, und da drüben, wenn sie denn jemals kommen, viel Einfalt.“
NPD fährt im verrosteten VW-Bus vor
Sie kamen ungefähr zehn Minuten später mit einem altersschwach wirkenden, gelben VW-Bus, den die NPD-Anhänger „Legende“ nennen – von empörten „Nazis raus“-Rufen begleitet. Der Bus aus Pirmasens hat die Ziffernfolge „1818“ im Kennzeichen. 18 ist ein bekanntes Chiffre für den ersten und achten Buchstaben des Alphabets – A und H, in der rechten Szene beliebt als Abkürzung für Adolf Hitler.
Es gab ein leichtes Gerangel, als der Bus die Polizeiabsperrung passierte. Zunächst entstiegen ihm sechs NPD-Anhänger und entrollten ihre Fahnen, begleitet von Parolen wie „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“. Währenddessen redete der Fahrer aufgebracht auf Vertreter der Ordnungsbehörde und der Polizei ein: Das hintere linke Fenster des Busses war beschädigt und der Seitenspiegel auf der Fahrerseite abgebrochen worden.
Gelbe „Legende“ auf der Anfahrt zum „Wächter“ beschädigt
Später wurde trotz der starken Polizeipräsenz der Innenraum des im abgesperrten Areal stehenden Busses durch die offene Seitentür von einem Farbbeutel getroffen. Wie viele Beamte im Einsatz waren, wollte der Polizeisprecher aus taktischen Gründen nicht sagen. Er sprach lediglich von einer der Situation angemessenen Zahl. Auch starke Kräfte der Bereitschaftspolizei Göppingen waren vor Ort.
Um halbeins tauchte ein Trupp NPD-Anhänger zu Fuß auf und wurde mit Trillerpfeifen in Empfang genommen. Einer zeigte den Nazi-Gegnern den Stinkefinger. Dennoch richtete die Polizei eine Lautsprecherdurchsage an die Protestierenden: Sie sollten sich an die Gesetze halten, insbesondere Vermummungen abnehmen.
NPD-Redner auch aus Mannheim und Ellwangen
Die Polizei filmte immer wieder mit Handkameras den Protest, einer der NPD-Leute ebenfalls. Die Wartezeit wurde ebenso wie die spätere Kundgebung vom lauten Trommeln begleitet. Zwischendurch riefen Sprechchöre „Kein Mensch ist illegal – Bleiberecht überall“ oder „Ob Ost, ob West, nieder mit der Nazipest“.
Die NPD eröffnete ihre Kundgebung mit einer Stunde Verspätung und dem Verlesen der behördlichen Auflagen. Bei den Nazi-Gegnerinnen kam Heiterkeit auf, als aus den Lautsprechern auf dem gelben VW-Bus in der Art eines Popsongs „Wir sind das Volk“ schepperte – „wir sind das Volk, auch wenn sie gegen uns hetzen und uns verletzen“.
Nach Angaben des NPD-Kreisverbands sprachen neben Markus Walter und Jan Jaeschke weitere Redner aus Mannheim und Ellwangen. Versammelt hätten sich „30 aufrechte Sinsheimer“ – eine deutlich zu hoch gegriffene Zahl. Die Einsatzkräfte, die abkommandiert waren, um die Kundgebung überhaupt zu ermöglichen, schüttelten den Kopf über die Behauptung eines Redners, „der normale Polizist“ wähle ohnehin die NPD.
SPD-Abgeordneter befürchtet weitere Auftritte der NPD
Unter den Protestierenden in der Allee war auch der SPD-Landtagsabgeordnete Thomas Funk. Es sei eine Provokation, dass die NPD Sinsheim zum Hort der Bewegung auserkoren habe, sagte er uns. Die Partei tauche seit fünf Jahren regelmäßig in der Stadt auf. Damals habe sie einen Strategiewechsel vollzogen und ihre Präsenz in den ländlichen Raum verlegt. Darauf sei Sinsheim nicht vorbereitet gewesen, räumte Funk ein.
