Von unseren ReporterInnen und der Redaktion – Villingen. Nur vierzig bis fünfzig Pegida-Anhänger trafen sich am Sonntag, 14. Juni, auf dem Villinger Münsterplatz. Nach zehn Minuten zogen sie mit Hinweis auf ein drohendes Gewitter wieder ab. Die Polizei hätte den Rückzug der Pegida-Anhänger absichern und ansonsten dem Protest von rund 150 AntifaschistInnen seinen Lauf lassen können. Stattdessen griff sie hart durch. Polizisten kesselten Pegida-GegnerInnen ein und fassten einige so hart an, dass drei von ihnen ohnmächtig wurden. Das Offene Antifaschistische Treffen Villingen-Schwenningen (OAT-VS) erhebt schwere Vorwürfe.
Das Vorgehen der Polizei war aus Sicht des OAT „komplett überzogen“, heißt es in einer an eine Vielzahl von Redaktionen verschickten Pressemitteilung. Die Vorwürfe gegen AntifaschistInnen seien „frei erfunden“, „die Aggressivität und Verachtung vor der körperlichen Unversehrtheit der Gegendemnonstranten vonseiten der Polizeikräfte absolut erschreckend“.
Besonders gravierend sei, dass Bewusstlose „teilweise noch mehrere Meter über das Pflaster geschleift“ wurden. Überdies habe die Einsatzleitung der Polizei entgegen anderslautender Auskunft an den Versammlungsleiter den Rettungsdienst nicht selbst gerufen. Ein „absolutes Unding“ sei, dass Polizisten einen Verletzten im Krankenhaus als Beschuldigten zu vernehmen versuchten, obwohl er noch stark benommen war.
Polizei: Straftaten gegen das Versammlungsgesetz
Die Polizei begründete ihr Vorgehen in einer Pressemitteilung mit „strafbaren Handlungen – mehrere Straftaten gegen das Versammlungsgesetz“. Es sei eine „Vielzahl von Verstößen gegen das Vermummungsverbot registriert und ein Beutel mit Buttersäure sichergestellt“ worden. In zwei Fällen seien Ermittlungen „wegen eines Vergehens wegen Widerstands gegen Vollzugsbeamte eingeleitet“ worden.
Während der Proteste hatte die Polizei über Lautsprecher erklärt, es sei Pyrotechnik gezündet worden. Das rief allerdings nach Berichten unserer Reporter selbst bei Polizisten Heiterkeit hervor, weil es niemand gesehen hatte. „Polizeibeamte kamen nicht zu Schaden“, teilte die Pressestelle des Polizeipräsidiums Tuttlingen weiter mit.
Pegida sagt Kundgebung und Demonstration ab
Beim achten Aufmarsch der SBH-Gida – SBH steht für Schwarzwald-Baar-Heuberg – war am Sonntag in Villingen erstmals neben einer Kundgebung auch eine Demonstration geplant. Die Versammlungsleiterin sagte Kundgebung und Demonstration jedoch kurz nach 15 Uhr ab – möglicherweise weil so wenig Pegida-Anhänger erschienen waren, offiziell jedoch aus Sicherheitsgründen wegen der Wetteraussichten.
Die Polizei hatte die Zugänge zum Areal für die angemeldete Gegenkundgebung am Franziskanermuseum schon am frühen Nachmittag mit Hamburger Gittern abgesperrt. Es war nicht möglich, auf direktem Weg zum Kundgebungsplatz zu gelangen. Auch nach den Beobachtungen unserer Berichterstatter trat die Polizei sehr aggressiv auf. So versuchte ein Polizist in Leitungsfunktion den verantwortlichen Redakteur der Beobachter News davon abzuhalten, Einsatzkräfte zu fotografieren. Er werde ihm sonst zeigen, wozu er rechtlich in der Lage sei. Da das Fotografieren nicht verboten ist, ließ der Polizist schließlich von unserem Redakteur ab.
Passanten verwundert über Auftreten der Beamten
Pegida-GegenerInnen wollten von zwei Zugängen aus – vom Franziskanermuseum und vom Rietturm – eine Spontandemonstration starten und sich in der Rietstraße treffen. Die Polizei kesselte die Gruppe, die am Franziskanermuseum aufgebrochen war, jedoch unmittelbar hinter dem Riettor unter Anwendung körperlicher Gewalt ein, ohne dass der Grund dafür ersichtlich gewesen wäre. Auch PassantInnen und Vertreter der örtlichen Presse zeigten sich verwundert über das Auftreten der Beamten.
