Von Sahra Barkini – Stuttgart. In elf deutschen Städten wurde am Samstag, 11. Juni, zum Auftakt der bundesweiten Kampagne „Offensive gegen Aufrüstung“ demonstriert. In Stuttgart beteiligten sich 390 Menschen an der Demonstration. Die Polizei stoppte den Demozug mehrfach und filmte über weite Teile der Demonstration. Wie die Demosanitäter Südwest berichten, gab es einen Übergriff. Eine Personengruppe habe zuerst die DemonstrantInnen verbal beleidigt und dann eine Sanitätskraft mit Bier übergossen (siehe den Bericht der Demosanitäter). Auf Höhe des Kronprinzplatzes wurde eine Flasche in Richtung der Demonstrierenden geworfen. Im weiteren Verlauf der Demonstration beschlagnahmten ein Polizeibeamter eine rote Fahne, und am Ende nahm die Polizei zwei TeilnehmerInnen fest.
Am vergangenen Freitag stimmte auch der Bundesrat mehrheitlich für das sogenannte Sondervermögen, bei dem es sich eigentlich um Sonderschulden von 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr handelt. Mehr Geld für Rüstung bedeutet gleichzeitig weniger Geld für die Bevölkerung, befürchten die DemonstrantInnen. Diese 100 Milliarden Euro würden an anderen Stellen wie der Pflege, im Wohnungsbau oder bei der Bildung fehlen.
Dies trieb die Menschen am Samstag auf die Straßen Stuttgarts, wo sie ihre Ablehnung gegen die Erhöhung des Militäretats in der Innenstadt lautstark deutlich machten. Die Demoroute führte von der Lautenschlagerstraße über die Bolzstraße vor das Neue Schloss. Am dortigen Finanzministerium legten die DemonstrationsteilnehmerInnen bündelweise Spiel-Geldscheine ab und machten auf Plakaten deutlich, wofür das Geld eigentlich gebraucht werde.
Kurz zuvor stoppte die Polizei die Demonstration das erste Mal und filmte die TeilnehmerInnen. Als Grund gaben sie an, dass Rauchtöpfe abgebrannt worden seien. Nach der kurzen Aktion am Finanzministerium ging es weiter in Richtung Eberhardstraße. An deren Ende der Straße stoppte die Polizei die Demonstration erneut, dieses Mal für mehrere Minuten. „Deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt“ schalte es durch die Straßen. Als die Polizeiblockade aufgehoben wurde, ging es weiter Richtung Rotebühlplatz. Dort gab es einen Redebeitrag von „Perspektive Kommunismus“. Er machte wie auch eine spätere Ansprache von „Solidarität und Klassenkampf“ deutlich, dass die 100 Milliarden Euro an vielen anderen Stellen weitaus besser eingesetzt werden könnten. Zum Beispiel statt für Rüstung für den kostenlosen Nahverkehr. So könnte das „9-Euro-Ticket“ zehn Jahre lang finanziert werden.
Der Redner von „Perspektive Kommunismus“ kritisierte, dass jeder Einspruch gegen das Sondervermögen als Putin-Nähe diffamiert werde. Weiter kritisierte er, dass die 100 Milliarden Euro mit nur wenigen Gegenstimmen durch den Bundesrat gewunken wurden. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) stimme die Bevölkerung auf einen langwierigen Krieg ein. Das bedeute auch einem dauerhaften Angriff auf die Lebensgrundlagen von allen und die Gefahr einer weiteren Eskalation.
Für immer mehr Menschen werde aktuell deutlich, dass sie in diesem System nichts zu gewinnen hätten. Der Redner von „Solidarität und Klassenkampf“ zählte auf, was man mit diesem Bundeswehr-Sondervermögen Sinnvolles machen könnte. So könnte man zusätzlich 200 000 ErzieherInnen für zehn Jahre finanzieren. Oder 200 000 zusätzliche Pflegekräfte für neun Jahre beschäftigen. Ein einziger Schützenpanzer kostet einmalig 15 Millionen Euro. Das entspreche dem Preis von 250 Sozialwohnungen.
