Von Sahra Barkini – Stuttgart. Die baden-württembergische Landeshauptstadt war am Samstag, 29. Juli, geprägt von Regenbogenflaggen. „Nicht mit uns“ war das Motto des diesjährigen Stuttgarter Christopher Street Days (CSD). 132 Gruppen mit 40 000 Teilnehmer*innen zogen vom Feuersee zum Schlossplatz. Sie zeigten, wie bunt und vielfältig Stuttgart ist. Etwa 400 000 Menschen waren in der Innenstadt unterwegs und solidarisierten sich mit der Lsbttiq+ Community. Der Demotag wurde jedoch von einen Polizeieinsatz überschattet, bei dem mehrere Personen vorübergehend festgenommen wurden. Ihnen wurde vorgeworfen, am Schlossplatz, also am Ende der CSD-Strecke, den Wagen der IG (Interessengemeinschaft) CSD Stuttgart symbolisch blockiert zu haben. Laut Medienberichten wurde dabei auch der Sprecher des CSD Stuttgart Detlef Raasch leicht verletzt.
Der CSD-Samstag fing vielversprechend an. Im Gegensatz zur Vorhersage im Wetterbericht zeigte sich der Stuttgarter Himmel von seiner besten Seite, und die große Parade konnte an neuem Startpunkt ohne Wetterkapriolen losgehen. Der CSD hat seinen Ursprung in den Stonewall Riots vom 28. Juni 1969 in der Christopher Street in New York. Um an den Ursprung zu erinnern und zu zeigen, dass der CSD auch heute noch politisch ist und keine reine Party Veranstaltung, gab es einen großen antifaschistisch/antikapitalistischen Block. Er machte mit lauten Parolen deutlich, worum es geht. Es beteiligten sich etwa 700 Menschen.
So skandierten die Teilnehmer*innen: „CDU, Konzerne, Polizei – verpisst euch, das ist unsre Pride!“, „No Border! No Nation! Queer Liberation!“, „Wir sind hier, wir bleiben da, wir sind queer und Antifa“. Die Parole „ganz Stuttgart hasst die AfD“ fand bei den Zuschauer*innen besondere Zustimmung und wurde mitskandiert. Kurz vor dem Rotebühlplatz gab es eine „Die-In“ Aktion. Bei dieser Aktion legten sich die Menschen auf den Boden, starben also symbolisch, um auf ein Problem aufmerksam zu machen. Ganz konkret beim CSD waren es Polizeigewalt und rechte Gewalt gegen queere und andere marginalisierte Gruppen.
Diese Aktion dauerte fünf Minuten. Kurz zuvor gab es einen Bannerdrop, um auf Rechte Gewalt gegen queere Menschen hinzuweisen und die Organisation von queerem Selbstschutz zu fordern. Die Demonstration setzte sich im Anschluss fort Richtung Schlossplatz zur Endkundgebung. Unter anderem sprach die diesjährige Schirmherrin, die SPD-Vorsitzende und Bundestagsabgeordnete Saskia Esken.
Blockade mit Folgen
Am Schlossplatz versuchten einige Menschen, den ersten Wagen, also den der IG Stuttgart, zu blockieren. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Vielleicht war der Hintergrund die Ablehnung der IG CSD Stuttgart, sich am Freiburger CSD zu beteiligen, der ein vermummtes Schwarzwaldmädel mit Bollenhut in Regenbogenfarben als Emblem gewählt hatte (siehe Stonewall was a Riot und kein buntes Familienfest). Möglicherweise richtete sich die Kritik auch gegen die konservative, eher als Partyveranstaltung ausgerichtete Stuttgarter Pride.