Nach Polizeiangaben hing die „Umschließung“ beim Riettor damit zusammen, dass es bei der Abwanderung der Pegida-Anhänger auf der Rietstraße in der Nähe des Osianderplatzes zum Aufeinandertreffen von fünf – nach unserer Zählung sieben – Pegida-Leuten und einer größeren Zahl von AntifaschistInnen gekommen war. „Eine unverzügliche Intervention der Polizei“ habe die direkte Konfrontation verhindern können.
Anderthalb Stunden im Polizeikessel
Während ein weiterer Polizeikessel mit vierzig bis fünfzig Personen nach einer halben Stunde aufgelöst wurde, hielt die Polizei die am Riettor Eingekesselten ungefähr anderthalb Stunden bis 17 Uhr fest. Betroffen waren nach Polizeiangaben 25, nach unserer Zählung 30 Personen. Ein Polizeisprecher begründete das damit, dass einzelne der Festgehaltenen Straftaten begangen hätten und die Polizei das „ermitlungstecnisch und rechtlich einwandfrei“ absichern wolle.
Der Sprecher kündigte an, dass die Beschuldigten dann aus dem Kessel herausgezogen würden. Tatsächlich platzierte die Polizei jedoch jeden einzelnen der Eingeschlossenen an einer Wand, durchsuchte ihn, stellte seine Personalien fest und ließ ihn dann – mit zwei Ausnahmen – frei. Währenddessen kam es immer wieder zu Rangeleien. So versuchte die Polizei etwa, ein Transparent wegzudrücken und die Eingeschlossenen zu filmen. Erneut wunderten sich Passanten über die Aggressivität der BeamtInnen, die zuzunehmen schien, je weniger Personen sich im Kessel befanden. Auch die Polizei spricht von „unmittelbarem Zwang“, den sie „in mehreren Fällen“ habe anwenden müssen.
Vernehmungsversuch im Krankenhaus
Unsere Reporter beobachteten „massive Gewaltanwendung“. Polizisten seien auf Demonstranten gesprungen, die schon am Boden lagen. Mehrere wurden bewusstlos und wurden von der Polizei weggeschleift. Die Beamten lehnten einen der Bewusstlosen in der Hocke an eine Wand. Dem Hinweis unseres verantwortlichen Redakteurs, ihn in eine stabile Seitenlage zu bringen, kamen sie mindestens fünf Minuten lang nicht nach. Die Polizisten erklärten auch, einen Krankenwagen gerufen zu haben. Nach Angaben des Offenen Antifaschistischen Treffens trifft das jedoch nicht zu. Der Rettungsdienst sei von Außenstehenden informiert worden.
Dem OAT zufolge unterstellte ein Beamter des „Antikonflikt-Teams“ den Ohnmächtigen, ihre Bewusstlosigkeit nur zu simulieren. Auch im Krankenhaus seien sie von der Polizei weiter bedrängt worden. Noch vor einer ersten ärztlichen Behandlung hätten Beamte auf einen noch Benommenen eingeredet und ihm mitgeteilt, dass gegen ihn ermittelt werde. Sie hätten versucht, ihn zu einer Aussage zu drängen und sich darüber lustig gemacht, dass er kaum in der Lage gewesen sei, zu reden und sich gegen das Ansinnen zur Wehr zu setzen.
Polizei baute massive Drohkulisse auf
Die beiden Festgenommenen seien aufs Polizeirevier gebracht, dort eingesperrt und nach mehr als zwei Stunden wieder freigelassen worden. Nach Auflösung des Kessels gab es noch eine Spontandemonstration des Offenen Antifaschistischen Treffens durch die Villinger Innenstadt und eine kurze Abschlusskundgebung vor dem Bahnhof.
Nach unserer Beobachtung war die Polizei mit starken Einsatzkräften unter anderem aus Göppingen, Freiburg, Lörrach und Balingen vor Ort. Polizeireiter und Hundeführer hielten sich bereit, ohne direkt in das Geschehen einzugreifen. Polizisten drohten mit Pfefferspray und Schlagstockeinsatz, wandten aber letztlich nur – allerdings erhebliche – körperliche Gewalt an.
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