Von unseren Reporterinnen und Reportern – Magdeburg. Angeblich hatte der Pegida-Ableger Magida zu dem Aufmarsch am Samstag, 16. Januar, gerufen. Nach Magdeburg kamen aber nur 230 Menschen. Eher nicht aus dem Umfeld „besorgter Bürger“, sondern augenscheinlich überwiegend aus dem neonazistischen Lager der ultrarechten Ecke. Rund 200 GegendemonstrantInnen versuchten vergeblich, auf die Demoroute der Rechten zu gelangen, um diese zu blockieren. 800 Polizeibeamte ermöglichten den rechtsradikalen Aufmarsch.
Zahlreiche AntifaschistInnen landeten in einem Polizeikessel, dessen Rechtmäßigkeit von der Organisation Magdeburg nazifrei angezweifelt wird. Zur gleichen Zeit versammelten sich auf der „Meile der Demokratie“ 10 000 Menschen. Sie zeigten weitab von den Rechten „die Stirn gegen Neonazis“. Eine Frau bot an einem Infostand Stirnbänder mit entsprechenden Aufschriften an (siehe MDR Video).
Kein Schutz für die Pressefreiheit
Bereits im Vorfeld wurden am Bahnhof polizeiliche Personenkontrollen durchgeführt. Personen, die von den Beamten als „links“ kategorisiert wurden, durften nicht durch den Bahnhof in Richtung des Busbahnhofs. Dort versammelten sich die rechten Demonstranten zur Auftaktkundgebung. Kurz vor 12 Uhr hatten sich dort zwischen 80 und 90 Personen eingefunden.
- Gesichtskontrolle am Bahnhof
- Rechte versammeln sich
Ein Polizeibeamter erklärte zwei Journalisten der Beobachter News, dass die Polizei nicht für ihre Sicherheit garantieren könne. Die beiden wurden aufgefordert, den Neonazis nicht zu nahe zu kommen, da die Polizei nicht genug Personal hätte, um die Presse zu schützen. Es folgte die direkte Aufforderung, den Platz zu verlassen.
Pauschale Platzverweise für AntifaschistInnen
Der antifaschistische Protest verlief dezentral – ein auswärtiger Nazigegner nannte es „etwas unkoordiniert“. Gegen 12 Uhr versammelten sich ein paar Dutzend AntifaschistInnen am Westfriedhof. Hierzu hatte Regina (Ravende EuropäerInnen gegen Islamfeindlichkeit und Nationalismus – Magida wegbassen!) aufgerufen. Ein Initiator von Regina erklärte gegenüber der BN, die angemeldete Veranstaltung werde wegen eines technischen Defektes am Lautsprecherwagen ausfallen.
Wenige Minuten später wurden auf Höhe der Diesdorfer Straße 68 zwischen 70 und 80 Nazigegner von der Polizei eingekesselt. Die Polizei erklärte ihnen, dass sie sich nicht in Richtung der Innenstadt bewegen dürften. Umringt von Polizeikräften wurden die Protestierenden zum Westfriedhof geleitet. Dort angekommen wurden sie weiterhin von der Polizei daran gehindert, auf ihren ursprünglichen Versammlungsplatz zu gehen.
- Polizei kesselt GegendemonstrantInnen ein
- NazigegnerInnen im Wanderkessel
Über Lautsprecher erklärte die Polizei die Diesdorfer Straße in Richtung der Innenstadt pauschal zur „Platzverweiszone“. Im Bereich des Westfriedhofs dürfe man sich aufhalten. Allen Anwesenden wurde ein Platzverweis ausgesprochen. Bei Zuwiderhandlung würden weitere polizeiliche Maßnahmen drohen.
Jagd auf NazigegnerInnen
PassantInnen wurden entlang der Diesdorfer Straße von der Polizei aufgefordert, nicht in die Straßenbahn in Richtung Westbahnhof einzusteigen. Zwischen der Innenstadt und dem Westfriedhof kam es zu regelrechten Jagdszenen. Hier verfolgten Polizeibeamte flüchtende GegendemonstrantInnen. PassantInnen berichteten von massiven Polizeiübergriffen auf AntifaschitInnen. Sie sollen auf den Boden geworfen und mit Kabelbinder gefesselt worden sein.
- Greiftruppen …
- … im Einsatz
Polizeischutz für Neonazis
Die Neonazis hielten am anderen Ende des Westfriedhofs eine Zwischenkundgebung ab. Die Entfernung zu den protestierenden AntifaschistInnen betrug mehrere hundert Meter. Ein Protest in Hör- und Sichtweite war somit nicht gegeben. Anschließend marschierte der rechte Aufmarsch unter massivem Polizeischutz durch die Liebknechtstraße und passierte dort die Gedenkstätte eines KZ-Außenlagers.
Passanten, die von der Polizei mutmaßlich dem linken Spektrum zugeordnet wurden, wurden aufgefordert, in den Seitenstraßen zu „verschwinden“, bis der rechte Aufmarsch vorübergezogen sei. Dennoch gab es auf der Liebknechtstraße kurzzeitig eine Sitzblockade von ein paar AntifaschistInnen, die sofort von der Polizei geräumt wurde.
- KZ-Gedenkstätte
- Neopnazidemo überwiegend ohne jegliche Außenwirkung
Die weit überwiegende Demonstrationsroute der Neonazis führte durch absolut menschenleere Straßen. Teilweise auch durch Schrebergartengebiete. Eine direkte Außenwirkung hatte der Aufmarsch damit nicht.