Bei dieser Blockade wurde wohl Detlef Raasch leicht verletzt. Die Polizei kesselte die Aktivist*innen und reagierte mit Schlägen. Der gesamte Block wurde im Wanderkessel Richtung Neues Schloss geführt. Dort wurden die Personalien der Aktivist*innen festgestellt. Vereinzelt wurden die Aktivist*innen sehr rabiat aus dem Block gezerrt. Dabei wurde auch mindestens eine Person durch Polizeikräfte verletzt. Aus Solidarität blieben mehrere Menschen vor dem Neuen Schloss stehen, um sich mit den Festgenommenen zu solidarisieren und auf deren Entlassung zu warten.
Der Pressesprecher der Polizei sagte gegenüber den Beobachternews, den Beteiligten werde teilweise Vermummung und Körperverletzung vorgeworfen. Gegen eine Person soll ein Haftbefehl bestanden haben. Die anderen Beteiligten wurden noch am Abend nach Personalienfeststellung freigelassen. Der Stuttgarter Presselandschaft waren allerdings die Übergriffe auf Demonstrant*innen keine Erwähnung wert, obwohl Polizeimeldungen für Journalisten nicht als absolut zuverlässige Quelle gelten und vor Ort die Möglichkeit bestand, auch die andere Seite zu hören.
Kommentar von Sahra Barkini: Der CSD ist viel mehr als Party
Eine Debatte über die Ausrichtung des Stuttgarter CSD ist wichtig und dringend notwendig. Seit langem meiden queere Menschen diese – wie sie sagen – „Partyveranstaltung“. Der Christopher Street Day sollte mehr sein als ein Karneval im Sommer. Es wird Zeit, dass er sich auf seine Wurzeln besinnt. Und dazu gehört auch, dass das Pinkwashing, das Konzerne mit ihren Lastwagen auf der Parade betreiben, kritisiert werden muss und darf. Dazu schrieb mein Kollege Alfred Denzinger schon 2018 einen Kommentar (Der Stuttgarter CSD sollte zurück zu den Wurzeln).
Akteure wie die CDU und auch die Polizei haben auf einer Pride nichts verloren. Was die Polizei angeht, muss man an die Ursprünge des CSD erinnern. Weder Polizei noch konservative Parteien wie CDU und Freie Wähler sind „Allies“, also Unterstützer von queeren Personen. Die Politik der Konservativen ist nie durch Queerfreundlichkeit aufgefallen, eher im Gegenteil. CDU-Chef Friedrich Merz sieht in Nachrichtensendungen, in denen gegendert wird, den Grund für den Aufstieg der AfD. Der Stuttgarter CDU-Oberbürgermeister Nopper, er nahm nicht an der Parade teil, machte Wahlkampf mit dem Slogan: „Schaffen statt gendern“.
Also warum bitte glaubt man, die CDU wäre ein Partner für queere Rechte? In München wurde die CSU von der Pride wegen Queerfeindlichkeit ausgeschlossen – im konservativen Stuttgart undenkbar. Da will man lieber fortschrittliche Kräfte ausschließen, weil sie die Partylaune stören. In einer Parole des antikapitalistischen Blocks hieß es: „Party machen bringt nicht viel, queer-fem das ist unser Ziel“. Ich hoffe tatsächlich, dass auch in Stuttgart mal ein Umdenken beginnt und man versteht, dass der CSD soviel mehr als Party ist.
Stellungnahme der Gruppen „Queer & Revolutionär“ und „Antifaschistisches Aktionsbündnis Stuttgart und Region“ vom 31. Juli 2023:
Am Samstag, den 29. fand in Stuttgart die große „Politparade“ zum CSD statt. Wie üblich waren wir anwesend, haben mitprotestiert und mitgefeiert. Dieses Jahr gab es erfreulicherweise eine viel deutlichere sichtbare Beteiligung von progressiven und linken queeren Menschen als bisher.
