Von Sven Kollet – Stuttgart. Einstellung gegen Auflage: So endete am Donnerstag, 25. Juni, der Prozess gegen eine Antifaschistin vor dem Stuttgarter Amtsgericht. Die 20-Jährige hatte im vergangenen Jahr an einer Sitzblockade gegen eine Demonstration von Gegnern des neuen baden-württembergischen Bildungsplans teilgenommen. Es war nicht die erste Verfahrenseinstellung in dieser Sache.
Die Verhandlung startete fünf Minuten zu spät. Bei der Sitzblockade am 5. April 2014, um die es vor Gericht ging, hatten sich 55 Personen an der Ecke Eberhard- und Torstraße in Stuttgart auf die Straße gesetzt – unter ihnen auch die angeklagte Antifaschistin. Sie protestierten damit gegen eine Demonstration unter dem Motto „Elternrechte wahren: Demo für Alle“.
Anderswo Pegida-Anhänger, in Stuttgart Homophobe
Gleich zu Beginn machte die Angeklagte deutlich, um wen es sich aus ihrer Sicht bei den Demonstranten handelte: Christliche Fundamentalisten, offen Rechte und Nationalistischen Bewegungen. Es sei ein gesellschaftliches Problem, von Rechts immer mehr unterwandert zu werden. In anderen Städten gebe es die Pegida-Bewegungen, in Stuttgart homophobe Demonstrationen, unterstützt von der AFD und den Identitären.
Auf den Applaus von etwa zehn sich solidarisch zeigenden Zuhörern reagierte die Richterin äußerst allergisch. Sie drohte, den Saal beim nächsten Mal räumen zu lassen, obwohl sie kein Freund von Räumungen sei.
Alternativroute durch enge Straßen
Als Zeugen waren drei leitende Polizeibeamte aus Baden, Göppingen und Stuttgart geladen. Letzterer war bei dem Geschehen nicht dabei, konnte nichts sagen und wurde deshalb gleich wieder entlassen. Von der Möglichkeit der Demonstrierenden, die kleine Gruppe von Blockierern einfach zu umgehen, in dem sie die andere Straßenseite benutzten, wollten die Zeugen nichts wissen. Als Begründung nannten der erste vor allem weitere Aktivisten, die dann womöglich auch die andere Seite blockiert hätten.
Der zweite meinte, die andere Straßenseite wäre zu eng und nur im Gänsemarsch passierbar gewesen. Die Polizei habe es deshalb vorgezogen, den Demozug umzuleiten. Als ihn Verteidiger Christos Psaltiras darauf hinwies, dass die Umleitung durch engere Straßen führte, wies der Hauptkommissar auf eine mögliche Blockade möglicherweise herbeieilender GegendemonstrantInnen hin. Sie hätten sogar leere Polizeifahrzeuge blockiert, um die Polizeiarbeit zu behindern.
Spekulation führte zu vorsorglicher Umleitung
Letztlich machte also die Spekulation der Polizei, es könnte zu einer Blockade kommen, den Protest von 55 Personen zu einer Blockade, die die Polizei nötigte, die Teilnehmer der „Demo für Alle“ umzuleiten. Die Beamten brachten den Aufzug der Bildungsplangegner für zehn Minuten zum Stehen, um die Umleitung zu organisieren. Dadurch entstand eine grobe Störung der Versammlung. Sie wurde letztlich den 55 Sitzenden als Tatvorwurf vorgehalten.
Staatsanwältin und Richterin waren unschlüssig, wie das Urteil ausfallen soll. Die 20-Jährige habe ja ihr angebliches Ziel, den Aufmarsch zu blockieren, irgendwie erreicht, müsse also auch irgendeine Art von Konsequenz spüren. Anklage und Gericht einigten sich dann auf eine Einstellung des Verfahrens unter Auflage von 25 Sozialstunden.
Siehe auch unsere früheren Berichte:
Über 60 Festnahmen bei Protesten gegen Homophoben-Demo“
Von Homo-Hassern und anderen Tieffliegern
Grüne und SPD müssen der rechten Allianz entgegentreten
Keine Strafe für Protest gegen Rechte Allianz
Die Erklärung der Angeklagten im Wortlaut:
Ich stehe heute hier vor dem Amtsgericht Stuttgart, mit dem Vorwurf am 5. April 2014 eine Straftat, „Stören von Versammlungen und Aufzügen“, begangen zu haben. Konkret wird mir vorgeworfen bei den Protesten gegen die sogenannte „Demo für alle“ an einer Sitzblockade teilgenommen zu haben.
