Von unseren ReporterInnen und der Redaktion – Heidelberg. Es war ein heißer Tag, die Atmosphäre jedoch gelassen und entspannt: Etwa 150 Menschen demonstrierten am Samstag, 27. Mai, in Heidelberg für „Freiheit und gleiche Rechte für Geflüchtete und alle Unterdrückten“. Zu der Demo aufgerufen hatte die Space Initiative Heidelberg. Eine Besonderheit war, dass die Reden zum Auftakt auf dem Friedrich-Ebert-Platz und bei der Schlusskundgebung am Uniplatz in mehreren Sprachen gehalten wurden.
Die Veranstalter zählten Ansprachen in drei und Übersetzungen in sechs Sprachen. Die Demonstrierenden kamen Space zufolge aus ganz Baden-Württemberg, viele direkt aus den Lagern für Asylsuchende. Trommelklänge begleiteten den Auftakt am Friedrich-Ebert-Platz, wo sich die DemoteilnehmerInnen am frühen Nachmittag sammelten.
Zusammen mit Bannern und Sprechchören lenkte der Klang der Instrumente später beim Zug durch die Akademie- und die Hauptstraße die Aufmerksamkeit der PassantInnen – unter ihnen viele Touristen und Einheimische beim Einkaufsbummel – auf das Anliegen der Demonstrierenden: zu zeigen, dass sie sich gegen eine Politik der Spaltung und Unterdrückung zusammenschließen. Kurz vor dem Universitätsplatz passierte der Demo-Zug einen Infostand der Linken. Sie thematisierte bei ihrer Aktion die Wohnungsnot und forderte „Miethaie zu Fischstäbchen“.
Gegen ein System, das Menschen spaltet
„Als erstes wird die Übersetzung organisiert“, eröffnete Moderatorin Nora Bräcklein die Kundgebung. „Wir demonstrieren für Gleichheit und Freiheit aller Menschen“, erklärte sie. „Wir sind gegen ein System, das Menschen spaltet und in Lager steckt.“ Space trete für allgemeine Bewegungsfreiheit und dafür ein, „dass alle Menschen dort leben und bleiben dürfen, wo sie wollen“.
Hintergrund der Demo war das „Asyl- und Abschottungssystem und insbesondere die Unterbringung in den Lagern mit all den damit einhergehenden Repressalien und Kontrollen“, hieß es in einer Mitteilung von Space. Und weiter: „Den Menschen dort werden jegliche Persönlichkeitsrechte genommen und als ob das nicht genug wäre, versuchen die Behörden, durch Unterscheidungen in den ohnehin schon stark beschnittenen Rechten Geflüchtete nach Nationalitäten untereinander zu spalten.“
In Afghanistan werden Regimegegner unterdrückt
Immer neue Gesetze und Praktiken verschärften die Lage Fliehender auf ihrem Weg nach Europa, innerhalb der EU und Deutschlands. Das neue Gesetz „mit dem zynischen und verschönernden Titel ‚zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht‘ fesselt Menschen mitunter jahrelang an die Erstaufnahmeeinrichtungen, die Abschiebehaft und der Abschiebegewahrsam werden ausgebaut, Menschen werden ohne Rücksicht auf Verluste nach Afghanistan, auf den Balkan und in andere Länder abgeschoben.“
Die Demonstrierenden forderten dagegen Bewegungsfreiheit. Scharif Tavakulie aus Afghanistan fragte: „Wenn ihr uns nicht hier helfen könnt, wie geht ihr dann nach Afghanistan zum Helfen und um Schulen zu bauen? Lasst uns einfach nur hier unser Leben bauen“. Afghanistan sei nicht sicher, RegierungsgegnerInnen würden unterdrückt und festgenommen.
- Silke von der AIHD
- Scharif Tavakulie
In Europa herrscht staatlicher Rassismus
Für die Antifaschistische Initiative Heidelberg (AIHD) gab Silke einen Überblick über die staatlichen Repressionen gegen Geflüchtete, die dem Feiern der sogenannten „Willkommenskultur“ folgten und deren heuchlerischen Charakter herausstellten. Gesetzesverschärfungen jagten sich. „Der staatliche Rassismus Europas ist zu einem echten Krieg geworden“. Keine Diktatur sei zu unappetitlich, wenn es darum gehe, Geflüchtete aus Europa fernzuhalten. Doch es rege sich auch Widerstand. Hoffnung gäben Sanctuary Cities wie New York oder Barcelona, die sich den staatlichen Vorgaben zur Spaltung entzögen.