Es gelinge jedoch zunehmend, Protest zu organisieren. „Der Widerstand aus der Stadt funktioniert“, so der Abgeordnete. Möglicherweise habe die NPD geglaubt, wegen der „relativ großen Flüchtlingsunterkunft“ für bis zu 400 Menschen in der Stadt Fuß fassen zu können. Doch dieses Kalkül sei nicht aufgegangen.
Die rechte Partei werde aber wohl weiterhin darauf setzen, dass bei steigenden Flüchtlingszahlen die Stimmung kippt: „Ich mache mir nichts vor. Das war nicht die letzte NPD-Veranstaltung in Baden-Württemberg, zumal ein Wahlkampf ansteht“, sagte Funk. Sorgen bereite ihm in diesem Zusammenhang die zunehmende soziale Spaltung der Gesellschaft. Er versuche, im Rahmen seiner politischen Möglichkeiten gegen sie anzugehen.
Stolperstein-Aktion: Zehn Euro für jeden NPD-Mann
Jessica P. vom Sprecherkreis des Bündnisses für Toleranz und einer ihrer Mitstreiter aus dem Umfeld der Grünen, der nicht namentlich erwähnt werden möchte, zeigten sich am Samstag ebenfalls erfreut über den breiten Protest. Dass so viele Menschen gegen die NPD auf die Straße gehen, sei nur möglich, „wenn derjenige, der aufruft, die Stadt repräsentiert“.
„Das ist ein deutlicher Schritt für Sinsheimer Verhältnisse. Der Protest war aus unserer Sicht bisher zu schwach“, erklärten sie. Das Bündnis hat eine Stolperstein-Aktion organisiert: Für jeden auftauchenden NPD-Anhänger wird ein Stolperstein-Anteil von zehn Euro gezeichnet. Je mehr Rechte kommen, desto höher die Einnahmen. Und sollte die NPD überzogene Angaben über die Zahl ihrer versammelten Anhänger machen, erhöhe sich der Betrag noch weiter.
AntifaschistInnen kritisieren Polizei
Auch Antifaschistinnen zeigten sich zufrieden mit dem Verlauf des Tages. „Das ist einer der ersten politischen Proteste gegen die NPD seit langem in Sinsheim“, sagte uns Salvatore Belucci von der Organisierten Linken Heilbronn. „Nach fünf Jahren gibt es erstmals Widerstand. Der Oberbürgermeister hat zu lange weggeschaut.“
Die NPD habe einen schwachen Auftritt gezeigt. Die Polizei sei allerdings sehr aggressiv gegen AntifaschistInnen vorgegangen, bemängelte Belucci. Die BeamtInnen hätten „wegen der kleinsten Kleinigkeit geschubst und gestoßen“. Ihre Hemmschwelle, was Gewalt angeht, sei sehr niedrig gewesen.
Zuletzt noch eine Spontandemo
Offenbar verfolgte die Polizei gegenüber der Antifa eine Strategie von „null Toleranz“. Das zeigte sich etwa, als sie die abziehenden NPD-Anhänger mit einer großen Zahl von Einsatzkräften durch die Fußgängerzone und die Pfarrgasse zum Parkhaus eskortierte. Die Mitglieder einer kleinen Gruppe AntifaschistInnen, die von einer Seitenstraße dazustoßen wollten, wurden grob angepackt und mit Schwung weggestoßen.
Nachdem die NPD-Leute weg waren, interessierte sich die Polizei hingegen nicht mehr für die Protestierenden. Sie konnten ungehindert eine kleine Spontandemonstration in Richtung Bahnhof bilden und dabei auch Feuerwerkskörper mit rotem Rauch zünden – worüber sich die BesucherInnen an der Strecke liegender Straßencafés nicht besonders erfreut zeigten. Es ist aber anzunehmen, dass sich die Polizei wegen der Beschädigungen am VW-Bus noch eine Zeitlang damit beschäftigt, ihr Videomaterial auszuwerten.
Weitere Bilder des Tages
Folge uns!