Die sogenannte „Demo für alle“ besteht aus christlichen Fundamentalisten, homophoben und offen rechten oder neonazistischen Organisationen, Parteien, Gruppen und Einzelpersonen.
Unter dem Deckmantel der Proteste gegen den geplanten neuen Bildungsplan, nutzen die Akteure die allgemeine Stimmung, um ihr reaktionäres und rechtes Gedankengut auf die Straße zu tragen. Getarnt als fröhlicher Familienausflug in rosa und blau hetzen sie gegen eine vielfältige und offene Gesellschaft. Sie propagieren die Ehe zwischen Mann und Frau als Heiligtum und die Liebe zwischen Menschen gleichen Geschlechts bzw. anderer Geschlechter die nicht in ihr beschränktes Denken passen, als abnormal und unnatürlich.
Es geht ihnen dabei nicht um den Erhalt der Familie, wie propagiert wird, sondern um den Erhalt ihrer rückschrittlichen und diskriminierenden Werte und darum, die Rechte von Minderheiten einzuschränken, die in den letzten Jahrzehnten erkämpft wurden.
Mit Parolen wie „Stoppt die Gender-Ideologie und Sexualisierung unserer Kinder!“ nehmen die Rechten paradoxerweise Kinder zum Vorwand, um ihre eigenen rückwärtsgewandten und homophoben Ansichten zu legitimieren.
Im Februar 2014 konnte die erste „Demo für Alle“ erfolgreich durch antifaschistische Kräfte blockiert werden. Auf der anderen Seite bedeutete das: Polizeigewalt, etwa 200 Festnahmen, viele verletzte Antifaschistinnen und Antifaschisten und zahlreiche Prozesse.
Seitdem marschieren die Rechten regelmäßig auf; das letzte Mal am vergangenen Sonntag. Jedes Mal wurden sie mit konsequentem antifaschistischen Protest konfrontiert.
Das Phänomen “Demo für Alle” ist kein Stuttgarter Problem, die Landesregierung hat durch den Bildungsplan lediglich einen konkreten Anknüpfungspunkt geschaffen. Es handelt sich hier vielmehr um einen gesellschaftlichen Rechtsruck, einen Rollback, der sich u.a. auch in Pegida, der selbsternannten „Alternative für Deutschland“ und der sogenannten Identitären Bewegung zeigt, die ebenso Teil der homophoben Aufmärsche sind. In Dresden ist es der Rassismus von Pegida, in Stuttgart die Homophobie. Das Vorgängermodell der „Demo für alle“, „manif pour tous“ in Frankreich zeigt mit seinen massenhaften antisemitischen Aufmärschen und einem Erstarken der faschistischen „Front National“ wohin eine solche gesellschaftliche Stimmung führen kann.
Dass ich hier heute stellvertretend für alle AntifaschistInnen vor Gericht stehe, liegt nicht daran, dass ich eine angebliche Straftat begangen haben soll. Es liegt einzig und allein daran, dass wie so oft eine linke Aktivistin versucht wird mit repressiven Maßnahmen und Schikanen von Seiten des Staates zu kriminalisieren und einzuschüchtern. Während die rot-grüne Landesregierung auf die Rechten eingeht und bereits ihre Pläne zurückgerudert hat.
Die massiv zunehmende Polizeigewalt und staatliche Repression kann uns nicht daran hindern, weiterhin Widerstand zu leisten.
Auch in Zukunft wird es antifaschistische Proteste geben, wo und wann auch immer die Rechten aufmarschieren wollen. Gerade jetzt ist es wichtig für ein solidarisches Miteinander einzustehen und das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zu verteidigen. Es ist notwendig, uns Rechter Hetze solidarisch entgegenzustellen. Ob in Form von Blockieren ihres Aufmarschs, durch Infiltrieren und Stören von Innen heraus, oder andere kreative Aktionsformen.
Gesellschaftlicher Rechtsruck geht uns alle an!
Keine Ruhe den rechten Hetzern!
Hoch die internationale Solidarität!
Folge uns!