Von Sahra Barkini – Stuttgart. Am 30. Juli war es nach zweijähriger Corona Pause auch in Stuttgart wieder soweit: Die Parade zum CSD (Christopher Street Day) zog ohne Einschränkungen durch die Innenstadt. Vergangenes Jahr fand eine etwas abgespeckte Version unter strengen Auflagen statt. Die diesjährige Parade versprach die bisher größte in Stuttgart zu werden. 100 Gruppen waren angemeldet, mehr als in Berlin, und 25 000 TeilnehmerInnen wollten mitlaufen oder auf den Fahrzeugen mitfahren. Die Polizei sprach von mehreren Hunderttausend Zuschauern am Straßenrand.
Landtagspräsidentin Muhterem Aras war die diesjährige Schirmfrau und tanzte ausgelassen auf dem ersten Wagen. Das Motto in diesem Jahr lautete: „Community. Kraft. Europa.“
Der CSD-Samstag zeigte sich von seiner schönsten Seite. Die Sonne strahlte mit den TeilnehmerInnen um die Wette. All überall waren Regenbogenflaggen zu sehen. Das wahrscheinlich größte Exemplar hing am Turm des Hauptbahnhofs: Es ist 15 Meter lang und 5 Meter breit und gut sichtbar.
Schon vor der Demonstration war in der Innenstadt kaum ein Durchkommen. Die Straßenbahnen waren überfüllt, und viele CSD-TeilnehmerInnen machten sich zu Fuß auf den Weg in Richtung Erwin-Schoettle-Platz. Von dort aus startete um 15.30 Uhr die Demonstration. Die Straßen am Rand der Strecke waren gesäumt von ZuschauerInnen, die auch Plakate mit Botschaften bei sich trugen. Die Demostrecke führte vom Erwin-Schoettle-Platz vorbei am Marienplatz, die Tübinger Straße entlang Richtung Planie zum Schlossplatz.
Angeführt wurde die Demonstration von einer Gruppe aus der Ukraine. „Russia is a homophobic and Terrorist State“, oder auch „Arm Ukraine make Pride in Mariupol possible“ stand auf ihren Schildern. Der Demonstrationszug war so divers und bunt wie die Gesellschaft, und so vielfältig wie die TeilnehmerInnen waren auch die Botschaften auf Transparenten und Schildern: „Homophobia has a Cure: Education“.
Im Gewerkschaftsblock hieß es: „Menschen vor Profite“, „End Medical Gatekeeping“, „Betriebsräte sind auch queer“, „Bunt und Solidarisch in der Arbeitswelt“, „Hoch die Internationale Solidarität“ stand auf dem vorausfahrenden Fahrzeug, wurde aber auch von den TeilnehmerInnen skandiert – ebenso wie „Alerta, Alerta Antifascista“.
„Why be homophobic in Baden-Württemberg, when you can queer in the Länd?!“
Die Grüne Jugend stellte mit ihrem Fronttransparent in Anspielung auf die neue Imagekampagne des Landes Baden-Württemberg eine sehr gute Frage: „Why be homophobic in Baden-Württemberg, when you can queer in the Länd?!“. Dieses Jahr nahmen alle im Stuttgarter Gemeinderat vertretenden Parteien teil. So war auch die CDU mit einem eigenen LKW vertreten. Allerdings ohne Oberbürgermeister Frank Nopper, er besuchte ein Konzert von Andrea Berg, berichteten die „Stuttgarter Nachrichten“. Die CDU-Teilnahme führte zu Kritik unter einigen TeilnehmerInnen: „Keine queerfeindliche CDU auf dem CSD. Gegen Kapitalismus und Patriarchat.“
Die Linke war umweltschonend mit einem Lastenrat und einer Fußgruppe dabei. Stadtrat Luigi Pantisano mit Regenbogenflagge über den Schultern fuhr es. Und die Piratenpartei bewegte sich auf Fahrrad und Stelzen fort. Ein schöner Gegensatz zu den Lkws der großen Parteien.
Mission Trans forderte: „My life, my choice! Selbstbestimmung jetzt“. Und auch die Abschaffung des TSG (Transsexuellen Gesetz) wurde auf Plakaten gefordert. Der Stadtjugendring fand „Homophobie ist sowas von 2008“. Und die Abfallwirtschaft Stuttgart befand: „Homophober Abfall in den Müll“.
