Von Alfred Denzinger – Ulm. Nach einer mehrtägigen Berufungsverhandlung am Ulmer Landgericht wurde am Donnerstag, 5. Januar ein Neonazi aus dem Umfeld der inzwischen verbotenen Autonomen Nationalisten Göppingen vom Vorwurf der Störung einer Versammlung freigesprochen. Verurteilt wurde er dagegen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung. Zwanzig Tagessätze à 30 Euro zuzüglich Gerichtskosten lautete die Strafe im Urteilsspruch von Richter Wolfgang Fischer.
Eine Gruppe von sechs Neonazis hatte am 2. März 2013 die Aktion „Roter Teppich für Toleranz“ des Bündnisses „Kreis Göppingen Nazifrei“ (KGN) unter den Augen der Polizei angegriffen. Zwei Personen wurden bei dem Angriff verletzt. Darunter Thomas Edtmaier, damaliger Bundestagskandidat der Linken. Er musste sich nach dem Angriff in ärztliche Behandlung begeben.
Richter glaubt nicht, dass Neonazis so dumm sein können
Richter Wolfgang Fischer und seine beiden SchöffInnen sahen nur den Widerstand gegen die Vollstreckungsbeamten und die dadurch begangene Körperverletzung als nachgewiesen an. Dagegen habe nicht bewiesen werden können, dass die Angeklagten die Versammlung sprengen wollten. Die Angreifer hätten niemals davon ausgehen können, dass es ihnen gelingen würde, mit sechs Leuten eine Versammlung zu sprengen, die von Polizeibeamten geschützt werde. Es habe zwar eine Störung gegeben, sie sei aber nicht strafbar. Dass der Angeklagte einer der Angreifer gewesen sei, habe die Beweisaufnahme klar ergeben. Somit sei die Festnahme auch gerechtfertigt gewesen. Urteil: 600 Euro Strafe.
Journalist der Beobachter News sagt nicht aus
Unser Redaktionsmitglied Andreas Scheffel war als Zeuge geladen. Er sollte alle angefertigten Fotos dem Gericht vorlegen. Dieser Aufforderung kam er nicht nach. Scheffel berief sich auf sein journalistisches Zeugnisverweigerungsrecht und wurde nach wenigen Augenblicken aus dem Zeugenstand entlassen.
Neonazi-Anwältin Schneiders freut sich über Entlastung durch ein KGN-Mitglied
Als Rechtsanwältin des Neonazis trat die in der rechtsradikalen Szene bekannte Nicole Schneiders auf. Sie verteidigte beispielsweise auch Angeklagte im NSU- und Winterbach-Prozess /siehe auch „Nicht schweigen – aktiv werden“ und „Kein Vergeben – kein Vergessen„).
Schneiders führte an, dass eine Zeugin von „Kreis Göppingen Nazifrei“ ausgesagt habe, der angegriffene Thomas Edtmaier hätte bei dem Zwischenfall ausgeholt. Da die „Zeugin nicht ins Lager meines Mandanten gehört“, wiege diese Aussage stark entlastend. Im Übrigen habe es sich nicht um eine grobe Störung der Versammlung gehandelt, sondern nur um eine leichte Störung. Und die sei nicht strafbar.
Polizei? Keine gesehen!
Der angeklagte Neonazi wurde unmittelbar nach dem Übergriff von Polizeibeamten zu Boden gebracht. Er will aber nicht mitbekommen haben, dass es Polizeibeamte waren, die ihn überwältigten. Seine Verteidigerin Schneiders machte geltend, es hätte sich bei den Angreifern ja auch um Mitglieder von KGN gehandelt haben können. Die Uniformen habe ihr Mandant nicht gesehen. Deshalb habe er sich gewehrt. Erst als er Handschellen angelegt bekam, sei ihm bewusst geworden, dass er es mit Polizeibeamten zu tun hatte. Daher habe es sich nicht um eine „rechtmäßige Diensthandlung“ gehandelt. Schneiders beantragt für den Angeklagten einen Freispruch.
Staatsanwältin auf verlorenem Posten
Staatsanwältin Claudia Nemetz erklärte in ihrem Plädoyer, der Angeklagte sei nach dem Übergriff auf ein Mitglied von KGN festgenommen worden. Der „einheitliche Wille“ der Angreifer sei klar zu erkennen gewesen: „Sie wollten die Versammlung sprengen.“ Nur dank des Eingreifens der Polizei habe die Versammlung fortgesetzt werden können. Auf einen tatsächlichen Versammlungsabbruch komme es nicht an.
Darüber hinaus habe ein Polizeizeuge angegeben, dass er gegenüber dem Angeklagten während der Festnahme erklärt habe, von der Polizei zu sein. Unabhängig davon seien die Beamten bereits vor dem Angriff der Neonazis als uniformierte Polizeibeamte zu erkennen gewesen. Das von Nemetz geforderte Strafmaß: 55 Tagessätze à 35 Euro, somit 1925 Euro. Zwanzig Tagessätze à 30 Euro zuzüglich Gerichtskosten laute schließlich das Urteil.
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