Von unseren ReporterInnen – Basel. Rechtsradikale Splittergruppen, unter ihnen die PNOS (Partei national orientierter Schweizer), Vertreter der Résistance Helvétique und die Kameradschaft Heimattreu, hatten für Samstag, 24. November, zu einer Kundgebung auf dem Basler Messeplatz aufgerufen. Als Vorwand diente den Veranstaltern der UN-Migrationspakt. Es formierte sich breiter Widerstand. Neben einer bewilligten Kundgebung der JUSO auf der Dreirosenanlage, an der rund 1000 Menschen und alle Parteien mit Ausnahme der SVP teilnahmen, mobilisierte das Bündnis Baselnazifrei eine Stunde früher zum geplanten Kundgebungsort der Rechtsradikalen. Die Polizei setzte an dem Tag mehrfach Gummigeschosse ein.
Deren Kundgebung war seit Februar 2016 der erste wahrnehmbare Versuch der Rechtsradikalen, sich in Basel bewilligt Gehör zu verschaffen. Gegen 13 Uhr versammelten sich zunächst mehrere hundert Menschen auf dem Messeplatz. Gleichzeitig erschienen auch etwa zwei Dutzend Neofaschisten aus dem Umfeld der PNOS. Nach einigen Minuten, in denen sich Neonazis und Zivilbevölkerung gegenüber standen, schirmte die Polizei die Neonazis ab und brachte sie in eine Seitengasse neben dem Messeturm. Dort konnten sie ihre Kundgebung, weitestgehend unbehelligt von AntifaschistInnen und sonstigem Publikum abhalten.
Nur 60 Teilnehmer bei rechter Kundgebung
Obwohl die NeofaschistInnen nicht nur auf Facebook mobilisierten, sondern auch im benachbarten Weil mit Flyern in den Briefkästen der AnwohnerInnen, nahmen an der Kundgebung nach Angaben der PNOS 200, aber tatsächlich nur etwa 60 Personen teil. Der Neonazi Eric Weber , der zuvor auch via Telebasel zur Demo aufgerufen hatte, blieb offenbar fern. Dafür redeten nach PNOS-Angaben Parteipräsident Dominic Lüthard, der Sektionsvorsitzende beider Basel Tobias Steiger und der Münchner NPD-Stadtrat Karl Richter.
Gegen 14.30 Uhr bewegte sich ein großer Demonstrationsblock mit mittlerweile rund 1500 Teilnehmenden via Riehenring Richtung Mattenstraße, um lauter und näher am Kundgebungsort der Neonazis zu sein. Ein kleiner Teil zog weiter Richtung Badischer Bahnhof, wo es gegen 15 Uhr zu ersten größeren Ausschreitungen kam, nachdem die Polizei ohne erkennbare Bedrohung Gummischrot abgefeuert hatte. Auch gegenüber sich deeskalierend entfernenden DemonstrantInnen hieß es nun: Feuer frei. Die versprengte Gruppe von rund 100 Personen kehrte daraufhin zum größeren Demoblock zurück, der nun wieder zum Messeplatz lief, wo es gegen 15.45 erneut zu heftigen Gummigeschossinsätzen aus kurzer Distanz und auf Kopfhöhe kam.
„Es war keine Gefahr zu erkennen“
Beda Baumgartner, Parlamentsmitglied der SP, war selbst vor Ort und zeigte sich erschüttert über die Art und Weise des dortigen Polizeivorgehens. „Es wurde ohne hörbare Vorwarnung in die Menge geschossen. Das ist verantwortungslos.“ In Reaktion auf die Geschosse flogen vereinzelt Steine und Bierdosen Richtung Polizeicorps. Die Mehrheit der Demonstrierenden verhielt sich deeskalativ, geriet aber dennoch ins Visier des Gummigeschosshagels.
Antoinette Voellmy, eine anwesende Ärztin, drückte ihre Empörung über das Vorgehen der Polizei in einem am Samstag verschickten Schreiben an Sicherheitsdirektor Baschi Dürr aus. „Für mich als Teilnehmerin der Kundgebung war keine Gefahr zu erkennen. Die Kundgebung war nicht bewilligt, sie hatte sich aber zuvor drei Stunden lang friedlich und entspannt auf dem Messeplatz und rund um den Messeplatz bewegt. Es war keine Tendenz zu einer Eskalation noch zu erhöhter Spannung zu erkennen“, heißt es in ihrem Brief. Gegenüber Beobachter News erklärt sie: „Der Einsatz von Gummigeschossen ist hoch gefährlich und unkontrollierbar. Wer dieses Mittel einsetzt, nimmt bewusst Schwerverletzte in Kauf.“
Große Gefahren durch Gummigeschosse
Diese Einschätzung teilt auch die Vereinigung unabhängiger Ärztinnen und Ärzte und Medizinstudierender. Sie weisen seit Jahrzehnten darauf hin, dass Verletzungen durch Gummigeschosse zu lebenslangen Beeinträchtigungen der Sehkraft führen können. „Dabei sind nicht nur Traumen mit großer Energieeinwirkungen fatal, auch leichte oder mittlere Aufprallenergien können mit einer zeitlichen Verzögerung zu Langzeitschäden wie grünem oder grauem Star führen“, heißt es in einer Mitteilung aus dem Jahr 2002.
