Von Sahra Barkini – Stuttgart. Am 28. Juni 1969 begannen in New York die Stonewall-Aufstände. 50 Jahre später war „Stonewall was a Riot“ auch in Stuttgart Thema im D.A.Z (Deutsch-Amerikanischen-Zentrum). Das D.A.Z lud zusammen mit 100% Mensch zu einem Vortrag mit Podiumsdiskussion ein.
An dem sehr heißen Tag versammelten sich etwa 25 Menschen, um dem Kunst-, Medien,- und Sozialwissenschaftler sowie LGBTTIQ*-Aktivisten Muriel Aichberger zuzuhören.
Zur Begrüßung wies Kathrin Büttner vom Deutsch-Amerikanisches-Zentrums darauf hin, dass das D.A.Z momentan ganz im Zeichen der Stonewall Riots stehe. Holger Edmaier von 100 % Mensch übernahm die Moderation. Auf dem Podium saßen Janka Kluge von dgti (Deutsche Gesellschaft Transidentität und Intersexualität), Sam von „Queerdenker Stuttgart“, Christoph Michl, Geschäftsführer der IG CSD Stuttgart, der Musiker und Aktivist Msoke aus Zürich und Muriel Aichberger. Edmaier stellte in aller Kürze das Projekt 100 % Mensch vor. Bereits seit 2014 fordert und fördert es die vollständige gesellschaftliche und rechtliche Gleichstellung aller Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und ihrem Geschlecht (LGBTTIQA*).
Den Referenten des Abends stellte er als „eierlegende Wollmilchsau“ vor, denn Aichberger sei auf vielen Gebieten aktiv. Unter anderem als Autor und Trainer für Unternehmen in gendergerechter Sprache. Er engagiert sich für gesellschaftliche Vielfalt, rechtliche Gleichstellung, Chancengleichheit und Inklusion.
Aichberger referierte über die Geschichte der Stonewall Riots und räumte mit einigen Mythen auf. Die Stonewall Riots gingen nicht, wie es oft vermittelt wird, von weißen, schwulen Cis-Männern aus (das sind Männer, denen ihr Geschlecht bei der Geburt aufgrund optischer Merkmale übereinstimmen), sondern von Poc Trans* Personen (Poc steht für „People of Colour“). Stonewall sei so etwas wie der Gründungsmythos der „Queer Nation“ – eine kollektive Coming Out Geschichte.
Die damaligen AktivistInnen wollten frei sein, die eigene Liebe offen leben. Es sei zurückgeschlagen worden gegen die Gewalt und Willkür der Polizei. Das klinge ganz einfach, fast nach einem Sonntagsspaziergang, aber das war es mitnichten. Denn Stonewall was a Riot, Stonewall war ein Aufruhr.
Schon 1867 Straffreiheit gefordert
Wie kam es dazu, dass die Gay-Liberation möglich wurde? Wer waren die ProtagonistInnen dieser Tage? Auf dies und anderes ging Aichberger in seinem Vortrag ein. Zuerst führte er die ZuhörerInnen aber weit zurück in der Geschichte. Circa 100 Jahre vor den Stonewall- Aufständen forderte Karl Heinrich Ulrichs auf dem deutschen Juristentag 1867 öffentlich die Straffreiheit gleichgeschlechtlicher Handlungen, da diese auf natürliche Veranlagung beruhten.
Erst 1992 nahm die WHO (Welt Gesundheits Organisation) Homosexualität aus der Klassifikation ICD. Das bedeutet, dass Homosexualität erst seit 1992 nicht mehr als Krankheit angesehen wird. Erst seit 1994 ist sie in Deutschland nicht mehr strafbar.
In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 begannen die Aufstände. Das Stonewall Inn war eine von der Mafia betriebene Bar, in der sich Schwule und Trans*-Personen einigermaßen frei bewegen konnten. Der Alkohol war sehr teuer und gepanscht. Und immer wieder gab es polizeiliche Durchsuchungen, bei denen die Identität der Besucher* festgestellt, archiviert und oft veröffentlicht wurde.
Widerstand gegen Durchsuchungen
Auch am 28. Juni kam es zu solch einer Razzia. Zu dieser Zeit waren Bürgermeisterwahlen in New York, und der damalige Kandidat musste wohl „Härte“ zeigen. Doch dieses Mal ließen sich die Gäste des Stonewall Inn die gewalttätigen Durchsuchungen nicht gefallen. Die beiden Trans-Woman of Colour Marsha P. Johnson und Sylvia Riviera leisteten erbitterten Widerstand.
Marsha P. Johnson wurde von Polizisten ins Polizeiauto gezerrt und wehrte sich mit allen Kräften. Sie soll der Menge zugerufen haben: „Why are you not doing anything?“ (Warum tut ihr nichts?). Daraufhin schmissen die Leute Kleingeld und Dollarnoten auf die Polizisten, um sie quasi auszuzahlen. Denn bis dahin wurden sie von der Mafia bezahlt.
Aichberger berichtete von einem Spruch zu dieser Zeit: „Gay prohibition, curupts the Cops – feed the Mafia“, zu deutsch in etwa „Das Schwulen -Verbot fördert die Korruption der Polizei und ernährt die Mafia“. Die Frage, die sich seit den Aufständen stellt: „Who threw the first brick? – Wer warf den ersten Stein?“ beantwortete Aichberger ironisch: „Trump, denn er ist ein sehr großer Homo-Freund, und er hat ja sowieso alles geleistet.“
„Was zur Hölle ist los mit euch?“
In der üblichen „White washing“-Manier, die auch im 2015 erschienenen Film „Stonewall“ betrieben wird, warf ein weißer schwuler Cis-Mann den ersten Stein. Dies ist laut Aichberger typisch, denn Poc Trans*-Personen sollen bis heute unsichtbar gemacht werden und werden es auch.