Der Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg Seán McGinley machte auf die besonders prekäre Lage der Roma vom Balkan aufmerksam, die den massenhaften Abschiebungen kaum entkommen könnten (siehe unten im Wortlaut). „Jede Abschiebung ist eine rassistische Gewalttat, die wir nicht zulassen können“, erklärte er.
Frauenunterdrückung ist ein Produkt des Kapitalismus
Für einen gemeinsamen radikalen Kampf von Frauen und Männern sprach sich die sozialistische Aktivistin Hero aus: „Die Unterteilung von Mann und Frau ist ein Produkt des Kapitalismus, damit sie nicht gemeinsam kämpfen“ Nur mit der Abschaffung des Kapitalismus könnten Frauen von überall die gleichen Rechte erhalten.
- Hassan Maarfi Poor
- Hero
Assan, der bis Anfang des Jahres in Heidelberg im Patrick-Henry-Village untergebracht war, forderte die schnelle Anerkennung von Asylanträgen, die Abschaffung des Lagersystems und ein Ende der gesellschaftlichen Ausgrenzung: „We are also humans. We also have rights“ (Wir sind auch Menschen, wir haben auch Rechte).
Ein Federstrich darf nicht über Leben und Tod entscheiden
Haro Schuh vom Bündnis gegen Abschiebungen Mannheim (BgA) rief in einer ausführlichen Ansprache zu einem „entschlossenen Widerstand – mit allen Mitteln des zivilen Ungehorsams“ gegen das Abschieberegime auf, gegen jede Unterdrückung und Ausbeutung und für globale Bewegungsfreiheit.
Die LandessprecherInnen der Linksjugend Solid Emilie Gruber und Lars Eppinger fragten: „Wie kann es sein, dass man per Federstrich über Leben und Tod von Menschen aufgrund ihrer Herkunft entscheiden kann?“. Sie stellten die Absurdität des Konzepts „illegaler Menschen“ heraus: „Ein Mensch ist ein Mensch und hat ein Recht auf ein Leben in Freiheit.“
- Lars Eppinger, Linksjugend Solid
- Emilie Gruber, Linksjugend Solid
Deutschland darf Schutzsuchenden nicht die Hilfe verweigern
Hassan Maarfi Poor von der Space Initiative prangerte den aufkommenden Neofaschismus an und stellte die Rolle von Parteien wie AfD und NPD heraus, die über den Umweg des Parlamentarismus eine faschistische Gesellschaft wiederaufbauen wollten. Eine Demoteilnehmerin ergriff als Letzte spontan am offenen Mikrofon das Wort. Ihre jüdische Familie hatte vor 1933 aus 500 Personen bestanden, danach noch aus dreien. Sie mahnte an, dass Deutschland nicht wie damals andere Länder Schutzsuchenden Visa verweigern dürfe. Mit der herrschenden Abschottungspolitik mache sich Deutschland mitverantwortlich für den Tod tausender Menschen.
Zum Ende der Demo wurde zu anstehenden Terminen mobilisiert. Am 31. Mai ist die nächste Abschiebung nach Afghanistan zu erwarten, wogegen zu Protesten aufgerufen wurde. Am 17. Juni soll in Mannheim im Jugendzentrum auf einer Konferenz des Bündnisses gegen Abschiebung Mannheim die Vernetzung und Selbstorganisation Geflüchteter und solidarischer Gruppen in der Region weiter vorangetrieben werden.
Die Rede des Geschäftsführers des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg Seán McGinley im Wortlaut:
„Es gibt ein Wort, das vor ungefähr zwei Jahren in aller Munde war, als es um Geflüchtete ging. Dieses Wort ist „Willkommenskultur“. Ich weiß nicht, ob es so was wie eine „Willkommenskultur“ wirklich gegeben hat. Mittlerweile sind wir auf jeden Fall bei einer „Verabschiedungskultur“, einer „Hau-ab-Kultur“. Scheinbar geht es darum, vor der Bundestagswahl möglichst viele Asylanträge abzuarbeiten und die Anzahl der Geflüchteten möglichst zu reduzieren.