Hetze gegen „linksversifte Fotojournalisten“ und gegen die „Judenpresse“
Gegen 15.25 Uhr erreichten die Neonazis den Konrad-Adenauer-Platz. Dort fand eine Abschlußkundgebung mit Fackeln statt. Hauptrednerin des rechten Aufmarschs war Sigrid Schüßler, ehemalige Bundesvorsitzende der NPD-Frauenorganisation „Ring nationaler Frauen“ und Spitzenkandidatin der NPD bei der bayrischen Landtagswahl 2013. Beim NPD-Bundesparteitag 2014 in Weinheim kandidierte Sigrid Schüßler erfolglos als NPD-Bundesparteivorsitzende. In ihrem Redebeitrag in Magdeburg hetzte sie massiv gegen „linksversifte Fotojournalisten“ und gegen die „Judenpresse“, die uns mit Lügen überzogen hätte.
- Sigrid Schüßler in Aktion
- Fackel-Nazis
Nur etwa 30 GegendemonstrantInnen hatten es bis zur massiven Polizeiabsperrung mit Einsatzwägen um die rechte Kundgebung geschafft. Sie protestierten lautstark mit Zwischenrufen wie zum Beispiel „Nazis raus“.
Angriff durch Nazischläger unter den Augen der Polizei
Nach der Beendigung der rechten Versammlung griff ein Neonazi einen Gegendemonstranten an. Ein Polizist eilte zwar herbei, nahm den Angreifer aber nicht fest.
Später kam es noch zu Spontandemonstrationen von beiden Lagern. Auf der Seite der Neonazis waren etwa 50 Personen beteiligt. Bis in die Nachtstunden waren Kleingruppen von Neonazis in der Innenstadt unterwegs. Vom Neustädter Bahnhof zogen rund 80 AntifaschistInnen zum Hauptbahnhof in der Innenstadt.
Rechte im Krankenhaus
Der MDR berichtete von einem Zwischenfall, der sich nach Polizeiangaben nach den Demonstrationen in Oschersleben ereignet haben soll. Eine Gruppe rechter Demonstranten soll dort am späten Sonnabendnachmittag im Bahnhof vermutlich von „Linksextremisten“ gezielt mit Eisenstangen, Baseballschlägern und Holzlatten angegriffen worden sein. Vier der Angegriffenen sollen teilweise schwer verletzt worden sein.
Das „Nationale Bündnis gegen Links“ soll in Zusammenarbeit mit der „Freien Kameradschaft“ einen Solidaritätsmarsch in Dresden angekündigt haben. Dem Aufruf sollen aber nur 30 Teilnehmer gefolgt sein.
Siehe auch unseren Bericht „Aufwärm-Demo mit Feuerwerk„.
Kommentar von Ferry Ungar:
Polizeischutz für Neonazis – Kein Schutz für die Presse – „Stirn zeigen gegen Nazis“
In Magdeburg marschierten 230 Neofaschisten unter massivem Polizeischutz durch die Straßen. Offensichtlich hat dieser Staat kein Problem damit, 800 Polizeibeamte für deren Schutz abzustellen. Aber er ist nicht in der Lage, das Grundrecht auf Pressefreiheit zu garantieren. Wobei „nicht in der Lage“ die Vorfälle beschönigt. Denn eigentlich wäre er schon in der Lage, aber offenbar ist das nicht gewollt. Neonazis sollen wohl unbehelligt von der Presse ihre Aktionen durchführen können.
Nach den Demonstrationen wird von der Polizei über einen Angriff von „Linksextremisten“ auf „rechte Demonstranten“ berichtet. Das ist natürlich berichtenswert. Ohne Zweifel. Aber wäre es da nicht auch erwähnenswert gewesen, dass es einen körperlichen Übergriff von einem rechten Nazischläger auf einen jugendlichen Gegendemonstranten gab? Dieser Angriff geschah vor den Augen der Polizei. Der Täter wurde nicht festgenommen. Warum? Sowas dürfte den Straftatbestand der Strafvereitlung im Amt erfüllen.
Warum trat die Polizei das Versammlungsrecht der Nazigegner mit Füßen? Proteste gegen Versammlungen sind nach aktueller Rechtsprechung in Hör- und Sichtweite zu gewährleisten. Warum werden Nazigegner gejagt und Neonazis geschützt?
Es ist sehr begrüßenswert, wenn 10 000 Menschen sich auf der „Meile der Demokratie“ versammeln. Das ist alle Mal besser als nichts. Aber wenn dann diese NazigegnerInnen davon reden, man hätte den „Nazis die Stirn gezeigt“, dann ist das schon fast peinlich. Sie haben den Nazis noch nicht mal den Hintern gezeigt, geschweige denn die Stirn.
Naziaufmärsche werden erst dann zur Geschichte, wenn sich diese beachtliche Anzahl von Nazigegnern der braunen Brut in den Weg stellt. Man stelle sich vor, das hätten die 10 000 Menschen getan. Der Naziaufmarsch in Magdeburg hätte vermutlich das letzte Mal stattgefunden.
In diesem Sinne:
Den Naziaufmarsch zur Geschichte machen.
Man sieht sich… 2017 in Magdeburg!
- Sigrid Schüßler hält Ausschau
- Vermummung kein Problem?
- Schüßler im Januar 2016 in Magdeburg
- „Auf was warten sie?“ – „Auf besseres Wetter!“
- „Für wen fotografieren sie?“
- Neonazi im „heiligen Krieg“?!
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