Stuttgart. Die Friedensbewegung hat trotz Versammlungsbeschränkung in Corona-Zeiten über Ostern viele Zeichen für Frieden und Abrüstung gesetzt. Der DGB, das Friedensnetz Baden-Württemberg und die Gesellschaft Kultur des Friedens ließen am Samstag, 11. April, ein Flugzeug mit dem Banner „Abrüstung jetzt! Ostermarsch 2020“ übers Land fliegen (siehe „Osterflug statt Ostermarsch„), an vielen Balkonen und Häuserfassaden hingen Pace-Fahnen, und die Linke lud zu einem Livestream. Mit dabei: die Bundestagsabgeordneten Heike Hänsel und Tobias Pflüger, außerdem Michael Hsu vom Jugendverband der Linken Solid aus Esslingen. Auch das Publikum beteiligte sich mit Fragen.
Den Livestream hatte die Landesarbeitsgemeinschaft Frieden der Linken organisiert. „Wir wollen was Neues testen, hoffen aber, dass wir uns bald wieder auf der Straße treffen können“, sagte Moderator Thomas Haschke. Die Corona-Pandemie zeige, dass die Menschen andere Probleme hätten, als aufzurüsten und Krieg zu führen. Auch Michael Hsu prangerte die hohen Kosten für Kriegsgerät und Auslandseinsätze der Bundeswehr an. Gerade jetzt zeige sich, dass falsche Prioritäten gesetzt worden seien. Man müsse stattdessen mehr Geld in kostenlosen ÖPNV, in Bildung und Wissenschaft oder auch in das Gesundheitssystem stecken. Hsu prangerte auch die Rektrutierungsmaßnahmen der Bundeswehr an (hier die Ostermarsch-Rede von Michael Hsu im Wortlaut).
Auch Heike Hänsel, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag und Leiterin des Arbeitskreises Außenpolitik, fordert, die Soldatinnen und Soldaten aus Auslandseinsätzen zurückzuholen. Es sei höchste Zeit für Abrüstung, eine Umwidmung der Gelder für den zivilen Bereich und Rüstungskonversion. Die Linke fordere auch die Evakuierung von 40 000 Geflüchteten aus Moria, wo katastrophale Lebensbedingungen herrschten. Die EU habe zugesagt, 1600 Kinder und Jugendliche aufzunehmen. Doch selbst dieses Versprechen sei nicht erfüllt worden. Bis heute sei kein einziger Flüchtling aus Moria in Deutschland angekommen. Dabei hätten sich 140 Kommunen, darunter auch Stuttgart und Tübingen, dazu bereit erklärt, Geflüchtete aufzunehmen (hier die Erklärung von Heike Hänsel zu 60 Jahre Ostermärsche in Deutschland im Wortlaut).
Tobias Pflüger, stellvertretender Bundesvorsitzender der Linken und verteidigungspolitischer Sprecher ihrer Bundestagsfraktion, kritisierte den Einsatz der Bundeswehr in Corona-Zeiten: „Einen Einsatz der Bundeswehr für polizeiliche Aufgaben, einen bewaffneten Einsatz zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung lehnen wir als Linke ab“. Zwar sei selbstverständlich, dass die Bundeswehr ihre medizinischen Strukturen zur Verfügung stelle. Es sei jedoch infam, das zu Werbezwecken zu nutzen. Aktuell gebe es 280 Anfragen an die Bundeswehr mit der Bitte um Unterstützung. 84 von ihnen seien positiv beschieden worden – davon 30 aus Bayern und 6 aus Baden-Württemberg, dazu 48 aus anderen Bundesländern (siehe den Aufruf von Tobias Pflüger zu den Ostermärschen 2020 im Wortlaut).
Der Aufruf des Friedensnetzes Baden-Württemberg im Wortlaut:
„Ostermarsch mal anders
Friedensbewegung ruft über Ostern zum Eintreten für Frieden und Abrüstung auf!
Seit Wochen werden im ganzen Land die Ostermärsche für Frieden und Abrüstung vorbereitet. In Baden Württemberg wurde in mehr Städten als die Jahre zuvor zu entsprechenden Aktionen aufgerufen. Sie alle können nun angesichts der grassierenden Pandemie nicht wie gewohnt auf der Straße stattfinden.