Sie weisen weiter darauf hin, dass ihnen die ärztliche Ethik gebietet, „die politische Führung der Polizeikräfte öffentlich auf ihre Verantwortung für die fatalen Folgen dieser Polizeiwaffe aufmerksam zu machen. Beim nächsten ausgeschossenen Auge oder gar Todesfall soll kein Politiker, keine Politikerin welcher Couleur auch immer sagen können, sie hätten dies nicht gewusst.“
Keine Unterstützung für Ersthelfer
Im Zusammenhang mit diesem Gummigeschosseinsatz kam es zu mehreren mitunter schweren Kopfverletzungen. Eine Person verlor nach einem Gummischrottreffer aus kurzer Distanz auf das Auge zeitweilig das Bewusstsein. Eine Ersthelferin, die das Auge untersuchen wollte, berichtet, dass die Größe des Hämatoms eine Untersuchung des Auges selbst unmöglich machte. Toya Krummenacher, SP-Parlamentarierin des Kantons Basel-Stadt, war ebenfalls vor Ort und unterstützte die Erstversorgung: „Der Einsatzleiter war alles andere als hilfsbereit. Ohne ernsthafte Prüfung der Verletzung ließ er die Zufahrt des Rettungswagens blockieren bis unnötige, zusätzliche Polizei eintraf, obwohl der Verkehrsweg Richtung Badischer Bahnhof frei war!“, erklärt Krummenacher gegenüber Beobachter News.
„Bis der Rettungswagen eintraf, leisteten weder Rettung noch Polizei Notversorgung am Verletzten. Nicht einmal eine Decke! Zudem wurden alle Vorschläge, die wir unterbreiteten, um dem Verletzten ärztliche Versorgung zu organisieren beziehungsweise selbst zur Ambulanz zu bringen, ignoriert. Keine Kooperation zu Lasten eines Verletzten, damit habe ich echt Mühe“, erzürnt sie sich: „Ich hoffe nur, dass der Verletzte sein Augenlicht nicht verliert.“
Auch JournalistInnen durch Gummigeschosse verletzt
Über den Gesundheitszustand des Verletzten war bis Dienstagabend nichts bekannt. Die Polizei und die Rettung Basel-Stadt waren über zwei Kopfverletzungen informiert. Es gab die schon erwähnte mittlere und mindestens eine schwere Kopf- beziehungsweise Augenverletzung. Außerdem wurde ein Teilnehmer der neofaschistischen Demonstration verletzt, und viele Anwesende erlitten leichte Verletzungen durch die Gummigeschosse. Darunter auch mehrere JournalistInnen.
„Berufsrisiko“, könnte man sagen. Doch nicht nur der Einsatz von Reizgas und Gummischrot erschwerte die Arbeitsbedingungen.
Beobachter News hat Kenntnis von zwei weiteren PressevertreterInnen, denen Zutritte durch Absperrungen verweigert wurden. In einem Fall liegt eine Beschwerde vor, teilte Polizei-Mediensprecher Toprak Yerguz auf Nachfrage mit und ergänzt, dass ein Mediensprecher des Justiz- und Sicherheitsdepartements vor Ort anwesend war. Dieser habe sich um die Belange der Journalistinnen und Journalisten gekümmert.
Unser Kommentar:
Dieser Demo-Samstag wird einigen Leuten (und dem Kantonsbudget) in Erinnerung bleiben. Menschen, die sich erstmalig oder ausnahmsweise an Protesten gegen Faschismus beteiligten, sahen sich am Messeplatz mit Ohnmacht und Staatsgewalt konfrontiert. Wie es dazu kam, dass sich plötzlich hunderte Menschen im Gummigeschosshagel befanden, bleibt erklärungsbedürftig.
Für die Neofaschisten war es ein vergeudeter Tag. Die angekündigte Großdemo entpuppte sich als Fähnchen schwingendes Grüppchen, das von 1500 couragierten Menschen in ein schattiges, unsichtbares Plätzchen gedrängt wurde. Ihr einziger Sieg bleibt wohl, dass sie ihr „Antifa-Archiv“ um einige Menschen mit Zivilcourage erweitern konnten.
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