Keinesfalls alle im selben Boot
Dieses Aufrüstungspaket verdeutliche, dass Geld da ist, aber der Staat die Mittel lieber in die Rüstungsindustrie, die Bundeswehr und damit in Krieg, Elend und Leid investiere. Wenn es nach den regierenden PolitikerInnen geht, soll die arbeitende Bevölkerung in der Bundesrepublik sparen. Man solle Gas und Strom sparen und weniger mit dem Auto fahren und gleichzeitig mehr Geld für die täglichen Güter bezahlen, dies alles überdies klaglos hinnehmen, so der Redner. Doch der Krieg in der Ukraine sei nicht der einzige Auslöser für die Preissteigerungen. Dies werde beim Benzinpreis besonders deutlich. Benzin sei doppelt so teuer wie Rohöl. Dank des Tankrabatts von Finanzminister Christian Lindner (FDP) verdienten die Ölkonzerne nun noch mehr mit ihrer Spekulation.
Auch die großen Energiekonzerne würden voraussichtlich dieses Jahr 200 Milliarden Euro mehr Umsatz machen. Also zwei Sondervermögen für die Bundeswehr. Der Redner weiter: „Sitzen wir also alle im selben Boot gegen den Feind im Osten? – Nein, natürlich nicht. Es interessiert den deutsche Bankmanager nicht, ob er seinen Lamborghini für 100 Euro oder 200 Euro volltanken muss. Es interessiert die Bundestagsabgeordnete nicht, ob sie 800 Euro oder 1800 Euro für ihre Wohnung in Berlin bezahlt. Und es interessiert den Erbmillionär nicht, ob er für die Butter im Supermarkt 1 Euro oder 3 Euro bezahlen muss. Aber es interessiert alle Menschen, die nicht in den Nobelviertel wohnen, sondern auf ihr Auto angewiesen sind, um zu ihrer Arbeit zu fahren. Es interessiert die Alleinerziehende, die sich bei den steigenden Energiepreisen am Ende des Monats überlegen muss, ob sie die Miete noch bezahlen kann. Und es interessiert die Rentnerin, ob sie von nun an zur Tafel gehen muss, um ihre täglichen Lebensmittel zu bekommen.“ Die Politik mache, was sie immer tut: Sie wälze die Krisenlast auf den Rücken aller ab.
Schweigen zu Erdogans Angriff auf Kurdistan
Während einer Rede der kurdischen Bewegung brannten AktivistInnen auf dem Kronprinzplatz symbolisch einen Panzer ab, um zu verdeutlichen, was sie von deutschen Kriegswaffen halten. Die Rednerin der kurdischen Bewegung kritisierte, dass die meisten Länder, die den Krieg in der Ukraine verurteilen, zum türkischen Angriffskrieg auf kurdische Gebiete schweigen. Diese Doppelmoral gerade von Deutschland offenbare die Verflechtung von Interessen.
Bereits 2021 wurde einer internationalistischen Friedensdelegation, die in die kurdischen Gebiete reisen wollte, die Ausreise aus der Bundesrepublik verweigert. Als Begründung wurde angegeben, dass die Teilnahme von Bundesbürgern an der Reise die Beziehung zur Türkei gefährde. Die Bundesrepublik scheine kein Interesse an Frieden im Mittleren Osten zu haben, so die Rednerin. Erdoğan erhielt im vergangenen Jahr Kriegswaffen im Wert von 324 Millionen Euro und damit mehr als ein Drittel der gesamten deutschen Kriegswaffenexporte.
Die Türkei als Nato-Mitglied führe einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in den Gebieten Kurdistans, und die deutsche Regierung schweige. „Wir haben uns heute hier versammelt, um uns solidarisch mit der kurdischen Bevölkerung zu zeigen. Wir verurteilen die imperialistische und kriegerische Politik des türkischen Staates“. Die Rednerin forderte einen sofortigen Stopp der Unterstützung für Diktator Erdoğan. Es dürfe keine weiteren Waffenlieferungen mehr in die Türkei geben. Die Kriegsverbrechen müssten verurteilt werden.
Im Anschluss zog die Demonstration weiter in Richtung Theodor-Heuss-Straße. Auf Höhe der Deutschen Bank wurde symbolisch die „Wand der Aufrüstung“ durchbrochen. Danach ging es über Bolzstraße und Neues Schloss auf den Schlossplatz, wo die Demonstration beendet wurde. Danach nahm die Polizei zwei DemonstrationsteilnehmerInnen vorläufig fest.
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