Während der gesamten Parade wurde die explizit linke Beteiligung sehr gut aufgenommen und der Bereich, in dem wir liefen, wurde stetig größer. Gegen Ende liefen rund 700 Menschen allein in diesem Block. Offensichtlich gibt es bei vielen Menschen das Bedürfnis an der Pride nicht nur erreichte Erfolge zu feiern, sondern auch weiterhin bestehende queerfeindliche Verhältnisse zu benennen, für ihre Überwindung einzustehen und sich gegen eine zunehmende Kommerzialisierung des CSDs auszusprechen.
Am Ende der Demo gab es von einer Gruppe von Antifaschist:innen eine symbolische Aktion am Wagen der IG CSD. Dieser sollte offenbar blockiert werden. Im Verlauf der Aktion kam es wohl zu einem Gerangel und verschiedenen Verletzungen. Den Verletzten wünschen wir an dieser Stelle eine rasche Genesung. Auch die Polizei hat, wie so oft in Stuttgart, maßlos und vor allem gewaltvoll regiert. Im Nachgang hat sich medial und politisch in dieser Stadt (und darüber hinaus) ein Narrativ entwickelt, das wir bislang in dieser Form nicht kannten und welches so gefährlich, wie falsch ist.
In diesem Statement beziehen wir uns also vor allem auf verschiedene Artikel der Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten (kurz: StZ/StN) von Christine Bilger, Jörg Breithut & Uwe Bogen, sowie Äußerungen von OB Nopper und Polizeimeldungen.
Vorweg: Die Blockade des IG CSD Wagens war nicht unsere Aktionsform, auch wenn wir es ebenfalls befremdlich finden, dass der CSD-Verein Parteien wie der CDU mit ihrer Beteiligung eine Bühne gibt und auch, dass sich der CSD immer mehr zu einer Werbeveranstaltung großer Konzerne (Daimler, Vodafone usw. usf.) und einer großen Party entwickelt.
Wozu wir etwas sagen können und wollen ist der gesamte öffentliche Diskurs der vergangenen zwei Tage. Schon am Samstagabend kam der erste Artikel in der StZ/StN: „Aktivisten greifen Vereinssprecher an“.
So ging es dann weiter und immer mehr Artikel – bis hin zur überregionalen Presse – übernahmen ein Narrativ, dass vermummte Antifaschist:innen oder eine „Jugendantifa“(?) gezielt den Sprecher des CSD oder sogar den ganzen CSD angegriffen hätten.
Viele der Artikel und Äußerungen von Politiker:innen o.ä. bringen es dann sogar noch zustande, eine Protestaktion mit einem unschönen und schmerzhaften Ende gleichzusetzen mit homophoben & queerfeindlichen Angriffen, die beinahe täglich verübt werden.
Zur Erinnerung: Rechte, religiöse Fundis o.ä. greifen Menschen an für Merkmale oder Identitäten, die ihnen nicht passen. Das kann eine Hautfarbe sein oder eben (vermutete) Homosexualität, Trans-Identität usw. Diese Vertreter:innen solcher Positionen reichen von nicht wenigen CDU-ler:innen bis hin zu militanten Faschist:innen.
Wer so etwas explizit oder implizit mit einer (höchstwahrscheinlich zufälligen) Verletzung einer Person am CSD in einem Gerangel vergleicht, macht vor allem eines: Man verharmlost und relativiert homophobe und queerfeindliche Gewalt. Hier werden die Opfer dieser alltäglichen Gewalt und ihr Leid instrumentalisiert, um eine eigene politische Agenda zu verfolgen und absurde „Hufeisen-Theorien“ zu bedienen. Hier wird ein Framing geschaffen, das sagen soll:
„Die Antifa (wer auch immer das ist) hat den CSD angegriffen, weil sie sauer sind, dass der CSD Stuttgart sich gegen Antifa-Logos in Freiburg ausgesprochen hat oder weil sie die CDU blöd finden, gingen sie mit brutaler Gewalt gegen den CSD und gezielt gegen seinen Sprecher vor.“
Es scheint uns, als bräuchte man Sündenböcke an denen man sich oberflächlich, formal und schlecht recherchiert abarbeitet, um sich bloß nicht mit der Kritik und Positionen von linken Kräften auseinander setzen zu müssen. Also ist schnell, wenn wieder irgendwas passiert, klar: Das war „Die (Jugend-)Antifa“.
