Von Sahra Barkini – Stuttgart. Mit einer „kleinen Anfrage“ im Landtag empörte die AfD Baden-Württemberg viele Menschen in den sozialen Netzwerken. Die Partei forderte Auskunft, wie viele und welche Menschen unterschiedlicher Nationalität auf den Bühnen des Landes beschäftigt sind. Das trieb am Samstag, 29. Juni, trotz Hitze über 1000 Menschen auf die Straße und in den Stuttgarter Schlossgarten. Joe Bauer hatte eine Kundgebung „Schützt die Kultur vor den Rechten“ organisiert.
Er moderierte auch die Kundgebung. „Wir können es uns nicht mehr leisten, Zeit zu verschwenden im Kampf gegen die Rechten, gegen die Völkischen, gegen die Nazis. Wir müssen den Rassisten und Nationalisten jeden Tag zeigen, dass wir unsere demokratische Freiheit gegen sie verteidigen“, sagte er. Das gelte für die Kultur im weitesten Sinne. „Wir dürfen nicht, wie das oft im Gemeinderat geschieht, unsere Kultur mit Veranstaltungs- und Eventgeschäft verwechseln. Heute lautet unser Motto ‚Schützt die Kultur vor den Rechten‘.“ Dann zitiert er aus der „kleinen Anfrage“ der AfD: „Welche Staatsangehörigkeiten haben die in Baden-Württemberg an staatlichen Theatern beschäftigten Tänzerinnen und Tänzer? Und wo haben sie ihre Ausbildung erhalten?“
Eine „hinterlistige Anfrage“
Weiter sagte Bauer: „Wir dürfen jetzt nicht den Fehler machen, uns auf diese vermeintlich schwachsinnigen AfD-Fragen zu versteifen. Ob und wie das Kulturministerium überhaupt auskunftspflichtig ist, prüfen dort Fachleute, die mit uns, das darf ich versichern, solidarisch sind.“ Die „hinterlistige Anfrage“ der AfD sei nur ein Beispiel für den längst eröffneten Kulturkampf von Rechts.
Bauer zitierte den AfD-Abgeordneten Rainer Balzer: Die AfD stehe „als einzige Partei für den Erhalt und die Pflege des gesellschaftlichen Zusammenhalts und für die Wahrung unserer Kunst, unserer Kultur und unserer gemeinsamen Werte“. Der AfD-Abgeordnete Hans-Thomas Tillschneider aus Sachsen-Anhalt verbreite „dieses kranke Denken“ noch etwas deutlicher. Dieser habe gesagt: „Wenn wir eine starke Theaterkultur wollen, brauchen wir zuerst eine starke Nationalkultur.“ Dazu Bauer: „Aus diesem völkischen Blut-und-Boden-Denken heraus startet die AfD ihre Störmanöver.“
„Die Kunstszene ist international“
Bauer erinnerte daran, dass es in Stuttgart bereits einmal so weit war, dass Nazis Theateraufführungen störten. Damals habe ein „rückgratloses Kultusministerium“ weitere Vorstellungen des Stückes „Schatten über Harlem“ untersagt. Obwohl es damals ähnliche Fälle gab, blieb der Protest der Bürgerlichen, der sogenannten Mitte, aus. Dies müsse heute eine Warnung sein: „Wir müssen was tun, schützt unsere Kultur und Gesellschaft vor den Rechten.“
Martina Grohmann vom Theater Rampe sagte: „Wir erklären uns solidarisch mit allen Staatstheatern, Ballettkompanien und Orchestern in Baden-Württemberg.“ Die Kunstszene sei international oder auch transnational. Die Realität sei, dass die Gesellschaft divers, multikulturell und vielsprachig ist. Sie betonte: „Kunst kennt keine Grenzen, die Kunst bleibt frei.“ Am Theater Rampe formuliere man es so: „Wir leben längst ganz klar in einer postmigrantischen, hybriden, queeren Gesellschaft. Kunst interessiert nicht, woher ihr kommt, wie ihr ausseht oder mit wem ihr ins Bett geht. Kunst bleibt viele. Kunst bleibt frei.“
„Aufgebracht und zutiefst erschrocken“
In einer Zwischenmoderation fragte Bauer das Publikum: „Haben wir genug Energie für den Kampf gegen Rechts?“ Dies wurde mit lautem, langanhaltendem Applaus quittiert. Dann zitierte er aus einem Positionspapier der AfD Sachsen-Anhalt. Darin wird deutlich, welche Art der Kulturarbeit von der AfD gemeint ist: „Museen, Orchester, Theater sind in der Pflicht, einen positiven Bezug zur eigenen Heimat zu fördern. Die Bühnen des Landes sollen neben den klassischen internationalen Werken stets auch klassische deutsche Stücke spielen und sie so inszenieren, dass sie zur Identifikation mit unserem Land anregen.“
Ein weiterer Redner war der Personalrat des Staatstheaters Klaus Schrankenmüller. Er zeigte sich „entsetzt über diese rassistisch motivierte Anfrage der AfD“. Als Personalvertreter sei er aufgebracht und zutiefst erschrocken darüber, wie sich die Dinge zu wiederholen scheinen, wie sich Handlungen und Vorgehen gleichen, von denen man dachte, sie dürften nie wieder stattfinden: „Solche Listen, auf denen Menschen in Deutsche und Nichtdeutsche eingeteilt wurden, gab es vor 80 Jahren schon einmal. Solche Listen wurden angefertigt, um die Ausmerzung all jener vorzubereiten, die den Nazis im Wege standen.“ Den Angriffen der AfD müsse man Vielseitigkeit, Toleranz und Weltoffenheit entgegensetzen: „Vorhang auf und Bühne frei, an unserem Haus arbeiten über 1400 Menschen aus über 50 Nationen zusammen Hand in Hand.“
Anfragen oft rassistisch, sexistisch und homophob
Für die musikalische Umrahmung der Kundgebung sorgte der Chor der Oper und die Künstlerinnen Fola Dada und Gee Huey Lee. Hans D. Christ vom Württembergischen Kunstverein nannte die AfD-Anfrage rassistisch. Die Partei sei ein Sammelbecken von Faschisten, das jetzt in allen Landtagen sitze. Sie überschütteten die Verwaltungen der Landtage mit Anfragen, die keinerlei alltagspolitische Relevanz hätten.
