Von Andreas Scheffel und Jens Volle – Stuttgart. Es gab tumultartige Szenen. Die Polizei konnte die gegnerischen Lager offenbar nicht immer unterscheiden. Stellenweise ging sie massiv gegen jeden vor, der irgendwie nach Migrant aussah. Sie nahm am Sonntag, 27. September, mindestens 20 Kurden und andere AktivistInnen fest. Sie hatten in der Stuttgarter Innenstadt gegen eine Demonstration türkischer Nationalisten protestiert, unter denen auch viele Anhänger der Grauen Wölfe waren. Nach eigenen Angaben hatte die Polizei mehrere hundert Beamte und einen Polizeihubschrauber im Einsatz.
Mehrfach ging die Polizei in angespannten Situationen mit Schlagstock und Pfefferspray gegen die GegendemonstrantInnen vor. Mindestens sieben Menschen mussten nach Pfeffersprayattacken medizinisch versorgt werden. Eine Polizeireiterin verlor die Kontrolle über ihr Pferd und stürzte. Dabei verletzte sie sich leicht. Wie die Polizei mitteilt, wurde ein Beamter von einem Gegenstand am Kopf getroffen. Er musste ins Krankenhaus. Zwei weitere seien durch Wurfgegenstände leicht verletzt worden.
Polizei versucht, gegnerische Lager zu trennen
Nach Angaben der Polizei beteiligten sich rund 400 Menschen an der Demonstration türkischer Nationalisten zum Thema „Gedenken an verstorbene Soldaten der Türkei / Gegen Terrorismus“. Das waren weit weniger als erwartet. Ein massives Polizeiaufgebot schirmte die Demonstration nach außen ab. Die Zugänge zum Kronprinzplatz waren durch eine Doppelreihe Hamburger Gitter abgeriegelt.
Die Gegendemonstration, an der sich mindestens 200 KurdInnen und linke AktvistInnen beteiligten, hatte das Motto „Internationale Solidarität gegen den Terror der AKP“.
Ab 14 Uhr sammelten sich die kurdischen GegendemonstrantInnen auf dem Stuttgarter Schloßplatz. Sie informierten PasssantInnen an einem Infostand mit Flyern. Bis etwa 15.30 Uhr blieb es ruhig. Dann setzte sich die Demonstration türkischer Nationalisten von der Lautenschlagerstraße in Bewegung und zog über die Bolzstraße, Theodor-Heuss-Straße und Gymnasiumstraße in Richtung Kronprinzplatz. Am Straßenrand äußerten KurdInnen und AntifaschistInnen lautstark und kreativ ihren Unmut über die nationalistischen Parolen. Die Polizei ging hierbei sehr rabiat gegen die Protestierenden vor.
Stimmung zunehmend aufgeheizt
Es begann ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Gegendemonstranten und Polizei. Dann kippte die Stimmung. Die Maßnahmen der Polizei griffen nicht. Gegendemonstranten versuchten mehrmals, in Kleingruppen auf die Demoroute der Nationalisten zu gelangen. Dabei gab es auch eine kurze Sitzblockade, die nach einiger Zeit freiwillig aufgelöst wurde.
Kurz vor dem Kronprinzplatz drängten berittene Polizeikräfte GegendemonstrantInnen nach unserem Eindruck unverhältnismäßig rücksichtslos ab. Die Stimmung kippte erneut. Zwei Reiter der Staffel schienen gezielt gegen die GegendemonstrantInnen vorzugehen. Kurze Zeit später setzte die Polizei Pfefferspray und Schlagstock gegen kurdische Demonstranten ein, als Flaschen in Richtung der türkischen Nationalisten geworfen wurden. Sieben DemonstrantInnen mussten nach der Pfefferspray-Attacke behandelt werden.
Nationalisten verfolgten GegendemonstrantInnen
Nach der Schlusskundgebung wurde die Versammlung der türkischen Nationalisten aufgelöst. Teilnehmer versuchten, den Informationsstand der Kurden auf dem Schloßplatz anzugreifen. Kurdische Demonstrantinnen sammelten sich um den Stand herum, um ihn zu schützen. Es gab Rangeleien. Nach unserer Beobachtung ging die Polizei nicht gegen die türkischen Störer vor, sondern gegen die kurdischen Demonstranten.
In der Fußgängerzone in Höhe des Kronprinzplatzes gab es regelrechte Jagdszenen, als türkische Nationalisten Gegendemonstranten verfolgten. Hier ging die Polizei unterschiedslos massiv gegen beide Parteien vor. Mit Pferden und rennenden und brüllenden BFE-Einheiten wurden die GegendemonstrantInnen auseinander und weg vom Kronprinzplatz gejagt. Es herrschte ein großes Durcheinander, in dem auch unbeteiligte Passanten auf der Königsstraße vor den Pferden flüchten mussten. Hier geschah es auch, dass die Reiterin die Kontrolle über ihr Pferd verlor und stürzte.
BFE-Einheiten rennen ziellos auf Kundgebung zu
Die verstreuten kurdischen und linken DemonstrantInnen sammelten sich schließlich wieder auf der Kundgebung an der Bolzstraße. Ab 17.30 Uhr nahm die Polizei mehrere Personen fest, die sich in der Nähe des Informationsstands der KurdInnen aufhielten. Nicht zum ersten Mal fiel am Sonntag auch auf, dass Gesetze wie das Vermummungsverbot auf Versammlungen nur für linke DemonstrantInnen zu gelten scheinen. Verstöße der Nationalisten blieben ohne Folge.
Im Umfeld der kurdischen Kundgebung und des Württembergischen Kunstvereins am Schloßplatz spielten sich teilweise merkwürdige Situation ab. Immer wieder rannten – scheinbar völlig ziellos – Zehnertrupps BFE-Einheiten auf die Kundgebung oder auf umher stehende Menschen zu, um sie wegzujagen. Dann blieben die Beamten wieder abrupt stehen und machten kehrt.
Der Protesttag endet mit Festnahmen
Als auch diese Kundgebung schließlich beendet wurde, begannen die BFE-Einheiten, einzelne Menschen aus der Gruppe der noch immer anwesenden kurdischen und linken DemonstrantInnen herauszuziehen und festzunehmen. Dabei handelte es sich um Personen, die im Laufe des Tages Straftaten begangen haben sollen. Dabei kam es nach Polizeiangaben zu 18 vorläufigen Festnahmen.
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