Aus Angst vor einem Wahlerfolg der AfD möchte man in vorauseilendem Gehorsam das Programm der AfD schon vor der Wahl umsetzen, um sie überflüssig zu machen. Wir erleben seit Jahren eine Asylrechts-Verschlechterung und Verschärfung nach der anderen. Wohin diese geführt haben, haben wir von den RednerInnen gehört, die aus ihrem Alltag in den Lagern berichten. Die menschenunwürdige Behandlung dient dazu, den Willen der Menschen zu brechen und sie zur Rückkehr zu drängen. Und wenn das gelingt, und Menschen einer Rückkehr zustimmen, weil sie sonst abgeschoben werden, dann nennt man das freiwillige Rückkehr und feiert es als Erfolg einer humanen Flüchtlingspolitik, obwohl eine Rückkehr, die so zustande kommt, so freiwillig ist wie ich freiwillig meinen Geldbeutel hergebe wenn jemand mir eine Pistole an den Kopf setzt.
Der Grüne Ministerpräsident Kretschmann sagte 2015, Baden-Württemberg wolle Musterländle der Flüchtlingsaufnahme und der Integration sein. Diese Worte werden für die Menschen in den Lagern wie Hohn klingen. Baden-Württemberg hat die Einstufung der Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsstaaten ermöglicht. BW hat für die Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien als sichere HKL gestimmt, Baden-Württemberg hat sich im Gegensatz zu vielen anderen Ländern an jeder Sammelabschiebung nach Afghanistan beteiligt, Baden-Württemberg hat in den ersten drei Monaten dieses Jahre 1261 Menschen abgeschoben.
Die zunehmende Häufigkeit und die zunehmenden Zahlen mögen überwältigend sein und ein Gefühl der Ohnmacht auslösen. Aber dennoch dürfen diese Zustände niemals zur Normalität werden, wir dürfen niemals aufhören, uns darüber zu empören, weil jede Abschiebung eine rassistische Gewalttat ist und wir nicht hinnehmen können, dass Menschen die in unserer Mitte Schutz suchen vor Krieg, Elend und Verfolgung, gewaltsam herausgerissen und zurückgeschickt werden dort wo Krieg Elend und Verfolgung herrschen.
Die nächste Abschiebung nach Afghanistan steht am Mittwoch bevor. Am Dienstag steht eine Abschiebung nach Serbien und Mazedonien an – fast wöchentlich werden Menschen – vor allem Angehörige der Minderheit der Roma,der am stärksten diskriminierten Minderheit Europas – in die Balkanstaaten abgeschoben. Sie haben keine Chance, ihre Fluchtgründe anerkannt zu bekommen, weil die möglichst schnelle Abarbeitung der Asylanträge vor allem auf standardmäßige Ablehnungen von Menschen aus bestimmten Staaten basiert – das Recht auf ein faires Verfahren mit sorgfältiger Prüfung der individuellen Umstände wird geopfert in einem abgekarteten Spiel, geleitet von politische Interessen und Vorgaben.
Es sind die gleichen gesellschaftlichen Kräfte, die voller Überheblichkeit mit erhobenem Zeigefinger die Geflüchteten belehren über Werte, die sie zu respektieren haben, aber gleichzeitig eine menschenverachtende Politik betreiben und sich längst vom Prinzip der universellen Gültigkeit der Menschenrechte verabschiedet haben. Unsere Aufgabe ist es also, Sachen zu erkämpfen oder wiederzuerkämpfen, die selbstverständlich sein sollten. Das wird nur möglich sein durch den gemeinsamen Widerstand der Menschen innerhalb und außerhalb der Lager, über alle Grenzen hinweg, unabhängig von Herkunft, Nationalität oder Religion – gegen die zynische Hierarchisierung in gute und schlechte Flüchtlinge, Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge, gute und schlechte Bleibeperspektive oder sichere Herkunftsländer – diesen Spaltungsversuchen müssen wir einen solidarischen Gegenpunkt des gemeinsamen Widerstandes entgegensetzen.“
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