Von Meide Wolt – Stuttgart. 1000 Euro: Diese Strafe muss eine Demonstrantin zahlen, gegen die am Mittwoch, 16. Dezember, vor dem Amtsgericht in Stuttgart verhandelt wurde. Sie hatte am 21. Juni 2015 gegen die so genannte „Demo für Alle“ einer rechten Allianz in Stuttgart protestiert. Der Demonstrantin wurden vorsätzliche Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen. Zuvor hatte am selben Tag ebenfalls ein Gegendemonstrant eine Auflage von 500 Euro erhalten.
Zur Zeit werden in Stuttgart mehrere Prozesse gegen AntifaschistInnen geführt, die etwa gegen die „Demo für Alle“ demonstrierten (siehe hier und da). „Um 14.15 kam dann das Go, dass wir die Festnahme vollziehen können“, berichtete der Polizeibeamte M. im Prozess gegen die Demonstrantin vor dem Amtsgericht Stuttgart. Er war als einer von zwei Zeugen geladen, auf deren Aussagen sich die Anklagen wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Widerstands gegen die Vollstreckung stützten.
Obwohl sich beide Beamte an vieles nicht mehr erinnerten, schienen ihre Erinnerungen in einigen Punkten auffallend genau – so etwa auf die Minute genaue Zeitangaben oder die Personenbeschreibung des Beamten M., der detaillierte Aussagen zu verschiedenen Körperpiercings, Haarfarbe und Kleidungsstücken machen konnte.
Polizei-Zeuge will schlagenden Gruppen-Kollegen nicht erkennen
Dagegen erinnerte sich M. erst bei der Sichtung eines Videos an den Schlag eines Polizeikollegen gegen die Angeklagte. Den Schläger vermochte er auf Nachfrage des Verteidigers jedoch nicht zu erkennen. Überraschend, da er zuvor angab, dass seine BFE-Gruppe nur aus sechs Personen bestehe. Die BFE-Gruppe war am Tag der Demonstration gegen die „Demo für Alle“ (wir berichteten) zur Verstärkung des sogenannten „taktischen Zuges“ herangezogen worden. Dieser Zug stellte sich in Form einer Polizeikette DemonstrantInnen in den Weg, die versuchten, auf die Demoroute der „Demo für Alle“ zu gelangen, um deren Demonstration zu verhindern.
Die Angeklagte hatte ein Schild mit der Aufschrift „Rechte Allianzen stoppen“ getragen. Es wurde ihr von der BFE-Gruppe entrissen, weil sie „damit vor dem Gesicht der Beamten wedelte“. Danach soll sie eine Person der BFE-Gruppe geschlagen haben. Die BFE-Gruppe zog sich zunächst zurück, da sich die Situation beruhigt haben soll. Der betroffene Beamte habe dann den Vorfall seinem Einsatzleiter gemeldet und eine Person beschrieben. Nachdem eine Festnahme durch den Einsatzleiter „absegnet“ wurde, zog die BFE-Gruppe vor die heute Angeklagte, welche sich nun in der ersten Reihe der Demonstration befand, griff sie an und führte sie ab.
Nahtlos von der Festnahme zur Verurteilung
Die Verhandlung drehte sich um die Frage, ob die Bewegung eines Armes als ein Drücken oder ein Schlag anzusehen ist; Ob Menschen Schmerzen erleiden, wenn sie gedrückt (beziehungsweise geschlagen) werden oder wenn sie mit zwei verdrehten Armen im Hebelgriff zweier Beamter abführt werden. Und ob die Bewegungen der abgeführten Person Ausdruck des Schmerzes aufgrund verschiedener Armhebel und eines Abknicken des Körpers sind oder als Widerstand gegen die Staatsgewalt gewerteet werden können.
Bei der Verhandlung war also eine drückende oder schlagende Demonstrantin angeklagt, welche die „Demo für Alle“ mit gestört hat. Ein „unbekannter“ drückender oder schlagender Polizeibeamter, der die „Demo für Alle“ mit ermöglicht hat, war hingegen nicht angeklagt. So stach dem Betrachter der formale Charakter des Verfahrens unangenehm ins Auge.
Richterin lässt Zeugen unvereidigt
Die Richterin stellte Fragen wie „War das eher eine Rauferei oder ein Hin- und Hergeziehe?“ oder: „Können sie noch beschreiben, was für einen Kraftaufwand sie anwenden mussten, als sie die Angeklagte abtransportierten?“ Polizeibeamte gaben formale Antworten: „Ich habe noch nie so viel Kraft bei einer Festnahme anwenden müssen.“ Der Staatsanwalt sagte zum Video eines schlagenden Polizisten: „Also das ist Drücken, das ist kein Schlag.“ Die Verteidigung hingegen bezweifelte in einer formalen Erklärung „die Widerstandshandlung bei der Festnahme“.
Von der Festnahme auf der Straße bis zur Verurteilung im Gericht scheint alles wie von alleine zu gehen. Der Polizeibeamte M. hält fest: „Das ist eine Festnahme nach Schema gewesen, da überlegen wir nicht großartig, das ist ein automatischer Prozess“, der Staatsanwalt hält fest: „Wer so demonstriert, muss damit rechnen, dass es so ausgeht“. Im Anschluss an den Prozess fragte eine Frau aus einer anwesenden Schulklasse die Richterin: „Welche Strafe bekommen Zeugen, wenn sie lügen?“ Darauf gab die Richterin, die zuvor beide Zeugen unvereidigt entlassen hatte, die formal richtige Antwort: drei Monate bis fünf Jahre Haft.
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