„Stonewall was a Riot“
An der Paulinenbrücke hängten AktivistInnen ein Transparent auf und machten deutlich: „Stonewall heißt kämpfen!“, und es „regnete“ Flyer. Auf diesen war zu lesen: „Egal wie bunt das Logo ist – Konzerne, die mit der Unterdrückung von Queers Profit machen, gehören nicht auf den CSD. Freiheit der Geschlechtsidentität und der sexuellen Orientierung geht nur ohne Kapitalismus. Zurück zu unseren Wurzeln – Stonewall heißt kämpfen!“. Denn „Stonewall was a Riot“: In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 begannen die Aufstände. Das Stonewall-Inn war eine von der Mafia betriebene Bar, in der sich Schwule und Trans*-Personen einigermaßen frei bewegen konnten. Der Alkohol war sehr teuer und gepanscht. Und immer wieder gab es polizeiliche Durchsuchungen, bei denen die Identität der Besucher* festgestellt, archiviert und oft veröffentlicht wurde. Auch am 28. Juni kam es zu solch einer Razzia. Zu dieser Zeit waren Bürgermeisterwahlen in New York, und der damalige Kandidat musste wohl „Härte“ zeigen.
Doch dieses Mal ließen sich die Gäste des Stonewall Inn die gewalttätigen Durchsuchungen nicht gefallen. Die beiden Trans-Woman of Colour Marsha P. Johnson und Sylvia Riviera leisteten erbitterten Widerstand. (Mehr dazu hier: https://beobachternews.de/2019/07/20/noch-immer-keine-gleichstellung/) Eingedenk dieser Wurzeln des Christopher Street Day war es nur allzu nachvollziehbar, dass manche TeilnehmerInnen forderten: „No Cops at Pride“.
Homophobe Übergriffe in Karlsruhe und Fellbach
Der diesjährige CSD setze ein starkes Zeichen für die Gleichberechtigung der LSBTTIQ- Community. Dies ist gerade in Zeiten wichtig, in denen in vielen Ländern Europas Homophobie zum Alltag gehört. Auch in Deutschland kommt es immer wieder zu Angriffen auf queere Menschen. Auch Baden-Württemberg bildet da leider keine Ausnahme. So wurden nach dem CSD in Karlsruhe Anfang Juni Teilnehmende von einer Gruppe attackiert. Dabei wurden sechs Menschen leicht verletzt und eine Regenbogenfahne angezündet. (Näheres hier: https://www.csd-karlsruhe.de/queerfeindlichkeit-und-gewalt-im-umfeld-des-csd-karlsruhe/).
Am Montag wurde bekannt, dass es am Sonntag in Fellbach-Oeffingen zu einem homophoben Übergriff kam. Die BKZ (Backnanger Kreiszeitung) berichtete: „Als die Geschädigten an der Haltestelle Alemannenstraße ausstiegen, wurden sie von den zwei Tatverdächtigen verfolgt und körperlich angegangen, gewaltsam zu Boden gebracht und teilweise auch durch Fußtritte verletzt. Die beiden Opfer mussten vom Rettungsdienst medizinisch versorgt und in ein Krankenhaus gebracht werden.“
https://www.bkz.de/nachrichten/homophobie-im-bus-gedroht-dann-geschlagen-153009.html
Erklärung des Mottos der Stuttgarter Pride:
Community.Kraft.Europa: Das Motto des CSD Stuttgart 2022 vereint alle Lebensbereiche, auf die wir als Gemeinschaft von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgender, transsexuellen, intersexuellen und queeren Menschen unseren Blick besonders scharf richten müssen.
Community beschreibt alle Menschen, die sich der LSBTTIQ-Szene zugehörig fühlen. Kraft ist die Eigenschaft, die wir uns aneignen müssen, um Hass-Kriminalität, Gewalt-Übergriffe und andere Straftaten zu widerstehen und zu verurteilen.
Europa wiederum richtet die Aufmerksamkeit auf EU-Länder, in denen die Rechte der LSBTTIQ-Szene immer noch mit Füßen getreten wird. Es kann nicht sein, dass wir nach mindestens 52 Jahren Kampf für Menschenrechte immer noch Angst haben müssen und betroffen sind von Menschenrechtsverletzungen, Hasskriminalität, Diskriminierung und Ungerechtigkeit.
Deshalb endet Community nicht an Ländergrenzen. Wir sind länderübergreifend eine Community, weil alle das gleiche Recht haben, ihr Leben, ihre Liebe ohne Herabsetzung, Verfolgung oder gar Ermordung zu leben. (Quelle: https://www.stuttgart-pride.de/)
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