Von Sahra Barkini – Stuttgart. Am 15. September feierte die VVN ihr 75-jähriges Bestehen im Gewerkschaftshaus in Stuttgart. Die VVN empfing ihre Gäste mit Sekt, Saft, Wein und Fingerfood. Heinz Hummler, der Sohn des von den Nazis ermordeten Anton Hummler, nahm mit seiner Frau Heidi ebenso an den Feierlichkeiten teil wie Brigitte Lösch (ehemalige Vizepräsidentin des Landtags von Baden-Württemberg, Grüne) und der Bundestagsabgeordnete der Linken Bernd Riexinger. Zeitgleich mit der Feier wurde die Ausstellung „Neofaschismus in Deutschland“ in ihrer inzwischen siebten Version eröffnet.
Es waren die Überlebenden der Konzentrationslager, die nach ihrer Befreiung Antifa-Ausschüsse bildeten. Aus ihnen ging die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes hervor. Seit Ende der 1990er Jahre mit dem Zusatz „Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA). In einer Zeit des Kriegs in der Ukraine, des massiven Rechtsrucks in Deutschland, Europa und der Welt und noch immer des Sterbens im Mittelmeer ist die Botschaft der VVN-BdA wichtiger denn je.
Ilse Kestin, Landessprecherin der VVN, eröffnete die Veranstaltung und die Ausstellung, die auch ausgeliehen werden kann. Sie hoffe, dass die Ausstellung dazu beitrage, einer breiten antifaschistischen Bewegung in Deutschland ein Stück näher zu kommen. Die ersten Auflagen der Ausstellung befassten sich verstärkt mit der AfD. Dies habe sich aber gewandelt. Dennoch sei die „Alternative für Deutschland“ der verlängerte Arm von Pegida und Co., der in den Parlamenten sitze.
Das Taktieren der CDU und FDP mit der AfD wie in Thüringen zeige, wie brüchig die rote Linie gegen Rechtsaußen sei. Das Bild der AfD und der Umgang mit neuen und alten Nazis habe sich zwar in den letzten Jahren in der Gesellschaft gewandelt. Dazu hätten auch die Flügelkämpfe und schlussendlich die Beobachtung durch den Verfassungsschutz beigetragen. Aber da sich der faschistische Flügel durchgesetzt habe, bleibe die Partei gefährlich. So befasst sich auch die jetzt eröffnete Ausstellung weiterhin mit dieser Partei und dem gesamten rechten Spektrum.
Das Grußwort für die IG Metall steuerte Jordana Vogiatzi bei. Sie erklärte, die IG Metall stehe für Frieden und gegen den Faschismus. Und betonte, sie habe auch ganz persönliche Gründe, hier zu sprechen. Ihr Großvater war griechischer Partisane im Zweiten Weltkrieg und wurde von den Faschisten ermordet. Sie wuchs antifaschistisch auf und verstehe sich noch immer aus tiefster Überzeugung als Antifaschistin und Pazifistin. Sie sagte: „Krieg ist ein Kind des Faschismus, und solange es Faschismus geben wird, wird es auch Krieg geben“.
Ein weiteres Grußwort kam von Michael Kashi von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg. Er erinnerte daran, dass erst vor ein paar Tagen in Berlin ein Rabbiner angegriffen wurde, als er mit seinem Sohn unterwegs war. Der Antisemitismus nehme zu. Mitglieder der jüdischen Gemeinde berichteten ihm, dass Nachbarn oft nicht wissen, dass sie jüdischen Glaubens sind, und die Kinder in der Schule es aus Angst vor Mobbing und Diskriminierung besser auch nicht erzählen. Er dankte der VVN, dass sie soviel gegen Faschismus und gegen Rassismus tue und dafür, dass alle Menschen in Frieden leben können.