Alle antifaschistischen Gruppen & Bündnisse in dieser Stadt haben Namen und sind ansprechbar. Wem es also nicht um generalisierte Feindbilder & pauschalisierende, populistische Hetze geht, kann dort sehr gerne nachfragen. Dieselben antifaschistischen Kräfte in dieser Stadt – wir – haben übrigens mit unseren Protesten dafür gesorgt, dass die christlichen Fundamentalist:innen und Faschos, die Jahrelang am Marienplatz standen und gegen den CSD protestiert haben, ihre menschenverachtende Propaganda einstellten.
Und das ist unsere Aufgabe und unser Ziel als Antifaschist:innen in diesem Kontext:
Rechte, Faschist:innen und Reaktionäre daran zu hindern gegen queere Menschen vorzugehen, für eine progressive Pride zu streiten und auch an den richtigen Stellen Kritik zu üben. Denn Queerfeindlichkeit ist noch lange nicht besiegt.
P.s.: Dass am Samstag früh auf der Königstraße ca. eine Stunde lang 8 militante Faschisten vom „3. Weg“ aus Reutlingen unbehelligt unterwegs waren und Flyer gegen den CSD verteilt haben, greift niemand auf – ist ja auch weniger skandalisierbar und bringt weniger Klicks. Das waren übrigens dieselben Personen, die nach dem CSD in Reutlingen in der Stadt lauerten und queere Menschen körperlich angriffen. Wem es also darum geht, queerfeindliche Gewalt zu verhindern oder sie medial zu thematisieren, dem:der sei empfohlen, sich mal denen zu widmen, die überall ganz offen schreiben, dass sie queere Menschen hassen, „umerziehen“ wollen und auch immer wieder aufgrund ihrer Identität körperlich angreifen.
Stellungnahme der Linkspartei, Kreisverband Stuttgart:
„Die Berichterstattung über den diesjährigen CSD in Stuttgart wird dominiert von der Auseinandersetzung um die versuchte Blockade des CSD LKWs nach der Demonstration und dem daraus entstandenen Gerangel mit der leichten Verletzung des Sprechers des CSD Detlef Raasch. Wir wünschen allen verletzten Personen auf diesem Weg Gute Besserung.
Wichtig ist uns als Die Linke Stuttgart aber festzustellen, dass es zum ersten Mal seit langem einen größeren linken und antifaschistischen Block auf dem CSD Stuttgart gab. In Zeiten, in denen Rechte von der AfD bis zum III. Weg offen gegen queere Menschen hetzen und Aufklärung über nicht heterosexuelle Lebensformen an Schulen verbieten wollen, ist es wichtig, dass der CSD sich eindeutig positioniert. Es vergeht kein Wochenende, an dem Menschen, die an einem CSD teilgenommen haben, nicht angegriffen werden.
In Reutlingen haben Nazis vom III. Weg CSD-Teilnehmende angegriffen. In Stuttgart haben sie es sich nicht getraut, haben aber morgens in Stuttgart Süd und am Schlossplatz Flyer, in denen sie gegen LSBTIQ+ Menschen gehetzt haben, verteilt.
Die CSDs brauchen mehr Antifaschismus und nicht weniger. Fast vergessen scheint, dass der Ursprung des CSD ein spontaner Aufstand gegen Polizeigewalt in einer Bar in New York, die von Schwulen, Lesben und Transpersonen besucht wurde, war. Für uns ist es wichtig, dass der CSD zu den politischen Wurzeln zurück kehrt. Verbesserungen müssen erkämpft werden und ergeben sich nicht nach einer durchgefeierten Nacht.“
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