Die vielen kleinen Anfragen der AfD seien mit wenigen Ausnahmen rassistisch, sexistisch und homophob. Mit solchen Anfragen würden auch Daten und mögliche Ziele medialer Kampagnen gesammelt, die sogar Schlägertrupps auf den Plan rufen könnten. Zum Schluss forderte Christ: „Wir müssen uns ändern, wir müssen gemeinsam politisch aktiv werden und mehr aufbegehren gegen diesen fatalen rechtspopulistischen Stumpfsinn – auch und zuallererst, um den Ermordeten, den Opfer rechter Rhetorik, gerecht zu werden.“
Stolz auf TänzerInnen aus der ganzen Welt
In Stuttgart fand gerade das Tanzfestival „Colors“ statt, und 40 BallettdirektorInnen tagten auf Einladung von Eric Gauthier im Theaterhaus. Sie kamen zur Kundgebung und erschienen vollzählig auf der Bühne. „Ich mache es kurz, meine Mutter wird meinen Mund mit Seife auswaschen, aber was für ein Scheiß“, erklärte Gauthier. Der Sprecher der Bundesdeutschen Ballett- und TanzdirektorInnen Tarek Assam sagte: „Unsere Tänzerinnen und Tänzer kommen aus der ganzen Welt, und wir sind stolz darauf, mit ihnen arbeiten zu dürfen – in einer Kunstform, die von Toleranz, Vielfalt und Respekt geprägt ist. Die Internationalität unserer Ensemble ist der Grund für die hohe Qualität und die Innovationskraft an den deutschen Theatern. Tanz ist völkerverbindend.“
„Ich hoffe natürlich, dass in der Zwischenzeit auf dieser Wiese etwas gewachsen ist, nämlich Bereitschaft Kante zu zeigen, keinen Grashalmraum den Rechten“, sagte Joe Bauer, ehe er das Wort an Werner Schretzmeier vom Theaterhaus weitergab. Die Schönheit der Welt brauche die Spannung, die aus Differenz und Unterschiedlichkeit erwächst, sagte er. Der gegenseitige Austausch der Kulturen der Welt sei die notwendige Antwort auf die wachsende Nationalisierung der Welt: „Wer die Demokratie verhöhnt, aber gleichzeitig alle Tugenden der Demokratie schamlos missbraucht, hat den Anspruch, Demokrat genannt zu werden, ein für alle Mal verwirkt. Die bürgerliche Fassade der AfD ist eine Maske, die immer mehr zerbröselt. Darunter kommen die wahren Ansichten Stück für Stück zum Vorschein.“
„Unersetzliche Arbeit im Kampf gegen die Rechten“
Zuletzt sprach ein Aktivist von Stuttgart gegen Rechts. Joe Bauer kündigte ihn so an: „Der Kampf gegen die Rechten und den rechtsextremen Sumpf erfordert tägliche Einsätze. Seit Jahr und Tag engagieren sich mit viel Mut und reichlich Risiko junge Menschen aus der linken Szene, die im bürgerlichen Lager selten als die wichtigsten antifaschistischen Kräfte gesehen werden, die sie aber sind. Keine Frage für uns, dass heute ein Vertreter vom Aktionsbündnis ‚Stuttgart gegen Rechts‘ zu uns spricht. ‚Stuttgart gegen Rechts‘ ist ein breites Bündnis vieler Initiativen, das unersetzliche Arbeit im Kampf gegen die Rechten und Völkischen und Nazis leistet“.
Der Aktivist erklärte, dass das Bündnis während der Proteste gegen die sogenannte „Demo für Alle“ entstand. Bei diesen Gegenprotesten zeigte auch die Stuttgarter Oper ihr legendäres Vielfalt-Banner. Dies wurde auch an diesem Samstag wieder gehisst. Es sei überwältigend zu sehen, dass so viele Menschen gegen die Anfrage der AfD protestieren. Diese Anfrage sei nichts anderes als die Theorie der sogenannten Rassenhygiene, die die deutschen Faschisten im Dritten Reich begründet hatten.
„Keine Zeit für salbungsvolle Worte“
Die jüngsten Fälle von rechtem Terror zeigten, dass „dieser Staat kein Adressat für antifaschistische Anliegen sein kann“. Und weiter: „Wir müssen all unsere KollegInnen, FreundInnen, MitschülerInnen politisieren und aktivieren, direkten Protest gegen diesen massiven Rechtsruck auf die Beine zu stellen. Allerdings sollten wir dabei beachten, dass sich der Rechtsruck leider nicht nur allein auf die AfD beschränkt. Sondern sich wie ein roter Faden durch alle Parteien zieht. Abschiebungen, die europäische Abschottung oder Rüstungsdeals werden nicht von der AfD durchgeführt und verteidigt, sondern von Parteien wie der CDU, der SPD und ja, auch den Grünen. Es ist eigentlich spätestens seit 2015 keine Zeit mehr für salbungsvolle Worte, sondern für Taten.“
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