Sidar Çarman sprach das Grußwort für den Verdi-Bezirk Stuttgart. „In einer Zeit, in der rechte Populisten und neue Nazis das NS-Regime gern als ‚Vogelschiss‘ kleinreden und das Gedenken an die Millionen Opfer der Nazis relativieren oder vergessen machen wollen, stehen wir als GewerkschafterInnen in der Pflicht, die Werte der Demokratie, Menschenrechte und Solidarität zu verteidigen“, sagte sie. Durch den Krieg in der Ukraine und die Inflation werde der Konflikt zwischen Arm und Reich noch deutlicher. Rechte Kräfte versuchten, die Ängste der Menschen zu nutzen und sie für Hass und Spaltung zu missbrauchen, so Çarman. Aber: „Wir sind uns einig: Der Verteilungskonflikt verläuft nicht zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, sondern die Verteilungskonflikte in dieser Gesellschaft, in diesem Land, verlaufen zwischen oben und unten, zwischen Kapital und Arbeit. Mehr denn je stehen wir vor der Aufgabe und Pflicht gewerkschaftliche Kämpfe mit antifaschistischem Widerstand zu verbinden. Oder anders formuliert: Der Kampf um die Emanzipation der Arbeit vom Kapital kann nur solidarisch geführt werden. Das ist und bleibt unser Grundsatz.“ Der Verdi-Bezirk Stuttgart werde auch in Zukunft mit der VVN gemeinsam gegen Faschismus, Ausbeutung und Demokratieabbau einstehen. „Die Mahnung: Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg! Ist ein Appell für uns alle, überall dort, wo sich das menschenverachtende Weltbild und nazistische Strukturen breitmachen, sich aktiv dagegenzustellen. Antifaschismus ist unverzichtbar!“
Weitere Redebeiträge gab es von Bernd Riexinger und Kai Burmeister vom DGB.
Die musikalische Umrahmung des Abends übernahm der Liedermacher Wolfgang Gerbig (Woger).
In einer szenischen Lesung gingen drei Sprecher auf die 75-jährige Geschichte der VVN Baden-Württemberg ein. So gab es bis ins Jahr 2010 (zumindest formal) einen Unvereinbarkeitsbeschluss der SPD gegenüber der VVN. Der „Adenauer-Erlass“ von 1950 war der Vorläufer der späteren Berufsverbote und richtete sich auch gegen die VVN. Beamte und andere Beschäftige des Staates stellte man vor die Wahl, entweder die VVN zu verlassen oder aus dem Staatsdienst entlassen zu werden. In ihren Anfangsjahren hatte die VVN beinahe ein Monopol für antifaschistische Erinnerungsarbeit. Die bundesdeutsche Mehrheitsgesellschaft redete zu diesem Zeitpunkt nur von „Opfern“ und bezog sich dabei gleichermaßen auf deutsche Tote des Bombenkriegs und der Wehrmacht und Naziopfer.
In den 1980er Jahren schaffte es die VVN, auf verschiedenen Themenfeldern gleichzeitig aktiv und anerkannt zu werden. Gegen die von Kohl propagierte „geistig moralische Wende“ setzten die AntifaschistInnen ihre eigene Losung: „Kein neuer Morgen für die von gestern“. Seit ihrer Gründung kämpft die VVN gemeinsam mit anderen antifaschistischen Kräften gegen Geschichtsrevisionismus. Der Versuch, der VVN die Gemeinnützigkeit zu entziehen, führte zu einem Sturm der Entrüstung und löste eine Solidarität mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes aus. Der Versuch, der VVN und letztendlich dem Antifaschismus in Deutschland zu schaden, hat die VVN stärker gemacht.
Riexinger sagte in seinem Grußwort: „Die Fackel des Antifaschismus muss an die nächste Generation weitergeben werden“. Das Fazit der Feierstunde könnte lauten: Antifaschismus ist und bleibt unverzichtbar und muss gemeinnützig bleiben. Die ehemalige Ehrenvorsitzende der VVN-BdA Esther Bejarano sagte einmal sie „werde so lange singen bis es keine Nazis mehr gibt“. Das hat sie leider nicht geschafft, aber der VVN kann man nur weitere 75 Jahre voller Tatendrang wünschen.
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