Nur wenige Wochen nach den Riots gründeten die beiden Transwomen of Color Marsha P. Johnson und Sylvia Riviera den Verein STAR (Street Transvestile Action Revolution). Dieser Verein mit revolutionärem Anspruch setze sich für die vollständige Befreiung jeglicher queeren Personen ein, ohne Trans*- Personen auszuschließen. Man wollte keinerlei Angleichung an die bestehenden gesellschaftliche Definition oder ein Rollenbild.
Einige Jahre später, beim CSD 1973, durfte Sylvia Riviera nicht auf der Bühne sprechen. Dazu zeigte Aichberger den ZuschauerInnen ein Video von der damaligen Rede. Im Video ist zu sehen, dass sie ausgebuht wurde, und es Versuche gab, ihr das Mikrofon wegzunehmen und sie von der Bühne zu bekommen. In ihrer beeindruckenden Rede schrie sie der grölenden Menge unter anderem zu: „Was zur Hölle ist los mit euch? Ich war im Gefängnis, ich wurde vergewaltigt, verlor meine Arbeit und Wohnung und was tut ihr? Was tut ihr für eure Brüder* und Schwestern* im Gefängnis?“ Sie beendete ihre Rede mit den Worten „Revolution Now! Gay Power!“ (siehe Video unten). Und Aichberger beendete seinen Vortrag über die Geschichte und den Mythos der Stonewall Riots mit den Worten: „Come Queer, Stay Rebel! p.s. Smash the cistem!“
„Vielfalt allein reicht nicht“
Nach dem Vortrag fragte Edmaier die TeilnehmerInnen der Diskussionsrunde, was Stonewall für sie bedeute. Janka Kluge antwortete mit Blick auf ihre eigene Geschichte, dass die Stonewall Riots für sie erst spät eine Bedeutung bekamen. In ihrer frühen Vergangenheit erfuhr sie weder von Schwulen noch von Lesben Akzeptanz. Stonewall wurde erst zu ihrer Geschichte, als sie herausfand, das Poc beteiligt waren. Der CSD dagegen war nie ihre Geschichte, er war ihr immer zu kommerziell. „Riots back to the Roots“, forderte Kluge.
Msoke sagte durch das ganze „White washing“ fühlte er sich als Trans*- Poc nicht integriert. Als homosexuelle Frau sei es einfacher denn als Trans*. Er könne sich nicht mit den Riots identifizieren, weil es auch in der „Community“ noch zuviel Diskriminierung gebe.
Edmaier forderte, die Organisationen müssten sich offener gestalten – doch das Wie ist oft die Frage. Für Aichberger ist die „Community“ kein denkendes Wesen. Man müsse aber das eigene Bewusstsein schärfen und es dann in die Welt tragen. Weiter meinte er: „Wir müssen unsere Privilegien reflektieren. Es ist nicht die „Community“, und es sind nicht die anderen. Jeder muss bei sich selbst anfangen.“
Eine Zuhörerin kritisierte den Vielfaltsbegriff als inhaltsleer. Man müsse die Sache differenziert sehen, auch den Rassismus thematisieren und vor allem unbequem sein.
„Weiterhin unbequem sein“
„Wir müssen Solidarität zeigen statt Vielfalt“, forderte Kluge. Der Begriff Vielfalt sei zu phrasenhaft. Sie gebe Solidarität, erwarte aber auch Solidarität. Christoph Michl meinte, man müsse die träge Masse in Schwung bekommen, wieder unbequem sein. Und nicht einfach denken, „wenn man die Vase der Vielfalt in ein Schaufenster stellt, ist der Kampf gegessen. Wir brauchen mehr Riots“. Da gab es offenbar bei ihm ein Umdenken. Denn in einem Interview mit Beobachter News hatte er 2015 erklärt, ein Kulturkampf tauge nicht für die Straße.
Für Sam war klar, dass man das Verständnis der Menschen brauche, die Privilegien haben – nicht das von denjenigen, die keine haben. Der Stonewall Mythos helfe dabei aufzustehen, zu sich zu stehen und zu kämpfen. Zum Abschluss der Podiumsdiskussion wiesen Kluge und Edmaier noch auf die „Trans Pride“ am 7. September in Stuttgart hin. Diese Pride wird von 100 %Mensch und dgti organisiert. Beginn ist auf dem Schlossplatz, nähere Infos gibt es auf den jeweiligen Websites.
Das Schlusswort teilten sich Kluge und Aichberger. Sie waren sich einig darin: „Geht demonstrieren, geht auch für die Rechte anderer auf die Straße. Klar machen, was man will, politisch sein, denn der Kampf geht weiter!“
CSD-Polit-Parade
Die diesjährige Stuttgarter CSD-Polit-Parade findet am Samstag, 27. Juli, statt. Sie startet um 15.30 Uhr in der Böblinger Straße, zwischen Erwin-Schöttle-Platz und Marienplatz. Erwartet werden innerhalb der Demonstration gut 80 Formationen mit über 6 500 aktiven Teilnehmenden sowie 180 000 Zuschauende am Straßenrand.
Die CSD-Polit-Parade ist als politische Demonstration angelegt und dient dazu, die politischen und gesellschaftlichen Forderungen von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, transgender, intersexuellen und queeren Menschen öffentlich darzustellen.
Im Anschluss geht es mit der CSD-Hocketse auf dem Markt- und dem Schillerplatz weiter.
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