Das Friedensnetz Baden-Württemberg ruft stattdessen auf:
Von Karfreitag bis Ostermontag:
Fahne zeigen für den Frieden!
Hängt Friedensfahnen oder –Transparente vom Balkon und aus den Fenstern!
Darüber hinaus wird der Ostermarsch auch im Internet stattfinden. Wir fordern die Menschen auf, die gezeigten Fahnen zu fotografieren und auf der Seite https://www.facebook.com/events/224401972045425/einzustellen. Dort und auf www.friedensnetz.desowie bundesweit auf http://www.friedenskooperative.de/alternativer-ostermarsch wird es auch Redebeiträge zum Ostermarsch als Text, Audio- oder Videodateien und andere Informationen geben.
Dass gerade diese Pandemie beweist, wie notwendig das Eintreten für Frieden ist, hat UNO Generalsekretär António Guterres am 23.3.2020 mit den Worten
„Die Raserei des Virus offenbart die Narretei des Krieges“ deutlich gemacht und zu einem „unverzüglichen, globalen Waffenstillstand in allen Ecken der Welt“ aufgerufen.
Diesem Aufruf schließt sich die Friedensbewegung an.
Als Beitrag der Bundesregierung zum weltweiten Waffenstillstand fordern wir eine sofortige Beendigung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr und jeder Beteiligung an den teilweise andauernden Manövern der NATO, einen sofortigen Stopp aller Rüstungsexporte, die sofortige Umstellung der Rüstungsproduktion auf die nicht nur in der Coronakrise weltweit so dringend benötigten medizinischen Geräte und Ausstattungen.
Vier Tage vor dem UN-Generalsekretär hatte sich auch der Generalsekretär der NATO, Jens Stoltenberg, mit einem Appell an die Nato-Staaten gewandt, ihre Zusagen zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent des BIP einzuhalten.
Am 2. April, zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits deutlich zu sehen war, dass gerade die Mitgliedsländer der NATO, USA und Westeuropa, angesichts kaputtgesparter Gesundheitssysteme zum Epizentrum der Seuche geworden sind, bekräftigte der deutsche Außenminister die weitere kontinuierliche Steigerung des Rüstungshaushalts, der in diesem Jahr bereits die Rekordmarke von 50 Milliarden überschritten hat.
Deutlicher als in dieser aktuellen Krise kann wohl nicht gezeigt werden, dass die Werte der „Wertegemeinschaft“ NATO nicht die Werte einer solidarischen Gesellschaft sind.
Im lange vor Bekanntwerden der Epidemie verfassten landesweiten Ostermarschaufruf lautet die erste Forderung stattdessen:
Abrüsten statt aufrüsten! Kein Geld für Waffen und Militär, sondern für Bildung, Gesundheit, ein solidarisches Sozialsystem und die Bekämpfung von Hunger und Armut.
Eine weitere lautet: „Austritt aus der NATO mit dem Ziel ihrer Auflösung!“
Ein weiteres zentrales Anliegen der diesjährigen (alternativen) Ostermärsche ist es, die Atomare Aufrüstung zu stoppen. Angesichts der rund 14 000 Atomwaffen weltweit, der Kündigung des INF Vertrages und der damit drohende komplette Zerfall der Rüstungskontrollordnung wächst die Gefahr der atomaren Konfrontation. Deshalb fordert die Friedensbewegung entschieden:
„Beendet den atomaren Wahnsinn! Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag der UNO und Initiativen zu seiner Durchsetzung!“
Besorgt reagiert die Friedensbewegung auch auf die aktuellen Diskussionen und Planspiele, die Bundeswehr angesichts der Krise nicht nur zur zivilen Amtshilfe heranzuziehen, sondern ihr auch polizeiähnliche Aufgaben wie „Absicherung und Schutz“ also den bewaffneten Einsatz im Innern zu übertragen. Das Grundgesetz verbietet einen solchen Einsatz aus guten Gründen. Er würde eine weitere Militarisierung der Gesellschaft bedeuten. Es gibt keine Institution, die weniger geeignet ist, für Sicherheit und Schutz der Bevölkerung zu sorgen und deren Grundrechte zu wahren, als eine kriegsmäßig bewaffnete und ausgebildete Armee!
Für das Friedensnetz Baden-Württemberg
Dieter Lachenmayer“
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